Stephan Weidauer

January 18, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Musik
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1 Stephan Weidauer

„Saarländisches Staatsorchester Saarbrücken 1977 - 2012“ Einleitung – Der neue Name 15. September 1977 – 9.57 Uhr – Bühnenorchesterprobe zu DER FREISCHÜTZ. Die Musiker im Orchestergraben haben ihre Plätze eingenommen, es herrscht die übliche Geräuschkulisse von sich einspielenden oder sich unterhaltenden Musikern, da betritt der Vorsitzende des Orchestervorstandes, Eberhard Pleyer (1929-2004) den Rand zum Orchestergraben, klatscht in die Hände, das bekannt wirksame Zeichen, um sich Gehör zu verschaffen. Es wird ruhig und man vernimmt die vertraute leicht sächselnde Stimme mit der Ansage, die Zweckverbandsversammlung habe dem Antrag des Orchesters zugestimmt, sich ab 1.9.1977 anstelle von „Orchester des Saarländischen Staatstheaters“ nun hochoffiziell und staatstragend „Saarländisches Staatsorchester Saarbrücken“ zu nennen. Nach den Bezeichnungen „Orchester der Musikfreunde“ (1912), „Schauspielorchester“ (1919), Städtisches Orchester (1922 und wieder 1945), „Orchester des Gautheaters Westmark“ (1938) und „Orchester des Saarländischen Staatstheaters“ (1971) nun also ein Name, wie ihn die staatlichen Orchester der Hauptstädte anderer Bundesländer längst trugen - ein Name, welcher für das jüngste der alten Bundesländer auch zur Identitätsstiftung beiträgt wie andere große saarländische Institutionen. Nach mehrfachen Vorstößen und plausiblen Begründungen hat es der rührige Vorstandsmann geschafft: der Zweckverband – damals Träger des SST – beschließt am 13. Juli 1977 die Namensänderung. Bereits in der Versammlung vom 20.November 1976 hat der Zweckverband ebenfalls zum 1.9.1977 einer geringfügigen Erhöhung der Vergütungsstufe des Orchesters zugestimmt: man bekommt die sogenannte Fußnote zu TVK B wie die Orchester von Nürnberg, Wiesbaden, Kassel, Darmstadt und Braunschweig, damals immerhin eine um DM 120 bessere Monatsvergütung, mit 78 Planstellen, von denen aber vier nicht besetzt werden dürfen. Fest geschrieben wird auch, dass mit dem neuen Namen weder eine Höhergruppierung noch eine Erhöhung der Kopfzahl verbunden ist. Dass Eberhard Pleyer sich mittelfristig damit nicht abspeisen lässt, werden wir noch erfahren. Zunächst bedankt er sich am 6. September 1977 und sagt zu, weitere Forderungen nicht zu stellen. Das Datum der Namensänderung war Stichtag für die Redaktion dieser Festschrift, die Chronik an dieser Stelle zu teilen, wobei es sich gut fügte, dass der im folgenden berichtete Zeitraum sich genau mit der Dienstzeit des Autors im SSO deckt. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Bericht aus dem Innenleben eines Orchesters, vielleicht auch die Perspektive von unten, in Stil und inhaltlichen Schwerpunkten völlig anders ausfallen muss als der Bericht eines Darstellers von außen. Insofern muss es kein Stilbruch sein, sondern einfach eine andere Herangehensweise, vielleicht für Außenstehende bereichernd und informativer als es der Bericht eines wie auch immer bestellten Autors von außen gewesen wäre. Ich hoffe, die Balance zwischen Festhalten wesentlicher Fakten und dem Plaudern eines Insiders getroffen zu haben.

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Abkürzungen SSO SST OV DOV GI GMD EA UA WA TVK

Saarländisches Staatsorchester Saarländisches Staatstheater Orchestervorstand Deutsche Orchestervereinigung Generalintendant Generalmusikdirektor Erstaufführung Uraufführung Wiederaufnahme einer Produktion in die nächste Spielzeit Tarifvertrag Kulturorchester

Prick verlässt Saarbrücken Eigentlich wäre der Vertrag von Christof Prick als Generalmusikdirektor bis 1982 gelaufen. Sein von ihm begonnener RING DES NIBELUNGEN bedurfte nur noch der Einstudierung des SIEGFRIED, um dann 1977/1978 zyklisch aufgeführt zu werden. Der damals jüngste „General“ der BRD, in Hamburg als Sohn des Konzertmeisters der dortigen Philharmoniker geboren, hatte an der Hochschule seiner Heimatstadt studiert und war 1974 als Chef ans Saar-Theater gekommen. Hier nun bricht im Mai 1976 ein regelrechter Kleinkrieg zwischen ihm und dem Chefkritiker der SAARBRÜCKER ZEITUNG, Albert Peter Bitz, aus, der sich am Übergewicht georgischer Opern im Spielplan – das absolute Faible des ehemaligen Generalintendanten Hermann Wedekind (1910-1998) – entzündet und neben hausinternen Querelen Prick zur vorzeitigen Vertragsauflösung bewegt. Sein Angebot neben seiner neuen Position als GMD am Badischen Staatstheater Karlsruhe das Musiktheater in Saarbrücken kommissarisch zu leiten, SIEGFRIED einzustudieren und zwanzig weitere Abende zu dirigieren wird abgelehnt. Am 1.Juli 1977 schreibt Prick an das SSO, er scheide „mit einer gewissen Verbitterung“.

Die Ära Kuntzsch 1977 – 1985 Matthias Kuntzsch, der neue GMD und Operndirektor des SST wurde am 22.09.1935 in Karlsruhe als Sohn eines Kapellmeisters geboren. Er studierte Klavier, Horn und Dirigieren an der Musikhochschule Hannover und begann seine Laufbahn 1957 am dortigen Opernhaus sowie 1958 in Braunschweig. 1959 – 1964 war er Assistent von Wieland Wagner bei den Bayreuther Festspielen und war nacheinander 1. Kapellmeister an den Bühnen von Bonn 1962, Mannheim 1964, Hamburg 1966 und München 1969. Seine erste GMD-Position erhielt er 1973 in Lübeck, wo er an der Musikhochschule auch auf eine Professur für Dirigieren berufen wurde.

3 Er heiratete 1964 die US-amerikanische Mezzo-Sopranistin Sylvia Anderson, die als Gastsolistin dann auch im SST auftrat, so 1978/79 als Salome. Mit den gemeinsamen Kindern Alexandra und Christopher lebte Familie Kuntzsch über zwölf Jahre in Saarbrücken.

In Saarbrücken dirigiert Kuntzsch rund 75 Opern und begleitet in über hundert Konzerten u.a. Yehudi Menuhin, Ruggiero Ricci, Radu Lupu, Eugène List, Stephen Hough, Andre Watts und Birgit Nilsson. Kuntzsch zeigt sich in vieler Hinsicht innovativ und bringt einen ganzen Reigen von neuartigen Musikveranstaltungen nach Saarbrücken. Gleich im 1.Sinfoniekonzert am 3./4.Oktober 1977 setzt er die „Waldmusik“ von Günter Bialas zu dessen 70. Geburtstag aufs Programm – und dies ganz bewusst: ihm ist an der aktiven Unterstützung deutscher Komponisten neuer Musik gelegen. Nicht nur die Arrivierten sollen künftig in Saarbrücken zur Aufführung kommen, wie Ligety mit seiner ersten Oper LE GRAND MACABRE, sondern vor allem Komponisten der jüngsten Generation wie der erst 20-jährige Detlev Müller-Siemens. Kuntzsch initiiert Kammerorchesterkonzerte des SSO mit orchestereigenen Solisten, ein Jugendkonzert in der Musikhochschule, ein Konzert mit Preisträgern von „Jugend musiziert“, probiert die Saarlandhalle als neue Spielstätte aus, sucht weitergehende Kooperation mit der Musikhochschule (die von Rektor Prof. Dr. Dieter Loskant am 22.Dezember 1978 ausdrücklich begrüßt wird), veranstaltet eine Woche um Eugène Albert (1864-1932) mit Einstudierung und Hörfunkproduktion seines GOLEM (1926). Wermutstropfen: den meisten Initiativen fehlt es an Nachhaltigkeit. Kuntzsch ist am Abend ein ausgesprochen routinierter Kapellmeister alter Schule. Im Wege steht ihm aber seine mangelnde Geduld und sein oft überbrodelndes cholerisches Temperament, die manche Probe eskalieren lassen und diverse Zusammenstöße mit Künstlern auf und unter der Bühne zur Folge haben. Der Spagat zwischen Pultautorität und doch so gerne kumpelhaftem Freund der Musiker gelingt nicht immer.

1977/78 166 Vorstellungen mit Beteiligung des SSO: 11 Opern in 91 Vorstellungen - 4 Operetten in 58 Vorstellungen 17 Ballettvorstellungen

Orchesterbesetzung: 13 1.Violinen – 10 2.Violinen – 7 Bratschen – 6 Celli – 4 Kontrabässe 4 Flöten – 4 Oboen – 4 Klarinetten – 4 Fagotte 5 Hörner – 4 Trompeten – 4 Posaunen – 1 Tuba 4 Pauken / Schlagzeug 1 Harfe

Am 24.9.1977 ist die erste Premiere des neuen GMD: DER FREISCHÜTZ. Am 17.-19.November 1977 gastiert das SST mit drei Vorstellungen DER LIEBESTRANK im neobarocken Stadttheater von Fürth.

4 Am 4. Januar 1978 kommen wegen extrem winterlicher Wetterbedingungen Musiker bis zu einer Stunde zu spät und der Tubist gar nicht zur Vorstellung DON CARLOS. Pech, dass es der Rezensent der SZ bemerkt und zum Zeitungsthema macht. DER RING DES NIBELUNGEN unter Kuntzsch Opern aus der vergangenen Saison werden fast ohne Proben wieder auf den Spielplan gebracht: RHEINGOLD ganz ohne, WALKÜRE mit einer, GÖTTERDÄMMERUNG mit zwei, ROSENKAVALIER mit drei Wiederaufnahmeproben. SIEGFRIED wird neu einstudiert und hat am 4. März 1978 Premiere unter Kuntzsch. Damit ist der von Prick begonnene RING DES NIBELUNGEN komplett, die zyklische Aufführung erfolgt mit RHEINGOLD am 12.3., WALKÜRE am 18.3., SIEGFRIED am 27.3. und GÖTTERDÄMMERUNG am 8.4.1978, eingebettet zwischen Vorstellungen anderer Opern und Operetten. Es herrscht Spielbetrieb an 7 Tagen, der spielfreie Montag ist noch in weiter Ferne, dazu oft am Sonntag Doppelvorstellungen, sodass sich der Vorhang meist achtmal in der Woche hebt. Es gibt noch die Kammerbühne unter dem Dach, ein Bläser-Oktett des SSO konzertiert dort am 30.3.1978 mit Beethoven und Mozart. Drei Stimmzimmer stehen dem SSO zur Verfügung, für die Minderheit der sieben Damen das heutige kleine Stimmzimmer der Klarinetten/Fagotte, in beiden großen Stimmzimmern darf geraucht werden, bis als Folge einer Unterschriftensammlung vom 3.4.1978 das Stimmzimmer zur Straßenseite Nichtraucher wird, an der Saarseite wird noch jahrelang gequalmt.

1978/79 231 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern in 97 Vorstellungen – 3 Operetten in 69 Vorstellungen, 1 Ballettabend (FEUERVOGEL/PULCINELLA) 17-mal - Musical MY FAIR LADY 30-mal

Recht gegensätzliche Akzente im modernen Musiktheater: György Ligety (1923-2006) mit LE GRAND MACABRE (Premiere 3.5.1979), nach Stockholm und Hamburg ist Saarbrücken ein Jahr nach der Uraufführung die dritte Bühne und Peter Jonas Korn (1922-1998) UA mit DAS FREMDE HAUS (oder HEIDI IN FRANKFURT, Premiere 28.11.1978). In dieser und der folgenden Saison 14 Aufführungen der SALOME mit Sylvia Anderson in der Titelrolle. Ein Antrag in der Orchesterversammlung vom 16.12.1978 zur Kleiderordnung wird abgelehnt: weiterhin spielen wir noch viele Jahre korrekt nach Tarifvertrag mit schwarzem Anzug, weißem Hemd und silberner Krawatte (und vorgeschriebenen schwarzen Socken). Die Liberalisierung zum schwarzen Hemd kommt erst rund 10 Jahre später. Die Kleidung für die Damen kommt im Tarifvertrag explizit nicht vor. Der aus schweren Zeiten stammende Orchesterfond für notleidende Musiker (Verwalter: Heinz Hasenbein) wird nach Abstimmung des Orchesters vom Amtsgericht aufgelöst und fließt auf Beschluss der Orchesterversammlung vom 2.7.1979 in die Orchesterkasse. Orchestervorstand Pleyer protestiert am 2.7.1979, dass bei der Trauerfeier für den verstorbenen Ministerpräsidenten Franz-Josef Röder (1909-1979) nicht das SSO, sondern das

5 Rundfunksinfonieorchester des SR (auch noch unter Leitung unseres GMD!) spielt: „das SSO sollte Ihr hauseigenes Orchester“ sein! Im Herbst 1978 gründen unter der rührigen Federführung von Solo-Oboist Wolfgang Räthe (1947-2005) fünf weitere Musiker des SSO (Stephan Weidauer (Fagott), Ulf Klausenitzer (Violine), Werner Wolf (Kontrabass) und der Geiger Thomas Vogtel als Cembalist sowie der Hochschuldozent Wolfram Koch (Blockflöte)) das BAROCKENSEMBLE DES SAARLÄNDISCHEN STAATSTHEATERS und debütieren am 19. Dezember 1978 in der barocken Basilika St. Johann. Im Konzert singt außerdem der damals neu am SST engagierte Tenor Josef Protschka (viel später, nämlich 2002 bis 2009 Rektor der Hochschule für Musik Köln) Kantaten von Bach und Bruhns. Die SZ unter der Überschrift „Virtuoses vor dem Fest“: „Bleibt nach diesem hoffnungsvollen Start zu hoffen, dass dieses Konzert nicht das letzte war und dass man die herrliche Basilika mit ihrer guten Akustik weiterhin nutzen wird.“ Am 12. April 1979 bildet Matthias Kuntzsch aus dem SSO ein Kammerorchester und musiziert bei heruntergelassenem Eisernen Vorhang im Großen Haus persönlich als Klaviersolist in Mozarts KV 453 und dann mit Bläser-Solisten aus dem Orchester (Wolfgang Räthe, Alfred Reiser, Stephan Weidauer, Martin Oheim).

1979/80 187 Vorstellungen mit SSO: 7 Opern in 97 Vorstellungen Wiederaufnahme MY FAIR LADY 9-mal

3 Operetten 63-mal - 1 Ballett 18-mal und

Die zentrale Feier zum Volkstrauertag am 18.11.1979 im SST wird mit dem Requiem von Donizetti einmalig vom SSO gestaltet. Gastdirigent Prof. Rolf Reuter (GMD der Komischen Oper, damals Berlin/DDR) dirigiert im 4. Sinfoniekonzert am 14./15.1.1980 die UA von Jürg Baur (1918-2010) ROMEO UND JULIA, die deutsche EA des Violinkonzertes von Otar Taktakischwili (1924-1989) (ehemals georgischer Kulturminister und aktiv beteiligter Künstler in der saarländisch-georgischen Partnerschaft) und die 4. Sinfonie von Beethoven. Reuter hinterlässt mit seiner „orchestererzieherischen Arbeit“ (OV Klausenitzer) einen tiefen Eindruck und wird für Jahre Wunschkandidat des SSO für den Chef-Posten. Am 16.Mai 1980 unternimmt das Orchester einen seiner seltenen Ausflüge in Eigenregie. Nach der Besichtigung der Fabrik Villeroy & Boch in Mettlach fährt man auf Vermittlung von Solo-Klarinettist Alfred Reiser zur feucht-fröhlichen Weinprobe nach Ürzig an der Mosel. Im 8. Sinfoniekonzert am 9./10.6.1980 dirigiert Kuntzsch LE SACRE DU PRINTEMPS, am 30.3.1980 ist unter seiner Leitung Premiere von PARSIFAL, wiederholt an den Karfreitagen 1980 und 1981 und neun weiteren Vorstellungen.

1980/81 163 Vorstellungen mit SS0: 8 Opern (u.a. ARABELLA, PARSIFAL, LABOHEME): 85 – 3 Operetten: 50 - Ballett (DORNRÖSCHEN): 16 - Musical (ANATEVKA): 12

6 Zum 70. Geburtstag des saarländischen Komponisten Heinrich Konietzny steht dessen Sinfonie für Streicher auf dem Programm des 2. Sinfoniekonzertes am 13./14.Oktober 1980. Andre Watts und Gerhard Oppitz sind Klaviersolisten mit Brahms und Bartok im 3. und 5. Sinfoniekonzert. In Gesprächen des OV und der Dramaturgie mit dem SR wird ein Film zum 70. Jahrestag der Gründung des Orchesters geplant. Dieser kommt jedoch nie zustande. Im Festakt am 26. Oktober 1980 zum 25. Jahrestag der Ablehnung des Saarstatuts 1955 spielt das SSO die Ouvertüren zu COSI FAN TUTTE und MEISTERSINGER. Gastspiel in Belgien Am 21.5.1980 gastiert man mit einem Sinfoniekonzert erstmals beim Flandern Festival im belgischen Kortrijk u.a. mit der 7. Sinfonie von Beethoven. Es gibt eine kleine Kammerkonzertreihe in der Musikhochschule. Das inzwischen vergrößerte Barockensemble des SST bespielt eine feste Konzertreihe in der Basilika St. Johann.

1981/1982 165 Vorstellungen mit SSO – 7 Opern 57-mal – 2 Operetten 57-mal – Ballett 10-mal – Musicals (ANATEVKA) und DER MANNN VON LA MANCHA) 25-mal

In einer Gala-Vorstellung von LOHENGRIN singt Siegfried Jerusalem am 26. September 1981 die Titelrolle. Mit einem Festkonzert unter GMD Kuntzsch am 7. Oktober 1981 eröffnet das SSO musikalisch die neu gestaltete Saarlandhalle. Am 18. Dezember 1981 gastiert es hier erneut mit einem Mammutprogramm von Beethoven: erst das Violinkonzert mit Yehudi Menuhin (1916-1999), danach mit Chor und Extrachor des SST dessen 9. Sinfonie. Am 20.November 1981 gibt man in Pirmasens ein Galakonzert mit dem beliebten ehemaligen GMD Prof. Siegfried Köhler als Benefiz für behinderte Kinder. Gastspiele in Belgien und Frankfurt Mit den Operetten ZIGEUNERBARON (24.11.1981) und ZIRUSPRINZESSIN (20.3.1982) beginnen die über mehrere Jahre wiederkehrenden Gastspiele des SST in der Frankfurter Alten Oper. Das Flandern Festival wird zum zweiten Mal besucht mit zwei Konzerten am 26. und 28.Mai 1982. Im 7. Sinfoniekonzert am 14./16.Juni 1982 erklingt die gigantische Sinfonie Nr.2 von Gustav Mahler. Der Montag wird ab dem 17.8.1982 spielfreier Tag. Das 70. Gründungsjubiläum des Orchesters am 14. Juni 1982 findet keine Erwähnung.

1982/1983 159 Vorstellungen mit SSO: 7 Opern 76-mal – 3 Operetten 60-mal – Ballett (NUSSKNACKER) 16-mal 2 Musicals (Übernahmen aus 1981/1982) 7

7 Das Jahr beginnt mit einer Sparmaßnahme: wegen Einsparungen im Öffentlichen Dienst werden zwei Orchesterstellen gesperrt. Die 13. Erste Geige und das 4. Fagott. Sollstärke bleibt 78, Ist-Stärke beträgt 73. Mit einer großen Matinee gedenkt man des 100. Todestages von Richard Wagner am 30. Januar 1983. Veit Jerger hält den Festvortrag, dass SSO unter Kuntzsch spielt Siegfried-Idyll und Wesendonck-Lieder. Sinfoniekonzert in Stuttgart Einen Tag später gastiert das SSO am 31.Januar 1983 im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle. (Hin- und Rückfahrt am selben Tag ohne Übernachtung in der Schwabenmetropole!) In der STUTTGARTER ZEITUNG vom 4.2.1983 kann man lesen: „Faible für Schumann… Opernorchester können nur in seltenen Fällen Konzertreisen unternehmen … Deshalb hatten es die Gäste aus Saarbrücken…auch nicht leicht, mit den einheimischen und anreisenden ausgesprochenen Konzertorchestern zu konkurrieren.“ Und in den STUTTGARTER NACHRICHTEN vom 5.2.1983: „Wenn ein Orchester auf Reisen geht, wird es sich überlegen: lässt man sich in die Karten schauen oder nicht, will man das Gemüt bewegen oder nur den technischen Standard sichtbar machen.“ Begeisterungsstürme lösen wir mit zweimal Schumann und dem Siegfried-Idyll auf dieser so höchst singulären Konzertreise nicht gerade aus. 70 Jahre SSO Mit einjähriger Verspätung findet am 9. Mai 1983 im Großen Haus das Festkonzert zum 70jährigen Bestehen des SSO statt: Leonoren-Ouverture Nr. 3 und Eroica von Beethoven und Tschaikowsky Klavierkonzert Nr.1 mit André Watts. Eberhard Pleyer schreibt für die Musikzeitschrift „Das Orchester“ einen Artikel, den immerhin auch die saarländische Zeitschrift „Rund um den Becker Turm“ abdruckt, Zitat: „In der Spielzeit 1983 kann das SSO auf sieben Jahrzehnte seines kulturellen Wirkens in unserem Lande zurückblicken…Der 70jährige Weg des Klangkörpers war leider finanziell nicht immer abgesichert und führte oft bis zur Bedrohung der Existenz. Aber dank eines aufgeschlossenen Publikums, einiger Mäzene und aufgrund der Förderung durch verantwortliche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens konnte sich die Kulturarbeit trotz zweier Weltkriege immer weiter etablieren…Die Mitglieder des SSO werden weiterhin bemüht sein, ihr ganzes Leistungsvermögen in den Dienst der Bevölkerung zu stellen.“ Eugen d’Albert-Woche Spielplanbegleitend und die Wiederaufführung von DER GOLEM vom 9. Juli 1983 umrahmend entwerfen der GMD und Dramaturg Veit Jerger eine ganze „Eugen d’AlbertWoche“ vom 3.-9. Juli 1983 zum 50. Todestag und 120. Geburtstag des Mannes, den wir sonst nur als den Schöpfer der Oper TIEFLAND kennen. Die Vorstellungen vom 12. und 15. Juli 1983 werden vom SR mitgeschnitten. Am 29. Juni 1983 wird die Fußballmannschaft des SST, die zum großen Teil aus Orchestermusikern besteht und seit Jahrzenten regelmäßig montags trainiert, Europameister bei der 15. Auflage der Theaterfußball-EM. Das Kultusministerium spendiert DM 100 für einen Fußball.

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1983/1984 170 Vorstellungen mit SSO: 9 Opern 97-mal – 3 Operetten 60-mal – Ballett 13-mal

Drei interessante und recht unterschiedliche Gastdirigenten am Pult des SSO: der 56-jährige Hans Zanotelli (Stuttgarter Philharmoniker) am 24./25.10.1983 mit der 2. Sinfonie von Jean Sibelius, der 36-jährige Daniel Nazareth (Berliner Symphoniker, später Chef am MDR) am 13./14.2.1984 mit der 3. Sinfonie von Saint-Saens und der 37-jährige Emmanuel Krivine (Orchestre Philharmonique de Radio France, heute Chef in Luxembourg) am 28./29.5.1984 mit der 1. Sinfonie von Tschaikowski. Jiří Kout stellt sich vor Ein ganz besonderes Gastdirigat in der Oper erlebte das Ensemble des SST am 26. Juni 1984. Jiří Kout war zwar bereits vom Zweckverband zum Nachfolger im Amte des GMD gewählt worden, sollte und wollte sich aber trotz vollendeter Faktenlage dem Orchester vorstellen. In der Vormittagsprobe – ein Probedirigat kann man es kaum nennen – mit Auszügen aus DIE VERKAUFTE BRAUT traf er auf ein totenstilles, hochgespanntes, aber aufmerksames SSO. Kout trat kreidebleich mit bitterernstem Gesicht fast versteinert ans Pult und gab in seinem liebenswürdigen Deutsch mit dem wunderbaren tschechischen Akzent eine kurze Erklärung ab. Er werde sich erstens nie gegen den Willen des Orchesters engagieren lassen und er dirigiere zweitens nicht deshalb DIE VERKAUFTE BRAUT, weil er Tscheche sei (die stand halt in der Einstudierung von Peter Sommer auf dem Spielplan). Dann hob er den Taktstock und gewann in wenigen Minuten Herzen und Hirne der Staatorchestermusiker. Am Abend dann gab es keinerlei Zweifel mehr: die Politiker um Kultusminister Prof. Dr. Wolfgang Knies hatten eine glückliche Entscheidung für das Saarbrücker Musikleben getroffen.

1984/1985 128 Vorstellungen mit SSO (ohne Oper VINCENT und Musical HELLO DOLLY): 6 Opern 62-mal – 3 Operetten 54-mal – Ballett 12-mal

Zwei Sonderkonzerte: Mit „Solisten des Staatsorchesters“ am 16. Dezember 1984 präsentieren sich Konzertmeister Wolfgang Kopp mit Beethovens Violinkonzert sowie SoloBratscher Antonin Soukoup und Uwe Schlick im Doppelkonzert von J. Anton Wranitzky. Die 19-jährige noch nicht ganz so prominente Anne-Sophie Mutter gastiert am 9. Februar 1985 mit dem Violinkonzert von Max Bruch. Damals noch mit badischem Akzent parlierend hört man vor Beginn von ihr ein: „Ii brauch kei a.“ (Hochdeutsch: „Der Erste Oboist braucht mir den Kammerton nicht anzugeben.“) Robert Leonardy spielt im 3. Sinfoniekonzert des SSO unter Dimitri Dimitriades am 7./8.1.1985 das Klavierkonzert g-Moll von Mendelssohn-Bartholdy. Kuntzsch stellt nach der Neunten in der vergangenen Saison nun die Achte von Bruckner vor. Die Alte Feuerwache Die Kammerbühne gibt es seit 1981 nicht mehr, Schauspielintendant Lothar Trautmann hat die ehemalige Feuerwache 1982 als zweite Bühne hinzu gewonnen. Kammerkonzerte haben noch lange nicht den Status einer festen Konzertreihe, sondern sind Einzelereignisse in der Alten Feuerwache. Das regelmäßig musizierende Darma-Trio (Konzertmeisterin Tomoko Kiba, Solo-Cellist Wolf-Dietrich Wirbach und die Pianistin Tokiko Kiba) geben zwei

9 Matineen und es gibt einen ungewöhnlichen Abend „450 Jahre Fagott“ mit der Fagottgruppe des SS0 am 13. Februar 1985. Das Barockensemble des SST veranstaltet vom 16.-24. März 1985 unter der Schirmherrschaft von Kultusminister Prof. Dr. Gerhart Zeitel eine Bachwoche zum 300. Geburtstag des Thomaskantors, darunter „Die Kunst der Fuge“ (in der Instrumentierung des 1984 pensionierten SSO-Bratschers Herbert Heise) und „Das musikalische Opfer“. Das nach seiner Gründung 1978 auf bis zu 12 Mitwirkende personell aufgestockte Ensemble hatte 1980 bis 1984 drei Langspielplatten produziert, mehrere Auslandstourneen unternommen, darunter nach Ägypten und Georgien, das damals zur Sowjetunion gehörende Partnerland des Saarlandes. Auf erneute Initiative von Wolfgang Räthe, dem Spiritus Rector, erfährt das in seiner Kammermusikformation weiter bestehende Ensemble eine Erweiterung zum Kammerorchester, gewinnt den Speyerer Domorganisten Leo Krämer als Dirigenten und nennt sich ab 1984 „Sinfonietta Saarbrücken“.

Die Ära Kout 1985 – 1991 Jiří Kout wurde am 26. Dez. 1937 in Prag geboren. Er studierte am Konservatorium von Prag Orgel und Orchesterleitung und gewann die Internationalen Dirigentenwettbewerbe von Besançon 1965 und Brüssel 1969. Nach seiner Ausbildung war Kout zunächst an der Pilsener Oper tätig. Aufgrund seiner öffentlichen Proteste gegen die Militär-Intervention der Sowjets in der Tschechoslowakei 1968 wurde er vom Theater entlassen, ehe er 1969 als Kapellmeister an das Nationaltheater in Prag ging. "Zur Zeit der sowjetischen Okkupation war ich Dirigent in Pilsen. Während einer Vorstellung von 'Zar und Zimmermann' hat sich ein junger Mensch vor dem Theater verbrannt", erzählte Kout in einem seiner seltenen Zeitungsinterviews. Nach einem erfolgreichen Gastengagement 1976 in Düsseldorf entschloss sich Jiří Kout dauerhaft im Ausland zu arbeiten. Nach sieben Jahren in Düsseldorf wurde er Generalmusikdirektor, Operndirektor und Leiter der Sinfoniekonzerte am SST in Saarbrücken.

Kout pflegt zwar durchaus das Repertoire seines Heimatlandes mit Sinfonik und Opern von Janacek und Dvorak. Aus dem Smetana-Zyklus „Mein Heimatland“ wählt er allerdings nur „Aus Böhmens Hain und Flur“. Auf die Frage, warum er nicht „Die Moldau“ mache, verzieht er sein Gesicht in typischer Manier zwischen Verzweiflung und Ironie und meint, die könne er nicht mehr hören. Schwerpunkte sind bei ihm Bruckner und Mahler, auch Tschaikowsky und Strawinsky, in der Oper Wagner und Strauss. Breits in seiner zweiten Spielzeit beginnt er acht Jahre nach dem RING von Prick und Kuntzsch erneut, das Riesenwerk zu stemmen, mit hauseigenem Ensemble. Kout ist ein durch und durch vergeistigter Dirigent, ein ganz tief empfindender Urmusiker, aber auch ein manchmal fast mimosenhaft gekränkter, nervöser und an sich und seinen Musikern leidender Mensch. Seine Schlagtechnik ist eigentlich gar nicht so perfekt, aber mit seinem Charisma ist er ein allseits respektiertes Vorbild und hoch geachteter Chef des Hauses, welcher das Orchester enorm voran bringt. Er steigert sich ungemein in die Musik hinein und verliert dabei durchaus auch mal den Taktstock oder die Brille, einmal fliegen sogar beide gleichzeitig in hohem Bogen ins Publikum. Wenn etwas nicht gelingen will, kommt leicht weinerlich seine zum Bonmot gewordene (rhetorische) Frage: „Was soll ich

10 machen!?“ Wenn’s ganz schlimm kommt, bleibt es nicht beim Haare raufen, sondern er kann sich schon mal am Pult umdrehen und mit den Fäusten gegen die Wand des Orchestergrabens trommeln. Das Publikum liebt und verehrt ihn, wenngleich er bei gesellschaftlichen Anlässen eher zurückhaltend, ja fast schüchtern wirkt.

1985/1986 156 Vorstellungen mit SSO: 7 Opern 77-mal – 3 Operetten 62-mal – 2 Ballett 17-mal – 2 Musicals (Übernahmen aus 1984/1985) 7 1.1.1986:

Von 5 gesperrten Stellen werden 3 freigegeben: 2 1.Violinen, 1 Kontrabass. Ist-Stärke: 76

Am 24.9.1985 fährt das SST zum Gastspiel ins Rokoko-Theater Schwetzingen, unter dem 1. Kapellmeister Hans Urbanek werden DIE VIER GROBIANE zu Gehör gebracht. Am 7. Oktober 1985 tritt im 1. Sinfoniekonzert der neue GMD erstmals ans Pult des SSO. Mit Beethoven, Hindemith und der Großen C-Dur Sinfonie von Schubert (ein Konzert ohne Solisten) liefert er einen glänzenden Einstand. Etwas seltsam dann die herummäkelnde Kritik der SZ trotz der Begeisterung unseres Publikums. Die Folge: eine mittelschwere Leserbrief-Schlacht. Am 30. Oktober 1985 dann die erste Opernpremiere mit CARMEN. Kout stürmt in den Graben und noch im Laufen in den Begrüßungsapplaus hinein gibt er den vehementen Einsatz zur Torero-Musik. Bestürzt nimmt das SSO zur Kenntnis, dass der gerade pensionierte Solo-Klarinettist Alfred Reiser ganz überraschend verstorben ist. Er hatte sich Wochen vorher noch mit einem liebenswürdigen Brief vom Orchester in den Ruhestand verabschiedet, dessen erster Satz „Nun ist auch meine Zeit um“ nun eine ganz andere Bedeutung bekam. Der neugewählte Ministerpräsident Oskar Lafontaine gibt am 20.Januar 1986 - wie auch in den kommenden Jahren - seinen Neujahrempfang im SST unter musikalischer Begleitung durch das SSO.

1986/1987 158 Vorstellungen mit SSO: 11 Opern 79-mal – 4 Operetten 62-mal – 2 Ballett 17-mal

Durch sieben Wiederaufnahmen bemüht sich Kout, dem Musiktheater des SST ein breiteres Repertoire zu verschaffen. Mit der Premiere zu RHEINGOLD am 27. Juni 1987 beginnt ein erneuter Aufbau des RING DES NIBELUNGEN nach 1925 mit GMD Felix Lederer, 1968 mit GMD Siegfried Köhler und 1978 mit GMD Matthias Kuntzsch der vierte Saarbrücker RING Kout und der OV erreichen die Freigabe von zwei Stellen, das SSO hat nun 80 Stellen.

1987/1988 194 Vorstellungen mit SSO: 10 Opern 81-mal – 3 Operetten 60-mal – Ballett 18-mal – 2 Musicals 48 mal (!)

Kout setzt von Bruckner die 5. Sinfonie, von Mahler die 1. Sinfonie, von Tschaikowsky die 4. Sinfonie und von Strauss DON JUAN aufs Konzertprogramm. Rolf Reuter kommt erneut als Gastdirigent und bietet mit dem Collegium Cantorum und dem SSO eine vergeistigte und zutiefst beeindruckende SCHÖPFUNG von Haydn.

11 Mit sieben Wiederaufnahmen enthält das immer ansehnlicher werdende Repertoire im Musiktheater sechzehn Werke. LADY MACBETH VON MZENSK (Premiere 4.11.1987 in der Inszenierung von Schauspieldirektor Lothar Trautmann), ROSENKAVALIER (Premiere an Silvester 1987!), ELEKTRA (WA), RHEINGOLD (WA) und Fortsetzung des RING mit WALKÜRE (Premiere 26.6.1988) sind Beweise für die Machbarkeit großer Oper am SST. Dramaturgin Susanne Berger und der Leiter der Schauspielmusik Gottfried Schramm schreiben ein eigenes Saarbrücker Musical über Toulouse-Lautrec: PETIT BIJOU (UA 26.2.1988). 75 Jahre SSO „75 Jahre Saarländisches Staatsorchester Saarbrücken“ ist die ganze Saison durch in und auf den Programmheften der Konzerte zu lesen und gefeiert wird mit einem Sonderkonzert am 24. November 1987. Theo Brandmüller hat das Auftragswerk komponiert: „Cis-Cantus 3“ (LORCA – Kathedralen) erlebt die Uraufführung, der „exzentrische Popstar der Klassik“ (SZ) Ivo Pogorelich (damals 29) ist prominenter Solist in Tschaikowskys Klavierkonzert bMoll und endlich dürfen Publikum und SSO mit tschechischem Chef in Dvoraks 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt“ schwelgen. Der SR sendet zeitversetzt das Brandmüller-Opus in „Musik der Gegenwart“ (8.6.1988). OV Pleyer sammelt eifrig Spenden, um einen respektablen Jubiläumsempfang zu organisieren, von der Stadt kommen 1000 DM, die damals noch florierende Brauerei Neufang spendet ihr „Saarbrücker Grafenpils“. AlbertPeter Bitz im Feuilleton der SZ: „Wer in jüngster Zeit vom SSO in Konzerten die Interpretationen von Sinfonien Bruckners oder Mahlers und im Musiktheater Wagners RHEINGOLD, die ELEKTRA von Strauss oder Schostakowitschs LADY MACBETH VON MZENSK miterlebt, wer den Musikern für ihre vortrefflichen Leistungen mit viel Applaus gedankt hat, hat in seiner Begeisterung gewiss nicht bedacht, dass es gar nicht so selbstverständlich ist, in Saarbrücken einen Klangkörper zu haben, der höchsten Ansprüchen in imponierender Manier gerecht werden kann…Anlass zur Freude über das Erreichte, aber auch Grund zur Reflexion darüber, wie schwer heute Selbstverständliches errungen wurde – und zu bewahren ist.“ Vorstandsvorsitzender Pleyer: „Wenn wir Künstler vom Range Jiří Kouts behalten, die uns zu Höchstleistungen anspornen, dann hat das Staatsorchester noch eine große Zukunft.“ Die Kammerkonzert-Reihe spielt nun in der Alten Sammlung (Schillerschule) und umfasst mittlerweile neun Konzerte von Bläserquintett und Harfenquintett bis Klavierquintett. Der Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes, Werner Klumpp, spendet dem SSO für die erfolgreiche Gestaltung des RING zwei Wagner-Tuben.

1988/1989 Der Theater-Umbau Das Staatstheater schließt! In dieser Saison findet der große, längst fällige Umbau des Theaters statt. Schon Anfang der 80-er-Jahre wurde im Zweckverband darüber diskutiert, doch erst nach dem Regierungswechsel im März 1985 hatte man sich unter Federführung von Staatssekretär Dr. Kurt Bohr um konkrete Planungen bemüht. Für den ersten Bauabschnitt (eine zweiter fand bis heute nicht statt) stellt die Landesregierung 13,5 Mill.

12 DM bereit. Architekt Prof. Gottfried Böhm soll das in die Jahre gekommene Theater nicht nur aus seiner räumlichen Enge befreien, sondern die erste Renovierungsphase so anlegen, dass spätere bauliche Verbesserungen möglich bleiben. Sanierungen der Bausubstanz, Erneuerung der Belüftungsanlage und der Elektroinstallation, neue Bestuhlung und ein prächtiges Deckengemälde gelingen. Mit Herausnahme der Holzvertäfelung und deren Ersatz durch etwas billig wirkende Rigipsplatten allerdings verschlechtert sich die ohnehin nicht grandiose Akustik erheblich. An vieles wird gedacht, auch an die Neugestaltung des Foyers. Der Jahrzehnte lang vorgetragenen Bitte des SSO hingegen, den Orchestergraben zu vergrößern, wird nicht stattgegeben. Man vertröstet mit Verschiebung in den nächsten Bauabschnitt. GMD und OV hatten Pläne erarbeiten lassen, aus welchen allerdings hervorging, dass eine Erweiterung Richtung Publikum (mit Herausnahme von 1-2 Stuhlreihen) aus statischen Gründen nicht möglich ist. Eine Erweiterung um rund 1,5 m unter die Bühne dagegen wäre realistisch gewesen. So ist auch im Jubeljahr 2012 einer der ganz vorrangigen Wünsche des SSO immer noch die Vergrößerung des Grabens! Das Motto heißt „Trotz Umbau, wir spielen weiter!“ und so gibt es Konzerte und kleinere Musiktheaterproduktionen an ungewohnten Spielstätten, wie der Aula der Universität, dem Saarlandmuseum, der Hochschule für Musik, der Schlosskirche. Dort erklingen zwei Barockopern von Telemann und Scarlatti und zwei Zeitgenossen (Udo Zimmermann WEISSE ROSE, Wolfgang Rihm JACOB LENZ). Das SSO konzertiert in der Kongresshalle mit Bruckners Neunter, Mahlers Zehnter und Brahms Dritter sowie mit konzertanten Opernaufführungen wie Mozarts IDOMENEO, Bartóks BLAUBART und Strawinskys OEDIPUS REX. Gerade die 50. Spielzeit seit dem Neubau 1938 muss außerhalb dieses Hauses gefeiert werden: an Sylvester 1988 mit Beethovens Neunter in der Kongresshalle. In zwölf Kammerkonzerten, die inzwischen als feste Reihe von Wolfgang Räthe geleitet werden, spielen ungewöhnlich viele Mitglieder des SSO in vier Spielstätten. Außerdem werden zahlreiche Auftritte in Schulen mit kleinen Ensembles durchgeführt. Am 29. April 1989 ist es soweit: feierliche Wiedereröffnung des Großen Hauses! Intendant Martin Peleikis begrüßt die Ehrengäste, Oskar Lafontaine hält die Festrede, Jiří Kout dirigiert das SSO mit Beethoven und Mozart. Aus diesem Anlass gibt es nun auch einen Film des SR, aber nicht über das Orchester sondern über die Geschichte des Hauses. In den verbleibenden Monaten der Spielzeit werden immerhin als Wiederaufnahme sechs Opern gegeben und noch drei Premieren aufgeführt, darunter als drittes Stück im RING ab 20.Mai 1989 SIEGFRIED. Das SST wird GmbH Neben der äußeren Form des Staatstheaters änderte sich auch an seiner Struktur nun Grundsätzliches. Nach der langjährigen Aufteilung zwischen Stadt und Land zu je 50% verabschiedet sich die Landeshauptstadt Saarbrücken komplett aus der Finanzierung ihres Theaters und das Land wird zu 100% Arbeit- und Geldgeber. Hierfür wird ab 1.1.1989 als neue Organisationsform die – viel gefürchtete, dann aber problemlos agierende - GmbH gewählt. Ein Aufsichtsrat löst den Zweckverband ab, Vorsitzender wird Kultusminister Prof. Dr. Diether Breitenbach. Er scheibt im Booklet zur Wiedereröffnung: „Diese Rechtsform gibt

13 dem Theater mehr künstlerische Freiheit, Selbständigkeit und größeren Entscheidungsraum.“ Die beiden Geschäftsführer Martin Peleikis als Intendant und Helmut Beckamp als Kaufmännischer Direktor lösen ein seit 1971 wirkendes Triumvirat aus Generalmusikdirektor, Schauspielintendant und Verwaltungsdirektor ab.

1989/1990 166 Vorstellungen mit SSO: 11 Opern 73-mal – 3 Operetten 51-mal – Ballett 21-mal – Musicals 21-mal 1.1.1990: mit 8.Bratsche und 6.Horn Ist-Stärke 80

Kout stellt in Sinfoniekonzerten Tschaikowskys Fünfte vor.

Mahlers

Fünfte,

Schostakowitschs

Neunte

und

DER RING DES NIBELUNGEN unter Kout Mit der Premiere GÖTTERDÄMMERUNG am 24.3.1990 ist der RING vollendet. Die Zyklusaufführung findet statt am 12.4. RHEINGOLD, 14.4. WALKÜRE, 16.4. SIEGFRIED und 22.4. GÖTTERDÄMMERUNG . Dies sollte für nunmehr 22 Jahre der letzte geschlossene RING DES NIBELUNGEN in Saarbrücken werden! Dem nachfolgenden Chef Jun Märkl gelingt es nicht, den RING wiederaufzunehmen, selbst auf die als Kompromiss erbetene WALKÜRE müssen er und Saarbrücken resignierend verzichten, denn der neue Generalintendant Schildknecht verkündet wörtlich „In meiner Ägide wird es keinen Ring geben.“ Das Orchester ist 1990 verglichen mit der Jetztzeit enorm viel beschäftigt. Allein in der Woche 23.-29.4.1990 spielt es sechs verschiedene große Opern, darunter GÖTTERDÄMMERUNG. Mit FIGAROS HOCHZEIT gastiert es ohne Übernachtung dreimal hintereinander in Luxembourg. Für das CD-Album „Musik an der Saar“ produziert das SSO am 5.12.1989 im SR Ausschnitte aus Dvoraks RUSALKA. Am 15. Dezember 1989 stellt sich ein etwas hagerer und nicht sehr großer junger Herr im Probedirigat um die frei werdende Stelle des GMD vor und bekommt das Orchestervotum: Jun Märkl. Auf Initiative von OV Pleyer erscheint das neue Deckengemälde des SST von Peter Schubert als Titelseite der Ausgabe 6/1989 der Fachzeitschrift „Das Orchester“. In einem Brief vom 7.3.1990 reagieren GMD, OV und das ganze unterschreibende SSO „mit Verwunderung, Bestürzung und Empörung“ darauf, dass der Aufsichtsrat die Vergrößerung des Orchestergrabens erneut ablehnt. GMD Kout hatte bereits am 25.10.1988 die Verlängerung seines Vertrages von dieser in vielerlei Hinsicht überfälligen Maßnahme abhängig gemacht! Für den ausscheidenden 1.Kapellmeister Hans Urbanek wünscht sich das SSO den 2. Kapellmeister Kenneth Dureya als Nachfolger, Jun Märkl greift ordnend in das verfahrene Auswahlprocedere ein. Der OV äußert am 5.4.1990 Unverständnis über das Engagement eines Gastdirigenten – des etwas grotesken Gustav Fülleborn - für die Produktion ZAREWITSCH. In der Vorstellung FIDELIO am 6.4.1990 dirigiert dann plötzlich auf Empfehlung des Generalintendanten in spe, Kurt-Josef Schildknecht, Cali Cortbus aus Hannover. Die Verwirrung ist vollkommen, Dureya verlässt das SST auf eigenen Wunsch.

14 Die neue Theaterleitung sieht schon am 9.Juli 1990 die Verlegung der Sinfoniekonzerte in die Kongresshalle ab Spielzeit 1991/1992 vor. Auch in dieser Spielzeit findet wieder ein feuchtfröhlicher Orchesterausflug statt; am 8.11.1989 geht es zur Brauereibesichtigung nach Homburg zu Karlsberg.

1990/1991 167 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern 82-mal – 2 Operetten 46-mal – Ballett 23-mal – Musicals 16-mal

Die Spielzeit wirkt ein bisschen wie eine Übergangsphase, Kurt-Josef Schildknecht steht ante portas, Jiří Kout und Martin Peleikis haben ihre letzte Saison, ersterer schon parallel zu seiner neuen Stelle an der Deutschen Oper Berlin. Kout setzt seinen Bruckner-Zyklus mit dessen Siebter fort und bietet im letzten Sinfoniekonzert am 17./18.Juni 1991 mit Leoš Janáček und Antonín Dvorák tschechische Musik zum Abschied. In der Oper sind AUS EINEM TOTENHAUS von Leoš Janáček und FRAU OHNE SCHATTEN von Richard Strauss die Großereignisse. MY FAIR LADY erlebt in zwei Spielzeiten 37 Vorstellungen. Am 10.6.1991 gibt es nachts einen Schwelbrand in den Stimmzimmern, größerer Schaden entsteht glücklicherweise nicht. Im Sinfoniekonzert am 18.Juni 1991 verabschiedet (der selbst scheidende) Intendant Martin Peleikis unseren GMD: „Welch einen Impulsgeber wir hier verlieren, merken Sie ja selbst, hier vor diesem Orchester.“ Außer Kout werden der Klarinettist Berthold Krenz nach 35 Jahren und Posaunist, Orchestervorstand, Gewerkschaftsdelegierter und Betriebsrat Eberhard Pleyer („ein nicht immer bequemer, aber wichtiger Mann“) nach 32 Jahren am Saarbrücker Theater vom Intendanten öffentlich verabschiedet.

Die Ära Märkl 1991 – 1994 Jun Märkl wurde am 11. Februar 1959 in München geboren. Der Sohn eines deutschen Geigers und einer japanischen Pianistin wurde schon im Alter von vier Jahren von seinen Eltern in Klavier und Geige unterrichtet. 1978 begann er an der Hochschule für Musik und Theater Hannover Klavier (Karl Engel) und Geige sowie Dirigieren (Lutz Köhler) zu studieren. Nach dem Diplom setzte er seine Studien bei Kees Bakels und Sergiu Celibidache fort. 1986 gewann er den Dirigentenwettbewerb des Deutschen Musikrates. 1987 erhielt er ein Stipendium des Boston Symphony Orchestras, um in Tanglewood bei Leonard Bernstein und Seiji Ozawa Dirigieren zu studieren. Nach Engagements an Theatern in Luzern, Bern, Darmstadt und Mannheim (1. Kapellmeister) war er bis 1994 Chefdirigent des SSO und GMD des Saarländischen Staatstheaters in Saarbrücken, von wo er als Operndirektor und Generalmusikdirektor dem Ruf ans Nationaltheater Mannheim folgte.

Märkl wählt in Zusammenarbeit mit Musikdramaturg Matthias Kaiser intellektuell höchst anspruchsvolle programmatische Leitgedanken für die Konzertprogramme, häufig in Zitate gekleidet wie „Mehr Ausdruck der Empfindung“, „L’ombre est douce“ oder „Wann du dich erhebst“. Im Interview mit der SZ anlässlich seines ersten Sinfoniekonzertes in Saarbrücken am 28. Oktober 1991 erklärt er: „Es geht mir nicht um die reine Musik. Ich verstehe die Konzerte als Anregungen zu einem Thema, das die Gedanken in eine Richtung lenkt, und versuche, darunter möglichst verschiedenartige Musik zusammenzubringen.“ Zu etlichen Konzerten schreibt er ein persönliches Geleitwort ins Programmheft; er ist es auch, der die

15 namentliche Nennung aller in einem Sinfoniekonzert mitwirkenden Musiker/-innen des SSO im Programmheft einführt. „Ruhig, glühend, Herr der musikalischen Zeit…sehr schmal, sehr jung wirkt Märkl auf dem Dirigentenpodest. Was dem Respekt, den er offenbar bei den Musikern genießt, keinen Abbruch tut.“ (SZ 30.10.1991) Der 32-jährige besticht durch fulminant exakte Zeichengebung, der von ihm dirigierte „Sacre“ sucht schlagtechnisch seinesgleichen. Seine Präzision ist zwingend und lässt keine Missverständnisse zu. Was manche ihm ankreiden: er sei zu kühl, zu verkopft, zu wenig emotional. Hin und wieder gedeihe gepflegte Langweile, da manche Musiker „von dem da vorn“ packender angespornt werden möchten, anstatt sich des exakten Dirigates zu freuen und die von Märkl – zumindest den Orchestersolisten – gewährte Freiheit zur Interpretation schöpferisch zu nutzen. Läuft auf der Bühne etwas schief, kann man sich über Märkls angeblich fehlende Emotion nicht beklagen. Einem völlig aus dem Ruder laufenden Tenor in TURANDOT zeigt er coram publico gar den bei weiterlaufendem Dirigat ausgezogenen Lackschuh! Neben dirigentischen Qualitäten erweist sich Märkl vom ersten Moment an als ein echter allzeit präsenter Chef und stellt durch energische wie kluge Personalentscheidungen so manche Weiche in eine bessere Richtung.

1991/1992 153 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern 84-mal – 1 Operette 18-mal – 1 Musical 51-mal

Die Ära Schildknecht beginnt Neustart! Jun Märkl kommt zwar zunächst nur als Chefdirigent der Sinfoniekonzerte und erst ab 1992/1993 als GMD (ohne den Titel Operndirektor), dafür hat das SST nach Hermann Wedekind erstmals wieder einen Generalintendanten. Kurt-Josef Schildknecht und sein Team werden für die nächsten 15 Jahre dem SST ihren Stempel aufdrücken. Das SST erhält ein neues ansprechendes Logo, auf dem Dache weht es als Fahne, die Programmhefte erhalten (nach ständigem Outfit-Wechsel) für 15 Jahre ein einheitliches und sympathisches Erscheinungsbild. Zur Eröffnungswoche der Saison und der neuen Ära steht vom 7.-15. September 1991 auf dem Schillerplatz / Tbilisser Platz ein großes Theaterzelt, in welchem sich alle Ensembles des SST hören und sehen lassen, das SSO mit kammermusikalischen Beiträgen. Maurice Ravel, Claude Debussy und andere französische Impressionisten scheinen Märkls Faible zu sein. Er setzt aber auch auf Kontinuität mit Gustav Mahler, Igor Strawinsky und relativ zahlreichem Mozart (am 26./27.3.1993 die 1. Sinfonie KV 16 von 1764), neben bekannten auch unbekannte Namen. Der „alte Chef“ erscheint nochmal als Gast: Jiří Kout hinterlässt bleibenden Eindruck mit der 8. Sinfonie von Bruckner. Das Musiktheater eröffnet am 15. September 1991 mit der WEST SIDE STORY, welche den klassisch ausgebildeten Musikern des SSO einiges an Jazz-Stilistik abverlangt. Die Highlights in der Oper sind AIDA und SALOME (in der Inszenierung von Schildknecht), die JOHANNESPASSION wird von Christian Pöppelreiter auf die Opernbühne transferiert, das Oratorium wird szenisch aufgefasst. Im Orchester stilistisch leider immer noch gänzlich unberührt von der historisch informierten Aufführungspraxis, ein seltsamer und aggressiver Wolfgang Bothe steht als Gast am Pult.

16 Da der öffentliche Dienst, und damit die Bühnentechnik, streiken, sind Vorstellungen am SST gefährdet. Durch hohen Einsatz von Chef, Gesangssolisten und Musikern des SSO findet man als Lösung: konzertante Opern! Die Musiker dürfen gar nicht streiken, schleppen dafür Stühle und Pulte selbst auf die Bühne. Am 29.4.1992 mit AIDA, am 30.4. und 3.5. mit FIGAROS HOCHZEIT und am 2.5. mit SALOME erlebt das Publikum das Opernorchester im Frack auf der Bühne. Die Abende werden überraschend zu ganz besonderen Konzerterlebnissen. Chefdirigent Märkl hatte die Technische Direktion am 29.10.1991 gebeten, die unzulänglichen akustischen Bedingungen beim Konzertaufbau zu verbessern, weg mit den schwarzen Schals, mehr Holz und möglichst den Plafond mit schräg gestellten Akustikplatten und entscheidet am 15.6.1992: die Sinfoniekonzerte bleiben im Großen Haus des SST! Kurt-Josef Schildknecht, Jun Märkl und der Orchestervorstand führen am 4.3.1992 ein Grundsatzgespräch mit Herren des Hochbauamtes. Das Resultat: eine Vergrößerung des Orchestergrabens ist vor dem Jahre 2000 nicht möglich; die einzig technisch mögliche Lösung mit der Erweiterung um 1,5m in den Bühnenbereich brächte 11 m² mehr Fläche und wird mit DM 600.000 veranschlagt. Einen Tag später (5.3.1992) vereinbaren die musikalischen Leiter des SSO Saarbrücken Jun Märkl und Marc Soustrot vom Orchestre Philharmonique des Pays de la Loire (OPPL) Nantes eine besondere Zusammenarbeit. Im Herbst 1992 soll das SSO für eine zehntägige Konzertreise in die Partnerstadt Saarbrückens, im Gegenzug dann das ONPL im Oktober 1993 nach Saarbrücken und Luxemburg kommen. Ein Konzert im Arsenal Metz wird angestrebt.

1992/1993 175 Vorstellungen mit SSO: 7 Opern 86-mal – 3 Operette 34-mal – Ballett 17-mal - Musical 38-mal

Das SSO wird 80 Das Staatsorchester wird 80! Gefeiert wird im Rahmen des regulären 2. Sinfoniekonzertes am 16./17. November 1992, welches zum Jubiläumskonzert erklärt wird. Romantisch und deutsch das Programm mit der FREISCHÜTZ Ouvertüre von Weber, den WesendonckLiedern von Wagner und ALSO SPRACH ZARATHUSTRA von Strauss. Vorausgegangen war eine Publikumsbefragung, in welcher man sich die Ouvertüre für den Abend wünschen durfte. Gundula Janowitz ist prominente (und vom Verein der Freunde des SST gesponserte) Gesangssolistin, die Soli im Strauss spielt Konzertmeister Wolfgang Kopp. Auszüge aus den Grußworten im Programmheft: Kultusminister Prof. Dr. Breitenbach: „Das Orchester hat entscheidend dazu beigetragen, die künstlerischen Leistungen des Staatstheaters weit über die Grenzen unseres Landes hinaus bekannt zu machen. Dafür gebührt allen Orchestermitgliedern unsere besondere Anerkennung.“ Jun Märkl: „Das 80jährige Jubiläum eines Orchesters begehen zu können, bedeutet, auf eine bemerkenswerte Tradition in der musikalischen Arbeit zurückzublicken. Doch Tradition meint ja nicht Asche zu bewahren, sondern die Glut zu schüren, dem Funken der Inspiration immer wieder neu zu entzünden.“ OV Anso Fiedler: „Auch wenn das SSO in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert, wird es mit Hilfe unserer begeisterungsfähigen Zuhörer jung bleiben.“ Der Autor

17 dieses Artikels meldet sich ebenfalls mit einem Beitrag „80 feiern den Achtzigsten“: „Wir möchten für gleich gute und gleich schwere Musik nicht schlechter bezahlt werden als die KollegInnen in Wiesbaden oder Darmstadt, Kassel oder Ludwigshafen. Wir erwarten keine Wunder, aber eine Perspektive. Zum anderen hätten wir gerne einen Orchestergraben, in dem wir uns nicht auf die Füße treten oder den Geigenbogen dem Nachbarn ins Auge pieksen. Wenn Opern nicht in angemessener Orchesterstärke gespielt werden können, bleiben wir auch dem Publikum etwas schuldig.“ Nach dem Konzert im SST wird mit Reden, Sektempfang und einer Orchesterfête mit zahlreichen musikalischen Einlagen gebührend gefeiert. Peter Ziegler aus der 1. Violinen-Gruppe dokumentiert dies auf Video. Am 3.1.1993 spielt das SSO unter Märkl ein Neujahrskonzert, nicht nur Strauß, auch Ravel und Francaix kommen zu Gehör. Geiger Heinz Mederer macht den Moderator. Am 14.1.1993 findet der Empfang des Ministerpräsidenten erneut im SST statt. Wir werden ein A-Orchester! Am 25. Mai 1993 gibt es wieder etwas zu feiern, etwas Großes: nach jahrzehntelangem Kampf wird das SSO Saarbrücken stufenweise in die Gehaltsklasse TVK A angehoben. Der OV lädt als kleines Dankeschön den Aufsichtsrat und die Geschäftsführung zu einem Umtrunk nach dem 7. Sinfoniekonzert ein. Näheres hierzu im Artikel „Der Kampf ums richtige A“. Am 3.4.1993 sendet der SR im „Kulturspiegel“ einen Beitrag über Jun Märkl. Vom 8. Sinfoniekonzert (in der Kongresshalle) am 28./29.6.1993 im Rahmen der Musikfestspiele Saar mit Ravel pur wird DAPHNIS ET CHLOÉ mitgeschnitten und als CD produziert. Im Musiktheater ragen LOHENGRIN und LA BOHÈME unter dem nun auch für die Oper offiziell zuständigen GMD Märkl heraus. Das Musical JESUS CHRIST SUPERSTAR erlebt seine Premiere ungewöhnlicherweise am 29.10.1992 im Theater Luxemburg. Die DREIGROSCHENOPER findet seltsamerweise ohne Beteiligung des SSO statt, ziemlich mittelmäßige Amateurmusiker ersetzen die Profis. Man wundert sich. Andererseits werden Musiker des SSO zu „erhöhter Statistenaufgabe“ herangezogen: in Offenbachs Operette RITTER BLAUBART in der Inszenierung des Geist und Witz versprühenden Chris Alexander spielen elf Musiker in Kostüm, Maske – bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und szenischer Aktion mit. Einen Riesenlacher gibt es, als Blaubart Rudi Schasching sich ob der Trauer über seine siebte verstorbene Gattin auf den Sarg schmeißt und diesen ob seines Gewichtes mit berstendem Getöse unter sich zertrümmert. Märkls Vertrag in Saarbrücken läuft bis Ende der Spielzeit 1995/1996, doch bereits 1992 ködert Mannheim seinen ehemaligen 1. Kapellmeister mit dem Chefposten. Das Saarbrücker Ensemble möchte Märkl aber unbedingt behalten. Märkl erwartet dafür in Saarbrücken Höherstufung des Orchesters nach A, Vergrößerung des Orchestergrabens und breiteres Repertoire im Musiktheater. In diesem Zusammenhang liest man in der SZ vom 20.11.1992, das Orchester habe Märkls Verbleib bis 1996 erwartet, vielleicht sogar auf eine Verlängerung spekuliert. OV Anso Fiedler über Märkls Arbeitsweise: „Ökonomisch und konstruktiv, auf menschlicher Ebene so befreiend, dass man sich auf ein schönes Spielen freuen kann.“ Am 16.2.1993 zeichnet sich in der als Probedirigat angesetzten Vorstellung LOHENGRIN in Luxemburg bereits Nachfolger Laurent Wagner ab.

18

1993/1994 138 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern 82-mal – 2 Operetten 33-mal – Ballett WA 6-mal – Musical WA 17-mal

Das 2. Sinfoniekonzert „GIPFELTREFFEN“ am 8./9. November 1993 wird ein tiefes Erlebnis: als außergewöhnlicher Gastdirigent von Weltniveau dirigiert Jeffrey Tate Mozarts Jupitersinfonie und Bruckners 2. Sinfonie. SZ: „Selten hat man von einem Saarbrücker Orchester eine technisch so saubere Mozartinterpretation gehört.“ Das 6. Sinfoniekonzert am 28./29.3.1994 dirigiert als Gast bereits der neue GMD in spe, Laurent Wagner, ein ganz französisches Programm mit Wolfgang Kopp als Violinsolisten. Im 7. Sinfoniekonzert konzertieren in Mozarts Sinfonia concertante vier Solo-Bläser (Anne-Katrin Laporte, Günter Schraml, Reinhold Ernst, Stephan Weidauer) ebenfalls als orchestereigene Solisten. Das Neujahrskonzert 1994 (2.1.) bringt keine Johann-Strauß-Polkas-Walzer, sondern die Kleinigkeit der 9. Sinfonie von Bruckner, immerhin nicht vormittags…Große Oper gibt es mit TURANDOT und LULU. Tag der deutschen Einheit 1993 Drei Jahre nach der Wiedervereinigung ist das Saarland Ausrichter des Tages der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1993. Das ZDF überträgt live, höchste Sicherheitsstufe, selbst Mitwirkende kommen nur nach schärfsten Kontrollen in die Kongresshalle, Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Bundeskanzler Helmut Kohl und weitere 1100 prominente Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft geben sich die Ehre. Das SSO staatstragend beim Festakt dabei, GMD Märkl ist ausnahmsweise spürbar nervös. Dies scheint sich auf einige Musiker zu übertragen. Beinahe kommt es zur musikalischen Großkatastrophe und Blamage für die Gastgeber: eine Orchestersolistin verliert so die Nerven, dass in Beethovens Egmont-Ouvertüre anstelle einer getragenen Kantilene nur ein leises „biep biep“ zu vernehmen ist. Ein Orchester erstarrt für Sekunden. Nun beweist Märkl Nervenstärke und lädt lächelnd mit einer Handbewegung zum zweiten Versuch ein, der – gottlob – dann klappt. Nach Reden von Gastgeber Oskar Lafontaine, Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und Festredner EU Kommissar Jaques Delors spielt das SSO den Finalsatz aus der 4. Sinfonie von Schumann, nach deren Ende Lafontaine gratulierend Märkl die Hand reicht. Am Ende springt Märkl mit einem Satz vom ziemlich hohen Podium vor die Füße der Exzellenzen und lässt sich von Präsident und Kanzler beglückwünschen. Die Gratulationen hängt er schreibmaschinengetippt noch am selben Abend vor der Vorstellung TURANDOT (Kinderchor und SSO hatten einen vollen Tag!) ans Schwarze Brett des Orchesters. Weizsäcker: „Sehr gut, - vor allem der Schumann!“ Konzertreise nach Frankreich Am 7.-13. Oktober 1993 begibt sich das SSO auf eine mehrtägige Konzertreise nach Frankreich. Konzerte finden statt in La Roche-sur-Yon (8.10.), Laval (9.10.), Angers (10.10.) und Saarbrückens Partnerstadt Nantes (12.10.) Viermal spielt das „Orchestre d’Etat de la Sarre“ dasselbe Programm: Schumann, Brahms, Schubert. QUEST FRANCE vom 14.10.1993: „Ohne das Feuer und die Begeisterung der Jugend zu verleugnen, hält Jun Märkl sein Orchester entschlossen und klarsichtig in fester Hand.“ In Nantes muss die Bestuhlung von 500 auf 1000 erhöht werden. Freundschaftliche Empfänge mit Reden, Buffets und Vin d’honeur sowie Kontakte zu den Kollegen des OPPL runden die gelungenen Konzerte ab. Orchesterpartnerschaft mit den Philippinen Auf Anregung und Vermittlung der DOV übernimmt das SSO eine Patenschaft für das PPO (Philippine Philharmonic Orchestra) Manila, einmalig und erstmalig in Deutschland, ein Pilotprojekt für Partnerschaften deutscher Kulturorchester mit Orchestern in der Dritten Welt. Eine philippinische Delegation unter Leitung von Executive Director Amilita D. Guevara und Chefdirigent Professor Oscar C. Yatco kommt am 18./19.Oktober 1993 nach

19 Saarbrücken. Sie besuchen das 1. Sinfoniekonzert (Schubert, Strauss, Mahler), treffen GI und GMD und führen ausführliche Gespräche mit dem hiesigen OV. Angedacht werden materielle Unterstützung in Form von Sachspenden (Saiten, Rohre, Blätter, Transportkästen) und ein erster Besuch Saarbrücker Musiker in Manila. Deutsche Orchesterstruktur und Tarifrecht soll beim Aufbau einer funktionierenden Selbstverwaltung als Vorbild dienen. Durch personellen Wechsel in der Leitung des PPO und allmählich nachlassendes Interesse auf deutscher Seite verläuft dieses vielversprechende Projekt leider im Sande. Jahrhunderthochwasser legt Spielbetrieb lahm Am 22.12.1993 wird Saarbrücken von einem Jahrhundert-Hochwasser heimgesucht, die Saar erreicht einen Pegel von 9,31 m und ist ein wilder breiter Strom von Schlossmauer bis Theatermauer und darüber hinaus; der Schillerplatz gleicht einem See, das Theater darin einer Insel, die Untergeschosse mit den Stimmzimmern laufen voll. In einer nächtlichen Rettungsaktion für die Musikinstrumente beteiligt sich der Chef persönlich und aktiv: man sieht ab 5 Uhr morgens Jun Märkl mit Gummistiefeln und „Ostfriesennerz“ Instrumente, Noten und Möbel schleppen. Als gegen 8 Uhr Mitglieder des OVs, welche die Nachricht per Radio gehört hatten, im Theater eintreffen, ist Märkl ein wenig verschnupft, nicht vom kalten Wasser, sondern weil die Orchesterleute nicht ebenfalls schon in aller Herrgottsfrühe eingetroffen waren. Der Spielbetrieb über Weihnachten muss eingestellt werden, unerwartete Weihnachtsferien für die Theatermitglieder. Ballettchefin Birgit Scherzer möchte zum Gastspiel mit ROMEO UND JULIA am 15.4.1994 ohne Orchester ins Forum in Ludwigsburg fahren, wie trotz Protest des OV bereits am 9.2.1994 in Leverkusen geschehen. Der OV verbittet sich die geplante Verwendung der „Konserve“ und der GMD schließt sich dem vollinhaltlich an. Resultat: es gibt eine wunderbare Ballettvorstellung und das SSO wird in der Stuttgarter und Ludwigsburger Presse sogar lobend hervorgehoben: „…spielt das Saarländische Staatsorchester so stimulierend, so emotionsgeladen und mit einer geradezu seismographischen Empfindlichkeit, die auf jede Veränderung der Gemütslage droben auf der Bühne reagiert.“ (STUTTGARTER ZEITUNG) „Dass sich das Saarländische Staatsorchester unter Generalmusikdirektor Jun Märkl seinen Prokofieff nicht nehmen lässt und den großen eindringlichen Abend durch eine inspirierte Interpretation erst möglich macht, beweist, dass in Saarbrücken die Theaterwelt (noch) in Ordnung ist.“ (STUTTGARTER NACHRICHTEN 21.4.1994) Einer dringenden Bitte des OV, die CARMINA BURANA in der kommenden Saison mit Orchester statt mit CD aufzuführen, wird nicht stattgegeben. Der Umzug der Sinfoniekonzerte in die Kongresshalle ist beschlossene Sache, Kaufmännischer und Technischer Direktor besprechen am 2.3.1994 mit OV und den Orchesterwarten sowie Herren der Kongresshalle technische Einzelheiten. Da stimmt es nachdenklich, wenn am 24.6.1994 eine Verbesserung der „Konzertmuschel“ im Theater beschlossen wird. Kurt-Josef Schildknecht hatte geäußert, er werde auch nach Umzug der Sinfoniekonzerte in die Kongresshalle den Konzertaufbau des Theaters „nicht in der Saar versenken“. Bei gelegentlichen späteren Sonderkonzerten im SST werden wir aber feststellen, dass der Konzertaufbau spurlos verschwunden und durch Provisorien ersetzt worden ist.

Die Ära Wagner 1994 - 1998 Laurent Wagner wurde am 15, Juni 1960 in Lyon geboren. Er hat nicht nur einen deutschen Nachnamen, spricht nicht nur absolut perfekt Deutsch, er hat auch einen Großvater aus Bousonville / Busendorf im benachbarten Lothringen.

20 In Lyon beginnt er sein Musikstudium mit den Fächern Klavier, Fagott, Komposition und Kammermusik, bevor er 1982 Mitglied in der Kapellmeisterklasse von Prof. Karl Österreicher an der Wiener Musikhochschule wird. Er graduiert in den Fächern Dirigieren und Korrepetitionspraxis mit Auszeichnung. Nach Abschluss seiner Studien führen ihn erste Engagements als Repetitor und Kapellmeister an die Theater in Heidelberg 1985-1986, Gelsenkirchen 1986-1988 und Wuppertal 1988, bevor er 1989 Assistent des Chefdirigenten am Gran Teatre del Liceu in Barcelona wird. Ab 1990 arbeitet er vier Jahre als 1.Kapellmeister und stellvertretender Generalmusikdirektor am Theater Dortmund. 1994 wird er der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken, wo er neben zahlreichen Konzerten und Opernpremieren interessante und anspruchsvolle Projekte wie die Aufführung von Messiaens Turangalîla-Symphonie, von Bergs gesamtem Orchesterwerk, seiner Opern Wozzeck und Lulu sowie Schönbergs Moses und Aron innerhalb eines Zyklus der Wiener Moderne verwirklicht, die überregional Beachtung finden.

Wagner beweist herausragende natürliche Musikalität, hat die Opern perfekt im Kopf, kann mit schönem Tenor sofort singend eingreifen, falls mal ein Sänger den Anschluss verpasst. Um ein wirklicher und respektierter Chef zu werden, stehen ihm seine Burschikosität und seine Nonchalance im Wege. Während sein Vorgänger einmal erzählt hatte, das Anlegen des Fracks sei für ihn ein Ritual der Einstimmung und der Konzentration für den Auftritt, kann man Wagner noch sehr, sehr kurz vor Vorstellungsbeginn in Jeans in der Kantine sehen. Seine Schlagtechnik ist im Prinzip durchaus deutlich, nur mindern seine überlangen Armbewegungen etwas die Präzision. Zudem hat er die Hemdsärmel grundsätzlich hochgekrempelt (im Wortsinn), daher lugen anstelle gepflegter Märkl-Manschetten nackte Wagner-Arme aus den Frackärmeln. Un peut ridicule. Er vergisst gelegentlich gerne mal Noten und Termine und flieht am liebsten vor ungeliebter Schreibtischarbeit.

1994/1995 126 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern 94-mal – 4 Operetten 32-mal (incl. Kammeroperetten in Arnual und AFW)

Die Sinfoniekonzerte ziehen in die Kongresshalle um „Mit Pauken und Trompeten zogen am Samstagmorgen (27.8.1994) die Musiker des Saarländischen Staatsorchesters durch die Saarbrücker Innenstadt. Anlass für den musikalischen Marsch war der Umzug des Orchesters zu Beginn der neuen Spielzeit vom Staatstheater in die Kongresshalle. Dort werden zukünftig die Sinfoniekonzerte unter Leitung des neuen Generalmusikdirektors Laurent Wagner und von Gastdirigenten stattfinden. Für den nötigem Umzugsschwung sorgten die Blechbläser des Ensembles.“ (SZ/uwe) Nicht alle Musiker gehen mit, ein Kollege findet die Aktion „peinlich“, ein anderer nennt sie „Schmierentheater“. Viel wichtiger als diese kleine Straßentheatereinlage ist aber die Frage: wird unser Publikum mitumziehen? Dieses ist mit der Atmosphäre der Konzerte in Theater vertraut und zufrieden. Die nur suboptimale Akustik war bisher durch die eher gemütliche und eben gewohnte Stimmung ausgeglichen worden. Man darf ja nicht vergessen, dass ein ganz überwiegender Großteil unserer Zuhörerschaft bereits als Schüler unsere Abonnenten geworden waren. Ursprünglich nämlich waren die Montagskonzerte öffentliche Generalproben, später als „Voraufführung für die Jugend“ bezeichnet. Die Musiker spielten in Straßenkleidung – was seinerzeit allerdings Anzug mit Krawatte bedeutete. Das Konzertereignis im Frack war am Dienstag. Durch die jahrzehntelange Treue unserer Zuhörerschaft wurden nach und nach aus den Schülerkonzerten reguläre zweite Aufführungen, sodass Montag und Dienstag bis 2009/2010 traditionell und vertraut die Konzerttermine des SSO waren. Beim Abonnentenfest des SSO am 19.6.2011 erzählte ein Herr, der als Schüler zum Abonnenten geworden und dann 60 Jahre lang dem SSO treu geblieben ist, auf die Frage des Autors, was er vom Umzug der Konzerte in die Kongresshalle gehalten habe: „Ich habe während des Umzugs auf der Straße Schildknecht Prügel angeboten.“

21 Zweifelsfrei aber bietet die neue Spielstätte verbesserte Akustik und geeigneteren Orchesteraufbau auf der Bühne. Zudem war und ist es durchaus angemessen, beide Saarbrücker Sinfonieorchester unter denselben Bedingungen hören zu können. Aus der Kongreßhalle wird dann eine Congresshalle, aber eben keine Liederhalle oder Tonhalle, wie sie Saarbrücken übrigens vor dem 2. Weltkriege besessen hatte. Trotz mehrerer Umbaumaßnahmen bleibt der „Backstage“–Bereich in jeder Hinsicht unzumutbar für die Musiker. In kleinsten Räumen müssen sich teilweise über hundert Musiker/-innen auf ihren Auftritt vorbereiten. Es war immer der Wunsch des Autors, einmal die Verantwortlichen aus der Führungsebene so eine halbe Stunde vor Konzertbeginn einen Blick in die den Namen nicht verdienenden „Stimmzimmer“ einzuladen. Was einem hier an Gerüchen entgegenströmt, was hier im Sommer für Temperaturen herrschen, wie hier mangels genügender Garderoben Mäntel, Schirme, Alltagskleidung, Frackteile, Socken, Schuhe, Noten, Instrumente, Etuis, Wegzehrung und Getränkeflaschen auf Tischen, Stühlen und Fußboden durcheinander verteilt herumliegen, wie Nischen und Stühle irgendwie als Ablage für Musikinstrumente improvisiert werden (die Tische und Kleiderhaken reichen gerade einmal für Kammerorchester), wie Männer und Frauen versuchen, instrumentales Einspielen, sich Umziehen, Trinken und Essen, Reden und Schweigen, nervöses Herumlaufen und stilles Dasitzen irgendwie gleichzeitig abzuwickeln. Es soll ja die Zeit ruhiger und professioneller Vorbereitung auf den bevorstehenden Auftritt sein, gleicht aber in Wirklichkeit einem Taubenschlag. Dass es völlig anders zugehen kann, erlebt man bei Gastspielen im In- und Ausland, wobei die Bedingungen in Japan so optimal sind (bis hin zur Bereitstellung von grünem Tee), dass keine Wünsche offen bleiben. Betritt also um kurz vor 20 Uhr ein wohl gekleidetes und instrumental eingespieltes Orchester in Frack, Abendkleid und Lackschuhen das Podium, ist dies der selbstverständliche Anblick, den die Konzertbesucher zu Recht erwarten. Doch wie’s da drin aussieht, geht niemand was an… Das 1. Abo-Konzert in der Halle am 26./27.September 1994 beginnt mit Alban Berg, Drei Orchesterstücke, gefolgt vom 3. Klavierkonzert von Béla Bartók und der 1.Sinfonie von Brahms. Dr. Horst-Dieter Veek (1935-1996) kommentierte hierzu auf SR3 Saarlandwelle: „Gepasst hat’s den Saarbrückern nicht. Gut, dort bestehen bessere akustische Verhältnisse, die schließlich auch der Saarländische Rundfunk bei den meisten seiner Veranstaltungen nutzt. Aber man musste die vertraute Umgebung verlassen, das Parkett oder die Ränge des Theaters mit den luftgekühlten Polsterkissen. Man musste schwierigere Parkmöglichkeiten in Kauf nehmen. Leicht fällt das den altgedienten Abonnenten gewiss nicht. Freilich, das Staatsorchester nahm sich auf dem großen Podium grandios aus, hinpostiert in seiner ganzen Größe und mit Verstärkung obendrein…In der Pause dann kontroverse Diskussionen, ob der Umzug notwendig war. Aber dann kam Brahms und nun musste man wirklich begreifen…dass das Orchester in dieser breiten Sitzordnung einfach besser klingt.“ Im 2. Abo-Konzert am 14./15.11.1994 dann der gerade beim Stammpublikum immer noch hochverehrte und beliebte ehemalige GMD Prof. Siegfried Köhler, damals Chef der Königlichen Oper in Stockholm, mit den Zeitgenossen Hans Werner Henze und Volker David Kirchner (O-Ton Köhler „Vor der Pause muss ich irgendwas Modernes machen.“) und dann der 4. Tschaikowski. Die SZ schreibt: „Zum Schluss zeigte das Orchester seine besondere Stärke: Exaktheit und Temperament, knackige Artikulation und zündende Dynamik.“ Nächster Höhepunkt im 3. Konzert 16./17.1.1995: Mahlers Dritte. Im Programmheft zum 8. Konzert (Bach, Berg, Mozart) am 19./20.6.1995 schreibt Wagner ins Programmheft: „Für Ihre Aufgeschlossenheit und Flexibilität habe ich als neuer Saarländischer GMD (sic!) zu danken.“ und erwähnt den „schönen Treuebeweis“ anlässlich des Umzuges und für „unser gewiss schwieriges Projekt, das gesamte Orchesterschaffen Alban Bergs innerhalb einer Saison zu repräsentieren.“ In der Oper hatte sich Wagner bereits vorgestellt: am 18.9.1994 wurde mit der CARMEN Premiere – neun Jahre nach derjenigen von Kout – die Saison eröffnet. Doris Döpke in der

22 SZ: „Der Sonntagabend übertraf noch die Erwartungen. Ob das SSO auf Dauer solche technische Souveränität und Klangkultur, soviel Konzentration und Elan beweisen kann?“ Am 11.12.1994 hebt sich der Vorhang für WOZZEK und am 14.4.1995 für PARSIFAL - 10 und 12 Jahre nach den Produktionen unter Kuntzsch. Wenn Opern in solchem, oft aber noch geringerem Zeitabstand neu inszeniert werden, fragen sich Orchestermusiker gelegentlich, ob es nicht besser wäre, die Oper gleich im Repertoire zu behalten. Konzertreise nach Italien Am 23.- 27.2.1995 folgt eine weitere mehrtägige Auslandsreise des SSO: unter GMD Wagner spielt es zwei Konzerte in Italien: 24.2. im Auditorio „Cesare Pollini“ in Padua und am 25.2. im Teatro Ariston in Mantua. In den Sinfoniae concertantes von Haydn und Mozart treten orchestereigene Solisten auf (Wolfgang Kopp, Wolf-Dietrich Wirbach, Anne-Katrin Laporte, Günter Schraml, Reinhold Ernst, Stephan Weidauer). Openair-Konzert in Luxemburg mit José Carreras Am 28. Juni 1995 ein wahres Großereignis: Openair-Konzert mit José Carreras im mit 15.000 Karten ausverkauften Sportpalast Josy-Barthel-Stadion - das Konzert des Jahres! Eine solche Mammutveranstaltung hat es in Luxemburg im kulturellen Bereich noch nicht gegeben. Gegen 21 Uhr treffen Erbherzogpaar Henri und Maria Teresia, Ministerpräsident JeanClaude Juncker und weitere Ehrengäste ein. Der katalanische Tenor, der sein LeukämieLeiden mit Tapferkeit überwunden hat, stiftet den Reinerlös des Konzertes der Bekämpfung der heimtückischen Krankheit. Der sympathische Gastdirigent David Giménez begleitet mit dem SSO Opernarien aber in erster Linie neapolitanische und spanische Lieder bis hin zur letzten Zugabe „O sole mio“. Erste Partnerschaft mit China Die ereignisreiche Spielzeit ist noch lange nicht zu Ende: im „Peking-Saarbrücken“ genannten Projekt singen Solisten der European Opera Beijing mit dem SSO unter Leitung von You-Qing Yang Arien aus europäischen und chinesischen Opern am 4. Juli 1995 in Bonn, am 5.7. in Saarbrücken und am 6.7. in Luxemburg, darunter von Xiang Jin SAVAGE LAND und von Ke Ma DAS MÄDCHEN MIT DEN WEISSEN HAAREN, neoromantische bis folkloristische Schnulzen, wie sie Mao Zedong mochte. Zum ersten Mal bei Classic Openair in der Schweiz Keine Woche später sitzt das SSO erneut im Reisebus, diesmal Richtung Schweiz zum 5. Solothurner „Classic Openair“. Unter dem Sternenhimmel der St. Ursen-Bastion über dem Schanzengraben gibt es unter Laurent Wagner Konzerte am 14. Juli 1995 mit Ausschnitten aus chinesischen Opern, am 15. Juli ein Programm mit Leoncavallo, Donizetti, Verdi und Puccini mit Solisten des SST, darunter der Bariton Keqing Liu, welcher die Kontakte zwischen der Saar und dem Reich der Mitte eingefädelt hatte. In der Abschlussmatinee am 16.7. in der Solothurner Rythalle treten die saarländischen und chinesischen Künstler, darunter „Primadonna“ Xiufeng Wang, gemeinsam auf, ein Opern-Ohrwurm jagt den nächsten. Festivalgründer Dino Arici kümmert sich aufopfernd um alles und jeden und lädt für nächstes Jahr erneut ein. Eine Saison der Höhepunkte und der Reisen, um die es in den letzten Jahren recht still geworden ist, geht zu Ende.

1995/1996 159 Vorstellungen mit SSO: 13 Opern 102-mal – 2 Operetten 13-mal – Ballett 13-mal - Musical 31-mal

Mahlers Fünfte im 1. Sinfoniekonzert 2./3.10.1995 wird im 2. Sinfoniekonzert 13./14.11.1995 noch getoppt durch die gigantische und selten gespielte „Turangalîla-Symphonie“ von Olivier Messiaen. Jeanne Loriod (1928-2001), Schwester von Messiaens Gattin, bedient das

23 1928 erfundene frühe elektronische Instrument Ondes Martenot mit seinem fremdartigen und geheimnisvollen Klang. Brahms Dritte im 4. Konzert 8./9.1.1996 unter András Ligeti, Dvořáks Achte im 5. Konzert 5./6.2.1996 unter Hiroaki Masuda, Bruckners Vierte im 6. Konzert 22./23.4.1996 unter John Carewe, Mahlers „Lied von der Erde“ im 7. Konzert 13./14.5.1996 setzen Meilensteine großer Sinfonik aus Programm des SSO. Das 8. Konzert am 1. und 4. Juli 1996 wird umfunktioniert zur konzertanten Oper, mit Dame Gwyneth Jones erklingen der erste und dritte Akt von Wagners WALKÜRE, das Orchester, das immer leidenschaftlich gern den RING spielt, freut sich über wenigstens diesen Ausschnitt. Das alljährliche Chorkonzert mit dem Saarländischen Konzertchor bietet am 15.6.1996 unter Chordirektor Gerhard Michalski Verdis Requiem. Trilogie der Zweiten Wiener Schule In der Oper setzen Laurent Wagner und Matthias Kaiser einen besonderen Schwerpunkt. Unter dem Schlagwort „Rückblick auf die Moderne“ werden drei Werke der Zweiten Wiener Schule als Trilogie aufgeführt: 16.4. LULU, 18.4. WOZZEK von Berg und 21.4.1996 MOSES UND ARON von Schönberg, alle drei in der Regie von Christian Pöppelreiter. Zwei GalaAbende bieten ebenfalls Außergewöhnliches: 25.11.1995 DON GIOVANNI mit Alan Titus und 17.3.1996 ARIADNE AUF NAXOS mit Gwyneth Jones in den Titelrollen. Nach der Konservenmusik zu CARMINA BURANA 1995 musiziert das SSO im Ballettabend 1996 wieder live. DER WUNDERBARE MANDARIN von Bartók und LE SACRE DU PRINTEMPS von Strawinsky sind die anspruchsvollen Werke, welche das Orchester unter der Leitung von Hiroaki Masuda, der dann an Patrick F. Chestnut abgibt, nach der Premiere vom 28.1.1996 dreizehn Mal spielt. Schauspielmusikleiter Marc Schubring, der an der Saarbrücker Musikhochschule Komposition bei Theo Brandmüller studiert hatte, hat ein Musical mit sinfonischer Orchesterbeteiligung komponiert. CYRANO VON BERGERAC geht nach der UA am 22.10.1995 unter Leitung von Martin Straubel 32 mal über die Bühne des Großen Hauses. Solothurn – die Zweite Zum Saisonschluss fährt das SSO zum zweiten Male nach Solothurn zum 6. Classic Openair, diesmal für 10 Tage vom 11.-21.Juli 1996. SOLOTHURNER ZEITUNG vom 15.7.1996: „Oft stehen an Festspielen ja die Sängerstars sehr im Vordergrund, von der Arbeit der Dirigenten wird wenig Notiz genommen. Nicht so bei Laurent Wagner: dem jungen GMD entging keine Nuance, er hatte alle Mitwirkenden vollständig unter Kontrolle. Mit seinem vor Lebendigkeit, Intelligenz, Spontaneität und Respekt vor der Musik geprägten Dirigat gestaltete er packende Aufführungen, die nicht so schnell vergessen werden.“ Es beginnt mit LA TRAVIATA am 12.7.1996. „Ein Classic Openair kann kaum stimmungsvoller beginnen als mit einer packenden, von Vogeltrillern begleiteten Traviata auf der St. Ursen-Bastion.“ Am 13.7.1996 folgt NORMA mit Gwyneth Jones „Das Publikum feierte eine Künstlerpersönlichkeit, ein Lebenswerk und die Bühnenpräsenz einer der ganz großen der Opernszene…Mit dem Saarländischen Staatsorchester Saarbrücken lotete Wagner Bellinis Melos, lyrische Intimität und heroisches Pathos voll aus.“ Am dritten Abend am 14.7. dann CARMEN „Mit sichtbarer Freude am Erfolg, an der Begeisterung des Publikums, aber auch an der unsterblichen Musik, nahmen die Saarbrücker die Huldigungen aus Solothurn entgegen.“ Am 17.7. ein Höhepunkt mit dem VERDI REQUIEM „Ein großes Lob den beiden Konzertmeistern Kopp und Popov, die ihre Orchesterkolleginnen und Kollegen sichtlich motivierten.“ Zum Abschluss am 20.7. die WALKÜRE wie zuvor in Saarbrücken. „Orchesterärger“ – Sind wir unterbeschäftigt?

24 Der Rechnungshof rügt das SST! In seinen jährlichen Prüfberichten hatte er sich die Saison 1992/93 mit einem Etat von rund 40 Mill. DM vorgenommen und bemängelt die Transparenz der Rechnungsführung. Die SZ macht daraus am 23.2.1996 einen etwas reißerischen Artikel im damals noch existenten Feuilleton und behauptet, die Musiker des SSO seien unterbeschäftigt. Kaufmännischer Direktor Beckamp, OV Räthe und DOVDelegierter Weidauer widersprechen heftig, was die SZ am 1.3. dann „Orchesterärger“ nennt. In – nicht abgedruckten Leserbriefen und einer Gegendarstellung - weisen sie darauf hin, dass das SSO in 44 Wochen 53 freie Tage hatte, an Sonntagen und sämtlichen hohen Feiertagen konzertiere und dass die Musiker täglich stundenlang üben. In einem Gespräch der SZ mit den Saarbrücker Orchestermusikern Dorothe Strey (damals Lemberg) und Andreas Kiefer vom 2.4.1996 beantworteten die Kollegen dann in lockerer Form zum Beispiel die Frage „Wie arbeiten Orchestermusiker am Staatstheater?“ Kiefer: „Manche Leute beneiden mich, wenn sie mich mittags in der Stadt treffen, aber die sehen nicht, dass ich ja abends, wenn alle anderen frei haben, Dienst habe.“ Strey (Lemberg): „Wenn ich weiß, dass ich abends MOSES UND ARON spielen muss, werde ich tagsüber bestimmt keinen Frühjahrsputz machen.“ Zum Saison-Ende legt Helmut Beckamp einen Bericht über die Entwicklung der Besucherzahlen der Sinfoniekonzerte vor. Ein Schock, ein katastrophaler Rückgang: von der Spielzeit 1976/77 mit 16.360 Konzertbesuchern (Auslastung von 91,3%) geht es bis zur Spielzeit 1995/96 bergab mit 8.580 zahlenden Besuchern (Auslastung 48,8%), allerdings durch Dienst- und Freikarten noch zu einigermaßen gefüllten Sälen führend. Die Diskussionen sind die immer gleichen: liegt es an der Kongresshalle, an den Dirigenten, an den Solisten, am Orchester, am Programm? Die Antwort könnten nur unsere Besucher geben! Am Rande bemerkt: Beckamp zeigt mit seinen absoluten Zahlen, wie vorsichtig man mit (so häufig und so lobend veröffentlichten) Statistiken umgehen muss, die nur aus Prozentzahlen bestehen. Dass SST hatte nämlich vor dem Umbau (bis 1987/88) 1.120 Plätze, danach nur noch 875! (Für Statistik-Liebhaber: 21,8% Abbau an Sitzplätzen)

1996/1997 120 Vorstellungen mit SSO: 9 Opern 90-mal – 1 Operette 30-mal – Ballett 13-mal - Musical ohne Orchester

Wagner probiert eine Neuerung aus: die seit jeher stattfindenden Konzerteinführungen sollen teilweise mit Orchester stattfinden. Dass SSO spielt bereits um 19.15 Uhr Auszüge aus dem Programm, Wagner moderiert persönlich. Es bleibt eine Eintagsfliege. Der Bitte des Autors, vor exponierten „heißen Stellen“ die Solo-Bläser nicht schon vor Konzertbeginn zusätzlich aufs Podium zu bitten, wird nicht entsprochen, er darf das einleitende Pianissimo-Solo zu Tschaikowskys Pathetique pro Konzert zweimal hintereinander blasen… Zum 3. Konzert 16./17.12.1996 ist wieder mal einer unserer früheren Chefs zu Gast: Christof Prick, damals GMD in Hannover, dirigiert das HELDENLEBEN von Strauss, auch Jeffrey Tate kehrt wieder, das Konzert (Schubert, Elgar) findet mit einer Luxemburger Vorstellung dreimal statt. Wagner dirigiert im 6.Sinfoniekonzert am 21./22.4.1997 die Neunte von Schostakowitsch, im 7. Konzert am 26./27.5. wieder mal eine UA: „Chimères“ für Saxophonquartett, Orchester und Tonband als Auftragswerk an den saarländischen Hausund-Hof-Kompositeur Theo Brandmüller. Der Spielplan im Musiktheater ist nicht besonders üppig. Endlich gibt es zwar mit KRÖNUNG DER POPPEA von Monteverdi eine Renaissance-Oper, aber mit Kleinstensemble in der Alten Feuerwache. Das Musical THE BLACK RIDER wird dem Schauspiel zugeschlagen und findet ohne Orchester statt. Dafür wird endlich die ganz große und schwer umzusetzende Oper von Wagner auf den Spielplan gesetzt: seit 1961/62 (Wüst)

25 und 1972/73 (Köhler) wieder mal DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG. Janáčeks JENUFA wird aus der vorigen Saison mit zehn Vorstellungen wiederaufgenommen. Der Richard-Wagner-Verband Saarland feiert am 8.12.1996 sein 40-jähriges Bestehen im SST mit Richard Wagner und dem SSO unter Laurent Wagner. Zum Festvortrag gewinnt man aus München Dr. Joachim Kaiser. Die Kammerkonzerte florieren und sind längst fester Bestandteil des Konzertangebotes am SST geworden. Nach häufigem Wechsel der Spielstätten und der Konzertzeiten etabliert sich nun die Sonntagsmatinee im Foyer des Großen Hauses und wird vom Publikum gut angenommen. Die organisatorische Leitung wechselt von Wolfgang Räthe zu Ekkehart Fritzsch. Das 10. Kammerkonzert am 15.6.1997 ist Bestandteil der Musikfestspiele Saar, die Ausführenden spenden den Erlös für die Kinderkrebsklinik. Partnerschaft mit Shanghai Nach Beijing nimmt nun Shanghai teil am Brückenschlag von der Saar "im Herzen Europas" nach "dem Reich der Mitte" China. In Kooperation mit dem Shanghai Opera House findet vom 4. bis 10. Juli 1997 mit Oper, Konzert, Film und Ausstellung eine ganze Woche „China kulturell“ statt, dazu Gastspiele in Bonn (1.7.1997) und Solothurn (13.7.1997). Mit komplett szenischer Inszenierung (Regie: Dao Chuan Li) und Bühnenbild findet am 6.7.1997 als Europäische Erstaufführung eine einmalige Opernvorstellung von SAVAGE LAND von Xiang Jin im Großen Haus des SST statt. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von You Sheng Lin, Solisten der Shanghai Opera und der Chor der Chinesischen Akademiker Berlin singen, das SSO ist verstärkt durch Spielerinnen von traditionell chinesischen Instrumenten. Solothurn – die Dritte Krönender Abschluss der Saison ist die dritte Teilnahme des SSO am nun 7. Classic Openair in Solothurn. Festivalleiter Dino Arici: „Die Idee, Opern konzertant aufzuführen, war 1996 ein voller Erfolg. 6300 Zuschauer folgten den betörenden Liebesduetten ebenso begeistert wie den dramatischen Verschwörungsarien.“ Eröffnet wird am 11.7.1997 mit LA BOHEME, gefolgt von FIDELIO am 12.7. und als Matinee am 13.7. SAVAGE LAND. Abschluss bildet am 16.7. RIGOLETTO mit Leo Nucci in der Titelrolle. Neu ist ein Sinfoniekonzert unter dem Sternenhimmel. Ein nicht diensthabender und durch den Stadtpark spazierender Musiker berichtete von der herrlichen Stimmung, welche die Musik von Tschaikowskys Pathetique in der lauen Sommernacht weit über den Veranstaltungsort in die Parks rund um die Bastion zauberte.

1997/1998 131 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern 87-mal – 1 Operette 7-mal – Ballett 19-mal - Musical 18-mal??

Ein Versuch: Sinfoniekonzerte in Saarlouis Der an für sich löbliche und gut gemeinte Versuch wird gestartet, auch außerhalb Saarbrückens ein Konzertabonnement des SSO anzubieten und so finden vier der acht AboKonzerte mittwochs als dritte Aufführung im Theater am Ring in Saarlouis statt. Nun ist es schon sowieso schwierig, ein Orchester nach zwei großen Abenden (und gedruckter Konzertkritik) für ein Folgekonzert in einem mehr als bescheidenen Rahmen (das alte umgebaute Kino ist nun nicht der Knüller unter den Konzertsälen) zu motivieren, so tut der erbärmlich dünne Besuch sein übriges. Die Mitwirkenden beim 2. Sinfoniekonzert vom 26.11.1997 (dem ersten in SLS) sind auf der schäbigen Bühne in der Mehrheit gegenüber dem Auditorium. Gerade mal kleine Grüppchen von Zuhörern haben sich in den hinteren Reihen versammelt, auch den publikumswirksamen Neunten von Beethoven, Dvořák und

26 Mahler ergeht es kaum besser, besonders letztere ist besuchermäßig ein trauriges Desaster – zwei Tage vor dem absolut positiven Kontrast: 2.-12. Mai 1998 Konzertreise nach Japan. Konzertreise nach Japan Während sich größere Orchester in Japan die Klinke in die Hand geben, war es für das SSO etwas ganz besonderes und die bisher größte Konzerttournee in seiner Geschichte. Hiroaki Masuda hatte nach Aufsehen erregendem Probedirigat per Orchestervotum noch unter GMD Märkl ab Spielzeit 1993/94 den Posten des Ersten Kapellmeisters am SST erhalten. Der aus Tokio stammende Dirigent bekam das Angebot, durch ein Sponsoring der japanischen Telekom-Firma KDD sich mit einem Orchester seiner Wahl in Japan zu präsentieren. Die Wiener Philharmoniker hätten es sein können oder sonst ein Renommierorchester, Masuda entschied sich für das SSO. Masuda zur SZ (29.4.1998): „Ich arbeite hier und ich möchte in Japan zeigen, wo und wie ich arbeite… Es geht darum zu zeigen: Masuda gibt es noch.“ Ungewöhnliche Aufgaben für die Logistik und die Orchesterwarte, das auf 90 Mitwirkende verstärkte SSO begibt sich über Frankfurt zum 11-stündigen Flug über Sibirien, landet im luxuriösen New Takanawa Prince Hotel und spielt in den phänomenal guten Konzertsälen Sumida Triphony Hall und Tokyo Opera City Hall sowie in Kamakura zwei konzertante Vorstellungen von DER FLIEGENDE HOLLÄNDER (7. und 11. Mai 1998) und die Sinfonie Nr.9 von Gustav Mahler (9. Mai 1998). Erstere Konzerthalle war 1997 gerade fertig gestellt worden und Heimstätte des New Japan Philharmonic Orchestra. Nagelneu und mit allem Komfort auf und eben auch hinter der Bühne, mit Sicherheit der höchste Standard. Es gibt eine Pressekonferenz und einen Empfang des deutschen Botschafters. Im Schlepptau des Orchesters war ein ganzer Tross von wichtigen Leuten mitgereist, vom Generalintendanten bis zur Ministerin für Wirtschaft und Finanzen Christiane Krajewski. Schildknecht in Tokio ans Orchester: „Ich bin stolz auf Sie, Sie haben nicht nur wie ein Staatsorchester gespielt, Sie haben sich auch wie ein Staatsorchester benommen.“ Durch die großzügig bemessene Reisezeit bleibt Gelegenheit, sich in und außerhalb der Millionenmetropole mit japanischer Kultur und Landschaft vertraut zu machen. Mit einem Solidaritätskonzert am 5. Juli 1998 für die von der Grubenschließung betroffenen Bergleute am Fuße des Förderturms im Bergwerk Göttelborn verabschiedet sich Laurent Wagner.

Die Ära Henzold 1998-2001 Olaf Henzold wurde 1960 in Leipzig geboren und studierte an der Musikhochschule Dresden bei Hartmut Haenchen und in Prag bei Václav Neumann. Schon als Student leitete er das Dresdner Studio für Neue Musik und gewann den 1. Preis beim Internationalen Toscanini Wettbewerb in Parma 1987. 1989 gab er sein Debüt an der Deutschen Staatsoper Berlin und dirigierte zahlreiche Orchester in der DDR. 1990 wurde er Kapellmeister an der Leipziger Oper, 1991 Musikdirektor des Theaters Luzern und Chefdirigent des Luzerner Sinfonieorchesters, daneben Operndirigate als Gastdirigent in Deutschland und Europa. 1998-2001 war er GMD des SST und ging von hier als Chef zum Opernhaus Oslo.

Am 18.11.1997 hatte es eine Orchesterabstimmung über die GMD-Nachfolge gegeben. Das Orchester hatte sich mit überwältigender Mehrheit für András Ligeti entschieden, der durch sein Gastdirigat im 4. Sinfoniekonzert 1995/96 am 8./9.1.1996 einen positiven Eindruck hinterlassen hatte. Der OV teilte GI Schildknecht mit, Herr Ligeti sei „der ausgewiesene Kandidat des Orchesters“, erfährt aber am 2.12., dass Ligeti abgesagt hat. Darauf bittet OV Räthe den GI am 12.12.1997 die Suche nach einem neuen GMD fortzusetzen, da „das Staatsorchester mit einer Mehrheit von 80% Herrn Olaf Henzold ablehnt.“ Am 21.12.1997 gibt es eine kurze Presseerklärung der Geschäftsführung „Olaf Henzold wird neuer GMD –

27 Matthias Kaiser Operndirektor“. Damit war (1) ein neuer Chef gegen das Votum des SSO engagiert und (2) diesem auch noch das Amt des Operndirektors abgenommen worden. Henzold war der Typ des Selbstdarstellers, seine Dirigierbewegungen glichen manchmal abenteuerlichen Figuren; in Abendvorstellungen machte er gelegentlich einen emphatischen ja überdrehten Eindruck. In Proben konnte er ziemlich schnell ungeduldig und etwas zynisch werden. Die Ergebnisse aber konnten sich hören lassen. Seinen doppelten Einstand als Opern- und Konzertdirigent lobt Doris Döpke in der SZ mit jubelnder Begeisterung: „Temperamentvoll und zupackend…spornt das Orchester zu Höchstleistungen an…dass Henzold zum Publikumsliebling taugt – eine Bombensaison für die Zuhörer.“ Henzold dirigiert vier der acht Abokonzerte.

1998/1999 121 Vorstellungen mit SSO: 9 Opern 118-mal – keine Operette – Ballett 3-mal - Musical ohne ??Orchester PARADISE OF PAIN

Henzold eröffnet die Opernsaison am 12.9.1998 mit OTHELLO, auch mit dieser Oper gastiert man am 2.2.1999 wieder einmal im Forum in Ludwigsburg. Weitere Höhepunkte sind FREISCHÜTZ, bereits die dritte Inszenierung im Berichterstattungszeitraum und IDOMENEO. Die Konzertsaison beginnt als Gast der Wiener Uwe Mundt, der in der Faust-Symphonie von Liszt gleich mal den Tenor austauscht mit der Bemerkung „Die moanan all, ii bin a Wurzen“ (Wurzen österreichisch für hochdeutsch „leicht ausnützbare Person“). Henzold debütiert dann mit Bruckners Siebter am 2./3.11.1998 in Saarbrücken und am 4.11. in Saarlouis. Es folgen an großen Werken die Fünfte von Tschaikowsky und die Achte von Mahler. Der 250. Geburtstag von Goethe gerät in den zentralen Blickpunkt der Konzertsaison. Am 20. Juni 1999 macht auf Anregung von Oberbürgermeister Hajo Hoffmann Saarbrücken eine neue Erfahrung: eine „Klangwolke“ soll zum Höhepunkt des Projekts „Klingende Stadt“ zur 1000-Jahr-Feier über der Landeshauptstadt schweben. Dreht Eure Radios auf und schaltet SR 2 ein, das überträgt das Openair-Konzert des SSO vom Tbilisser Platz. Aber einerseits macht niemand sein Fenster auf, andererseits dröhnen vom Saarbrücker Schloss röhrend laute Rock-Klänge herüber, sodass die Klassiktöne vor dem Theater völlig untergehen. SZ: „Doppelt schade, denn das Saar-Staatsorchester (sic!) mit seinem Dirigenten Olaf Henzold begeisterte seine Zuhörer mit einem wunderschönen Platzkonzert. Sie hätten eine aufmerksamere Planung verdient.“ Wechsel am Konzertmeisterpult: Wolfgang folgt Wolfgang Wolfgang Kopp, jahrzehntelang Konzertmeister des SSO, geht in den Unruhestand. Der sächsische Urmusiker war 1956 von Görlitz nach Saarbrücken gekommen. Seine Kenntnis und Routine im kompletten Opernrepertoire ließ ihn neben seiner Tätigkeit im SSO, bei den Deutschen Bachsolisten, beim Kurpfälzischen Kammerorchester, in vielen Kammermusikformationen und als Dozent an der hiesigen Musikhochschule auch zu einem viel gefragten „Einspringer“ als Konzertmeister aller Opernhäuser des deutschen Südwestens werden. Kopps stilistisches Geheimbekenntnis: „Eigentlich spiele ich immer LAND DES LÄCHELNS“. Ihm folgt das saarländische Multitalent Wolfgang Mertens.

1999/2000 120 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern 72-mal – 1 Operette 29-mal – Ballett 19-mal

Der Skandal-NABUCCO Saarbrücken hat seinen Theaterskandal! Johann Kresnik inszeniert Verdis NABUCCO. Schon um 9 Uhr morgens erscheint er mit der Bierflasche in der Hand, führt brüllende Regie,

28 verlangt schauspielerisch Unzumutbares von Chor und Solisten und überrascht ständig mit spontanen Ideen. Als er auf einmal verlangt, der Chor solle, die Oper unterbrechend, die Internationale anstimmen, kommt ein deutliches und mehr als berechtigtes Veto von GMD Henzold im Sinne von „Nicht mit mir!“ Möglicherweise war Kresnik aufgefallen, dass die ersten vier Töne von Verdis Gefangenenchor und dem Kampflied der kommunistischen Internationale identisch sind. Nachdem Henzold sich durchgesetzt hatte, wurde in den Vorstellungen an der vorgesehenen Stelle jeweils ein Transparent herunter gelassen, auf dem zu lesen war, GMD Henzold habe die Internationale leider verboten. Dies löste nach Sekunden des Gelesenwerdens immer Szenenapplaus aus – Zustimmung für unseren aus der DDR stammenden Chef! Kresnik distanzierte sich daraufhin von seiner Inszenierung und reiste schmollend ab. Das SST erreichte überregionale Aufmerksamkeit, der TAGESSPIEGEL vom 15.9.1999 schreibt: „In Saarbrücken schmissen er und sein Team jetzt mit ziemlich wüstem Gepolter den Regiebettel nach der Generalprobe hin. Und so musste denn der Saarbrücker Generalintendant Kurt Josef Schildknecht bei der Premiere vor den Vorhang treten und sich dem öffentlich gemachten Vorwurf mangelnder Professionalität an seinem Haus entgegenstellen. Kresniks hinlänglich bekannter Regieabsolutismus und die wohl zu wenig darauf vorbereitete Geruhsamkeit an der Saar waren kollidiert.“ Ein gutes halbes Jahr später gibt Kresnik im Interview mit der WELT am 8.5.2000 von sich: „Das Publikum ist immer mein Feind. Wenn alle Bravo schreien, war meine Arbeit Scheiße. Am liebsten ist mir, wenn die Zuschauer über meine Arbeit diskutieren, die Türen knallen lassen, mit Eiern schmeißen.“ - Henzolds zweite Einstudierung dieser Saison ist TANNHÄUSER. Nach jahrelanger Lücke wird für 1999/2000 wieder ein eigenes Jahresprogrammheft für die Sinfoniekonzerte herausgegeben. Henzold setzt mit der Ersten von Mahler (3.-5 .4.2000) und der Neunten von Bruckner (5. – 7.6.2000) die Zyklen der letzten Jahre fort. „Für all diejenigen, die Begriffe wie Klassische Musik und Sinfonieorchester eher mit verstaubt und altmodisch assoziieren“ (Henzold im Programmheft) gibt es Ungewöhnliches für Aug und Ohr: bei den selten aufgeführten „Planeten“ von Gustav Holst (27. –29.9.1999) lässt er gigantische Weltraumbilder projizieren und erreicht ein ganz großes und Eindruck hinterlassendes Konzert–Kino-Erlebnis. SZ: „Als in der abgedunkelten Kongresshalle Galaxien über die Leinwand flimmerten und der unsichtbare Frauenchor mit seinen textlosen Sirenenklängen zum Rande des Universums aufzubrechen schien, war die Ergriffenheit des Publikums spürbar.“ Im 4. Konzert (10./11.1.2000) erklingen Staubsauger und Bodenreinigungsmaschine in der „Grand grand Festival Ouverture“ von Malcolm Arnold, im 5. Konzert (7. – 9.2.2000) musiziert die Big Band „Jazzorchester Europol“ unter Christoph Mudrich gemeinsam mit dem SSO. Mit Wolfgang Mertes (Violinkonzert von Korngold 7. – 9.2.2000) und Matthias Weißenauer (Paukenkonzert von Siegfried Matthus 18./19.10.1999) stehen (bzw. sitzen mit 7 Pauken) orchestereigene Solisten auf dem Podium. Am 7. Und 8. Februar wird das Publikum befragt, ob die Konzerte weiterhin montags und dienstags in der Congesshalle veranstaltet werden sollen oder etwa an einem anderen Wochentag im Staatstheater. Die Umfrage ergibt, dass sich die Mehrheit der Konzertfreunde für eine Beibehaltung des Status quo einsetzten. Dass SST trägt trotz Sparmaßnahmen diesem Wunsch Rechnung. Das neue Millennium an Silvester 1999 wird begrüßt mit der Missa Solemnis von Beethoven sowie Buffet und Tanz im Festzelt auf dem Tbilisser Platz. Im diesjährigen Chorkonzert kommt unter Gerhard Michalski die Matthäuspassion von Bach am 16.4.2000 in der Stiftskirche St. Arnual zu Gehör.

2000/2001

29 86 Vorstellungen mit SSO: 7 Opern 80-mal – 1 Operette 6-mal

Die Theatersaison wird am 27.8.2000 mit einem Promenadenkonzert „bei Sonnenschein und bester Urlaubslaune mit Johann Strauß & Co. auf dem Theatervorplatz“ (Henzold) eröffnet. Im 3. Sinfoniekonzert am 4./5.12. 2000 tritt außer den Orchestersolisten Günter Schraml und Wolfgang Mertes ein Stepptänzer auf, der Mahler-Zyklus wird mit der riesenhaften 6. Sinfonie („Tragische“) am 5./6.3.2001 fortgesetzt. Hans Bünte in der SZ: „Olaf Henzold stürzte sich förmlich in die zerklüftete Partitur – man meinte, ihn noch nie so facettenreich erlebt zu haben…Eine Herausforderung auch für das Staatsorchester. Respektabel, wie nahtlos die Melodien von einer Gruppe, von einem Solisten zum anderen weitergegeben wurden…Eine Interpretation von hoher Spannung – in den stürmischen Beifall mischte sich auch eine Demonstration für den scheidenden Dirigenten.“ Dieser setzt aber mit der Fünften am 28./29.5.2001 noch seinen Bruckner-Zyklus fort und gibt sein tatsächliches Abschiedskonzert am 18./19.6.2001 mit der so selten zu hörenden „Alpensinfonie“ von Richard Strauss. Die Konzerte in Saarlouis hat man mangels Publikum wieder eingestellt, dafür gibt es seit langem wieder ein Meisterkonzert, neudeutsch als MasterConcert vermarktet: Viktoria Mullova spielt am 6.4.2001 Schostakowitschs Violinkonzert mit dem SSO unter Vladimir Verbitsky. In der Oper stemmt Henzold mit ROSENKAVALIER (Regie Kurt-Josef Schildknecht) und TRISTAN (Regie Christian Pöppelreiter) wieder zwei große Brocken der Opernliteratur. Nach der TRISTAN Premiere hört man Kurt-Josef Schildknecht: „Das war Weltklasse!“ WIENER BLUT wird insgesamt 36–mal gegeben. Seit 1997 existiert der Internationale Gesangswettbewerb für Wagnerstimmen, im Jahr 2000 war der Richard-Wagner-Verband Saarland am 5.-14.10.2000 der Ausrichter, das SSO wirkt als Begleitorchester - wieder mal unter seinem immer noch in bester Erinnerung verbliebenen Ex-Chef Prof. Siegfried Köhler. Das vom Saarländischen Rundfunk live übertragene Schlusskonzert mit den acht Finalisten findet in Anwesenheit der Schirmherren, des Leiters der Bayreuther Festspiele Dr. h.c. Wolfgang Wagner und zahlreicher Ehrengäste aus dem In- und Ausland statt. Zu den Finalisten zählt auch der hauseigene Stefan Röttig, der 1.Preis geht an Sandra Firrincieli. Olaf Henzold beendet seinen Vertrag am SST vorzeitig, man hört und liest von Querelen mit der Intendanz.

Die Ära Grin 2001-2006 Leonid Grin wurde 1948 in der Ukraine geboren, im Alter von sieben Jahren gab er seinen ersten Klavierabend, als Elfjähriger gewann er den russischen Jugend-Kompositions-Wettbewerb. Er studierte in Moskau bei Leo Ginzburg und Kyrill Kondraschin bis 1977. Er dirigierte viele Orchester der Sowjetunion. 1981 emigrierte er in die USA. 1989-1994 war er Chefdirigent des Tampere Philharmonic Orchestra (Finnland) und war seit 1992 Musikdirektor des San José Symphony Orchesters (USA) bis zu dessen Auflösung 2001.

Bereits im 7. Sinfoniekonzert der Saison 1999/2000 am 15./16. Mai 2000 hatte sich Leonid Grin dem hiesigen Publikum als Gastdirigent des SSO vorgestellt und gleich einen seiner Lieblinge präsentiert: Tschaikowsky, mit der selten zu hörenden „Kleinrussischen“ Sinfonie Nr.2. SZ: „Seine große Stärke an diesem Abend zeigte sich darin, scheinbar jeden einzelnen Musiker zu inspirieren, das ganze Orchester zu umarmen – und das Publikum gleich mit.“ Schostakowitsch und Tschaikowski werden auch die ganz dominierenden Komponisten seiner Ära, ein Kollege meint einmal, er könne nun keine „Owskis“ und „Owitsche“ mehr

30 hören. Von Grins beiden Gastdirigaten aber war das SSO tatsächlich so angetan, das es ihn voller Hoffnung zum Chef kürte. Umso tiefer die Ernüchterung, als man nach seinem Engagement am SST keine Entwicklung, keine Nuancen und keine Vielfalt, dafür Monotonie, Sprachlosigkeit und missverständliches Dirigat bis hin zu echten „Schmissen“ und – wie es im Musikerjargon so schön heißt - „Verpinslern“ beobachten muss. Man hat bei diesem Dirigenten nie den Eindruck, dass er in Saarbrücken wirklich angekommen ist und seinen Posten als Chef ausübt. Eine Sache am Rande, aber typisch: in vier Jahren spricht Grin keinen Musiker mit Namen an sondern nur als Instrument, oft auch auf Englisch. Ausgerechnet das international übliche Wort „Tempo“ deutscht er ein. Seither ist „Zeitmaß!“ ein geflügeltes Wort im SSO.

2001/2002 100 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern 100-mal

Grin kommt zunächst nur als Chefdirigent der Sinfoniekonzerte, als Operndirigent beginnt er erst mit der Saison 2002/2003. Zu seinem Antritt verkündet er, er möchte das Staatsorchester aus der „Muschel des Theaterorchesters“ herausholen und entwirft Gastspielpläne bis hin zu Paris. Er stellt gemeinsam mit Musikdramaturg Alexander Jansen die Konzertsaison unter das Motto „LIEBE-LUST-LEBEN“ und gibt auch jedem Konzert einen Titel von „Eros & Heros“ bis „Glanz“. Es geht los am 17./18.September 2001 im 1. Konzert - mit was? - Tschaikowski und Schostakowitsch. Die SZ bemängelt das nicht ganz gelungene Zusammenspiel zwischen Klavier und Orchester im Klavierkonzert b-Moll, lobt aber die 5. Sinfonie d-Moll op.47: „Das Staatsorchester setzte alles mit Leichtigkeit um. Wenn man bedenkt, dass es Grin in seinem ersten Konzert gelungen ist, dem Orchester einen neuen, ungewohnt melancholischen dunklen Klang zu entlocken, verspricht seine Arbeit in Saarbrücken spannend zu werden.“ Eigene Orchestersolisten treten erneut auf: Wolfgang Mertes im 2. Konzert am 29./30. Oktober 2001 mit dem Violinkonzert von Mendelssohn, SZ: „eine echte solistische Hochbegabung“ sowie Günter Schraml (Klarinette) und Stephan Weidauer (Fagott) im 7. Konzert am 27./28.Mai 2002 mit dem vorletzten Werk des alten Richard Strauss, dem DuettConcertino. SZ: „Eine löbliche Entscheidung, die fortgesetzt werden sollte, da sie die solistischen Qualitäten der Orchestermitglieder ins rechte Licht rückt.“ Zum 2. Konzert am 18./19. Februar 2002 erkrankt Grin plötzlich, es übernimmt mit leicht geändertem Programm der 1. Kapellmeister Marcus Bosch, der auch planmäßig das Pfingstkonzert am 19. Mai 2002 leitet. Anlass: ein gemeinsam gefeiertes Doppeljubiläum mit 45 Jahren Richard-WagnerVerband des Saarlandes und 90 Jahren Staatsorchester. „Gemeinsam sind wir 135 Jahre“, so die SZ. Das Openair-Konzert zur Saison-Eröffnung wird beibehalten, diesmal in Verbindung mit einem Tag der offenen Tür am 1.9.2001. Das Repertoire im Musiktheater muss mit sieben Opern und einer Wiederaufnahme auskommen, einschließlich eines konzertanten Verdi-Abends, keine Operette, kein Ballett, kein Musical mit Orchesterbeteiligung. Da es keinen Opernchef gibt, liegt die Hauptlast in Händen des 1. Kapellmeisters Marcus Bosch. Ein ungewöhnlicher Abend im Musiktheater ist die szenische Aufführung von Schönbergs DIE GLÜCKLICHE HAND und ERWARTUNG (Saarbrücker Erstaufführungen) und Mahlers LIEDER EINES FAHRENDEN GESELLEN.

2002/2003 135 Vorstellungen mit SSO: 6 Opern 75-mal– Ballett 20-mal - Musical 40-mal

Das SSO live im Radio

31 Das 8. Sinfoniekonzert dieser Saison wird etwas Besonderes, nicht nur wegen Stargeiger Vadim Repin, nicht nur weil es Teil der Musikfestspiele Saar ist, sondern vor allem deshalb, weil der SR etwas unternimmt, was für dessen hauseigenes Orchester Selbstverständlichkeit ist, für das SSO aber ein Novum: die Direktübertragung am 14. Juli 2003 über das Sendegebiet des SR hinaus in rund 20 Länder weltweit, darunter Radio Vatikan. Das Haus ist absolut ausverkauft. SZ: „Das Staatsorchester wuchs über sich hinaus…War es die Festspielatmosphäre, war es das prickelnde Bewusstsein, dass über die angeschlossenen Sender etwas sechs Millionen Menschen zuhörten – ein großer Abend, vielleicht der Höhepunkt dieser Musikfestspiele.“ Brahms Nr.4, Beethoven Nr. 7, Mahler Nr.5, Bruckner Nr.4 und in der Direktübertragung Schostakowitsch Nr.10 sind die großen Werke dieser Saison. Ausnahmesolisten sind die Jungs von „Kol Simcha - Europas Klezmer Band Nr.1“ mit „Symphonic Klezmer“, das SSO begleitet ungewohnte Musik unter seinem früheren Kapellmeister Scott Lawton. „Die Rheinpfalz“ am 5.6.2003: „An den beiden Konzert-Tagen in der sehr gut besuchten Saarbrücker Congresshalle geschah Ungewöhnliches, und das Publikum nannte das Konzert mehrfach lautstark sogar „unglaublich“. Überragende Interpretationen, die, was in Saarbrücken nicht oft vorkommt, zu Standing Ovations und einer Reihe von Zugaben führten. Am Pult stand jetzt mit Scott Lawton der Chefdirigent des Deutschen Filmorchesters Babelsberg, der vor Jahren als Kapellmeister in Saarbrücken tätig war und den das Orchester offenbar noch gut kannte. Wie sonst wäre ein solch perfektes Zusammenspiel, eine solch mitreißende, vor Vitalität und Akkuratesse förmlich sprühende Wiedergabe völlig unbekannter Werke möglich gewesen?“ Solobratscher Ekkehart Fritzsch setzt die Reihe der orchestereigenen Solisten fort in „Harold in Italien“ von Berlioz am 12./13.Mai 2003. Spielzeiteröffnung mit einem Open-Air-Konzert unter Grins Leitung war am 31.August 2002 gewesen, dieser ist nun auch im Orchestergraben tätig: MASKENBALL und THE RAKES PROGRESS sind seine ersten Einstudierungen. Erhofft hatte man sich als „Chefdirigent und stellv. GMD“ Neil Varon, der die Position aber nicht antritt. Das Musical LES MISERABLES in der Inszenierung von Schildknecht wird mit 68 Vorstellungen in dieser und der nächsten Spielzeit zum Publikumsrenner, am Pult steht Konstantin Trinks. Alles in Farben der Trikolore, sogar das Orchester trägt im Knopfloch eine rot-weiß-blaue Rosette, was vom Intendanten persönlich überwacht wird. Wie immer laufen auch Kinderkonzerte, darunter fast non-stop der Dauerbrenner PETER UND DER WOLF. Nach langen Jahren der Abstinenz gibt es wieder eine kleine Tournee ins geliebte Solothurn: Das SST ist nicht mehr alleiniger Gast, sondern teilt sich das Festival mit anderen Bühnen, immerhin spielt man am 8. Juli 2003 ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL unter Leitung von Michele Carulli.

2003/2004 138 Vorstellungen mit SSO: 7 Opern 88-mal – Ballett 22-mal - Musical 28-mal

Die Konzertsaison eröffnet der bekannte Pianist Justus Frantz, der hier mehrfach als Solist gastiert hatte, nun kommt er als Gastdirigent zum 1. Konzert am 8./9. September 2003, die SZ stellt „hörbare Koordinationsprobleme“ fest. Im nächsten Konzert am 29./30. September 2003 (manchmal werden Sinfoniekonzerte sehr früh in der gerade beginnenden Spielzeit und

32 kurz hintereinander disponiert) gastiert ein Komponist, Intendant und Dirigent, dessen Kammeroper WEISSE ROSE einst in der Alten Feuerwache gegeben wurde: Udo Zimmermann. Er bringt zwei eigene Kompositionen mit: von 1985 das Orchesterstück „Mein Gott, wer trommelt denn da…?“, welches über die Weiße Rose reflektiert und „Ein Zeuge der Liebe, die besiegt den Tod“ von 1973. Grin dirigiert die Eroica (mit kaum zu erklärender Panne zu Beginn des Trauermarsches), die gigantische Leningrader Sinfonie seines geliebten Schostakowitsch, über den er nicht müde wurde, immer wieder zu erzählen, dass er ihn persönlich gekannt habe, Aus der Neuen Welt und Pathetique, in der Oper ANDRÉ CHENIER und PIQUE DAME. Das etwas andere Neujahrskonzert am 1.1.2004: Frank Nimsgern und seine Group musizieren mit dem SSO Arrangements aus seinen saarländischen Erfolgsmusicals PARADISE OF PAIN 1999, SNOWHITE 2000 und ARENA 2004. Bereits zum wiederholten Mal zeigt das Saarländische Staatstheater im großen Haus einen Film von Charlie Chaplin, "The Circus" von 1928. Und bereits zum wiederholten Mal sitzt im Graben vor der Leinwand das Saarländische Staatsorchester und spielt live zur Projektion die Filmmusik, die Charlie Chaplin selbst komponierte. Michele Carulli hat die Aufgabe, die vom SSO live gespielte Originalfilmmusik punktgenau mit der Leinwand zu synchronisieren. „Online Musik Magazin“: „Am Ende ist das Publikum von dem Film aufgeheizt, und lange und herzlich feiert es das nun auf der Bühne versammelte Orchester. Nach ausgesprochen unterhaltsamen eineinhalb Stunden: Leuchtende Augen beim Verlassen des Saarländischen Staatstheaters.“ Die stetig an Publikumsresonanz gewinnenden Kammerkonzerte sind längst fester Bestandteil des Konzertangebotes des SSO. Das Classic Openair von Solothurn hat sich dank Bühnenbild, szenischen Aufführungen und dem Verdikt, ohne Mikrofone und Verstärker zu singen, längst als international anerkanntes Opernfestival etabliert. Das SST gastiert zum – vorläufig? – letzten Male mit CSARDASFÜRSTIN am 6./7.7.2004. Eberhard Pleyer 1929-2004 Am 24. März 2004 verstirbt Kammermusiker Eberhard Pleyer, Ehrenvorstand des SSO und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Pleyer steht wie kein anderer für den Kampf für unser Orchester, sowohl für den Namen „Saarländisches Staatsorchester“, als auch für die personelle Aufstockung auf 80 Mitglieder, als auch vor allen Dingen für die mühsam erkämpfte Höherstufung zunächst nach B/F und schließlich die 1993 erreichte Einstufung in die Tarifklasse A der deutschen Kulturorchester. Eberhard Pleyer wurde am 27.6.1929 in Niederwürschnitz im Erzgebirgskreis in Sachsen geboren und war nach seinem Studium Solo-Posaunist an den Bühnen der Stadt Gera. Als Orchestervorstand stand für ihn damals schon die soziale Besserstellung von Musikern im Mittelpunkt, er kämpfte u.a. für die zusätzliche Altersversorgung. Die „Volkswacht“ vom 2.4.1958 - in der DDR das offizielle Presseorgan der SED-Bezirksleitung Gera - hetzt: „Was kümmert es Herrn Pleyer, dass in Westdeutschland täglich gestreikt wird, damit ein neuer, ein grauenvoller Atomkrieg verhindert wird, damit nicht im Westen unseres Vaterlandes Millionen gesunder Menschen nach dem Willen einer Verbrecherclique niedergeschlachtet, alte Kunstwerke eingeäschert und die Ergebnisse der mühevollen Arbeit der Volksmassen

33 vernichtet werden – ja, damit auch ein Herr Pleyer in der DDR weiterhin im Frieden leben und musizieren kann.“ Für Eberhard Pleyer ein deutliches Signal, er floh in die Bundesrepublik und wurde 1959 Posaunist im SSO Saarbrücken. 20 Jahre lang war er dort Vorstandsvorsitzender, DOV-Delegierter und Betriebsrat. In der DOV stieg er in den geschäftsführenden Bundesvorstand auf und wurde allseits ob seines enormen Einsatzes für die Orchestermusiker geschätzt. Kultusminister Prof. Dr. Breitenbach sagte anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am 5.5.1992 u.a.: „Eberhard Pleyer hat sich mit großem Engagement für den Berufsstand der Musiker eingesetzt und wesentlich zu einem konstruktiven Betriebsklima unter allen Mitgliedern des SST beigetragen.“ DAS ORCHESTER 5/2004 schrieb in einem Nachruf u.a.: „Er engagierte sich besonders für das Zusammenwachsen der DOV in Ost und West nach der Wiedervereinigung.“ Nicht nur für seinen Kampf für die tarifliche Höherstufung des SSO wurde er auf Beschluss des Orchesters zum Ehrenvorstand ernannt. Nicht zuletzt hat Pleyer in Fortsetzung der Arbeiten der Orchestervorstände Robert Querner (Bratscher 1912-1964) und Hubert Geyr (Solo-Fagottist 1913-1955) Teile der Chronik dieses Orchesters in schriftliche Form gebracht, schreibmaschinengetippt von seiner Frau und langjährigen Orchestersekretärin Henriette Pleyer.

2004/2005 132 Vorstellungen mit SSO: 5 Opern 55-mal – 2 Operetten 29-mal – Ballett 16-mal - Musical 32-mal

Saarbrücken feiert seine räumlich eigentlich längst vorhandene Kulturmeile mit einem großen Fest zwischen Staatstheater, Hochschule für Musik und Saarlandmuseum am 12. September 2004. Zu den drei benachbarten Kulturinstitutionen schließt sich der SR mit seinem Kulturpicknick an. Instrumentalgruppen des SSO stellen sich vor, das RSO gastiert auf „unserer“ Bühne und das SSO beschließt den Festtag mit einem Promenadenkonzert mit drei Dirigenten - Grin, Carulli und Trinks - auf dem Tbilisser Platz. Im 1. Konzert der Saison am 6./7.9.2004 gibt es ein freudiges und rührendes Wiedersehen: unser früherer Chef Jiří Kout steht als Gast vor dem SSO! Nach seinem Fortgang von Saarbrücken war er Chef in Leipzig und St. Gallen, Erster Gastdirigent an der Deutschen Oper Berlin und dirigierte an den großen Theatern und Festivals der Welt bis hin zu Opernproduktionen an der Met in New York. Nun hat er mit Smetana und Dvorák ein zu zwei Dritteln böhmisches Programm mitgebracht. Hans Bünte in der SZ vom 8.9.2004: „Seine Dirigiertechnik ist nichts anderes als intensiver körperlicher Ausdruck musikalischer Vorgänge. Und da das Staatsorchester verstand, was er wollte, spielte es auf einem so hohen Niveau, dass man nur sagen kann: bitte immer so.“ Im 5. Konzert am 7./8.3.2005 eine Sensation: der 74-jährige Weltstar Gennadi Rozhdestvensky, eine lebende Legende, lässt sich herab in die Niederungen der Provinz, wohl nur zu erklären durch Vermittlung von GMD Grin. Der alte Herr dirigiert nicht wirklich, sondern hat eine diabolische Freude an den exaltiertesten Taktierbewegungen, mit den Schultern, den Augen, den Fingerspitzen oder auch mal einem Schlag auf den eigenen Kopf. Das SSO hat ganz schön Gewöhnungsbedarf, den immer neuen Gesten und charmanten Clownerien zu folgen. Zudem wird Rozhdestvensky dem ihm vorauseilenden Ruf gerecht und probt nicht gerade intensiv. Kein Wunder, dass es am Abend schon mal „kleckert“. In der Oper ein Werk, das aufgrund seiner existentiellen wie politischen Stellungnahme und seines avantgardistisch-musikalischen Anspruchs zu den nachhaltigsten Leistungen des Musiktheaters nach 1945 gilt: Luigi Nonos INTOLLERANZA 1960. Es überrascht, dass weder Chef noch 1. Kapellmeister dieses epochemachende Werk einstudieren, dafür der

34 schlagtechnisch souveräne 2. Kapellmeister Constantin Trinks. „Die Opernwelt“ vom November 2004: „Constantin Trinks hat sich Nonos Partitur angenommen und führt durch das Stück, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Dabei geht es um eines der komplexesten und anspruchsvollsten Werke für das Musiktheater des 20. Jahrhunderts! Ein riesiges Orchester, Chor und Extrachor – in Saarbrücken rechts und links im Bühnenportal platziert – und allerlei raffinierte Tonbandeinspielungen gilt es zu koordinieren. Das gelang vorzüglich.“ Ebenfalls unter Trinks das Kontrastprogramm: Frank Nimsgern legt mit POE erneut ein Musical vor, das am 30. Oktober 2004 im SST seine Weltpremiere erlebt und 39-mal gespielt wird. Ideen und Figuren aus den Geschichten von Edgar Allan Poe bilden die Grundlage für das im Jahr 2004 zusammen mit Heinz Rudolf Kunze entstandene Musical. Das Orchester sitzt auf der Bühne, unsichtbar hinter der Szene und musiziert gemeinsam mit Frank Nimsgern, der steht nicht nur bei jeder Aufführung von POE mit seiner Band selbst auf der Bühne, er ist auch als Komponist ein Meister der Vielseitigkeit oder wie „Die Welt“ meint: „Frank Nimsgern ist definitiv Deutschlands erfolgreichster Musical-Komponist.“ Der GMD dirigiert ARABELLA und das seltene DALIBOR von Smetana. Operette wird in Auszügen konzertant in einer 13-mal gespielten Gala unter Carulli gegeben. Kinder- und Jugendkonzerte gewinnen an Zahl und Bedeutung mit drei angebotenen Programmen: außer PETER UND DER WOLF das zuletzt unter Märkl gespielte YOUNG PERSONS GUIDE TO THE ORCHESTRA von Benjamin Britten und ein Komponistenportrait MENSCH MOZART. Über Ostern wieder das beliebt gewordene Filmkonzert mit Charly Chaplin und Michele Carulli. Am 29.11.2004 beginnen die Probedirigate für die GMD-Nachfolge. Sparmaßnahmen, Theaterdonner und Intendanten-Abschied Am 26.3.2004 hatte GI Kurt-Josef Schildknecht seinen Vertrag bis 2008/2009 verlängert, verknüpft mit der Zusage seitens der Landesregierung, die mittelfristige Finanzplanung des Theaters fortzuschreiben, was gleichbedeutend ist mit der Zusage, die 24,5 Mill. € Theateretat beizubehalten. Da schlägt im Herbst 2004 eine kulturpolitische Bombe ein. Angesichts dramatischer Sparmaßnahmen soll der Theateretat Jahr für Jahr um 1,5 Mill € heruntergefahren werden und bei 18,5 Mill. € landen. Schildknecht fühlt sich „betrogen, belogen, beschissen“ und entfacht die Kampagne „Zerschlagen? Nein! – Verteidigen Sie Ihr Theater!“ mit Unterschriftensammlungen, einer großen Demonstration durch die Stadt und einer Großveranstaltung „Bürger fürs Staatstheater“. 100 000 Theaterfreunde unterschreiben, das SSO marschiert als Blaskapelle unter zackiger Leitung durch GMD Grin mit durch die Stadt und ist musizierend auf der großen Solidaritätsveranstaltung am 4. Dezember 2004. Zorn, Wut, Emotionen kochen, Zwischenrufe aus dem Publikum „Schildknecht, wir brauchen Dich!“ und aus dem Orchester „Herr Schreier, schämen Sie sich!“ Der Kultusminister wird zum Buhmann, eine honorige Versammlung von Intendanten und Kulturpolitikern hält Statements für die Erhaltung des SST. Horrorszenarien kreisen, Schließung ganzer Sparten und Spielstätten wird an die Wand gemalt, auch eine Zurückstufung des SSO nach B/F taucht in der aufgeregten Spardebatte ebenso auf wie ein Rück-Umzug der Sinfoniekonzerte ins Theater. Am Ende ist keineswegs alles gut, das Theater Arnual wird geschlossen, Schildknecht widerruft seine Vertragsverlängerung und kündigt sein Ausscheiden zum Ende der Saison 2005/2006 an, aber die Dramatik ist raus, man bewahrt kühlen Kopf, kaufmännischer Direktor Beckamp rechnet und rechnet, das Land senkt den einzusparenden Betrag in kleinen Schritten. Das SSO bleibt aber über Jahre hinweg betroffen: man steigt aus dem Flächentarifvertrag aus und bekommt einen

35 Haustarifvertrag, freiwerdende Stellen werden auf lange Sicht gesperrt und der ohnehin nicht üppige Spielplan wird nochmals zusammengestrichen. Wolfgang Räthe (1947-2005) Am 11. Juli 2005 verstarb nach schwerer Krankheit Kammermusiker Wolfgang Räthe im Alter von gerade mal 58 Jahren. Er war 1974 ins SSO gekommen, wo er als Solo-Oboist und später stellvertretender Solo-Oboist wirkte. Er war langjähriger Orchestervorstand und Betriebsrat sowie Initiator vieler kammermusikalischer Aktivitäten. So formte er aus sporadischen Kammerkonzerten eine feste Konzertreihe und gründete 1978 das Barockensemble des SST und 1984 die Sinfonietta Saarbrücken. Im Nachruf heißt es u.a.: „Er wird uns auch als freundliches und geschätztes Ensemble-Mitglied stets in bester Erinnerung bleiben.“

2005/2006 96 Vorstellungen mit SSO: 6 Opern 71-mal - Musical (konzertante Gala) 25-mal

Nach dem überwältigenden Erfolg des Festes im vergangenen Jahr richten die KulturAnrainer an der Saar das „Kulturmeilenfest und SR2 KulturPicknick“ am 4. September 2005 aus. Rund 20.000 Besucher besuchen es bei strahlendem Sonnenschein, bei der ersten Auflage 2004 kamen ca. 15.000 Menschen. Zwischen Staatstheater, Musikhochschule und Moderner Galerie findet ein umfangreiches Kulturprogramm mit rund 60 Veranstaltungen statt. Bei freiem Eintritt gibt es u.a. Kabarett, Lesungen und Konzerte. Kurt Josef Schildknecht sagt in seiner Ansprache: Ziel des Festes sei es, den Besuchern zu zeigen, dass in Saarbrücken mit Staatstheater, Musikhochschule und Moderner Galerie drei wichtige Kulturinstitutionen eine Kulturmeile bilden. Schildknecht betonte weiter, das Fest widerlege das Vorurteil, dass Kulturinstitutionen immer miteinander konkurrieren. Die drei Häuser zeigten, dass Institutionen kooperieren, wenn sie können. Die erste Saison in Zeiten der Sparmaßnahmen beginnt, man merkt es schon an den gedruckten Programmheften: statt des seit 1991 praktizierten, guten und vertrauten „Schildknecht-Layouts“ gibt es dünne, improvisiert wirkende Blättchen. Die hervorragende Idee, frühere Chefs als Gast einzuladen findet ihre Fortsetzung im 1. Konzert am 5./6.9.2005. Energiegeladen steht es unter Leitung von Jun Märkl – wegen des erneut sehr frühen Termins vor leider nicht gut besuchter Congresshalle. Nach der Ersten von Brahms trägt Märkl sich ins Gästebuch des SSO ein: „…als wäre es erst gestern gewesen. Nach 11 Jahren zurückgekehrt, durfte ich gleich an unsere Arbeit vergangener Zeiten anknüpfen. Es war wunderbar, Sie so motiviert, konzentriert und sorgfältig bei der Arbeit zu erleben, besonders mit Freude hat mich erfüllt, dass Sie wie früher Musik mit dem Herzen machen.“ – Grin dirigiert im 2. Konzert am 3./4.10.2005 die Neunte von Beethoven, die SZ (oli) stellt fest: „Unter Leonid Grins Händen stockte der Aufbruch, melodische Landschaften wollten da kaum blühen. Scharf und brüchig – und letztlich ohne innere Spannung.“ Im 4. Konzert dann wieder Schelte (pes) zu einer weiteren Schostakowitsch-Produktion unter Grin: „Nicht selten unerträglich pathetisch…kann die Risse nicht verhindern und das stilistisch Uneinheitliche unter ein Dach bringen.“ Und zu Grins Abschiedskonzert (fa): „Selbstverständlich wählte der in der Ukraine geborene und in Moskau ausgebildete Russisches…undifferenzierte Orchesterbegleitung…schwierig zu synchronisieren. Wo waren die vielen Piani und Pianississimi, die Tschaikowsky hineingeschrieben hat? Das Orchester gab sein Bestes…“

36 Unter den nur noch fünf Opernpremieren stehen zwei unter Grins Leitung, AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY und ELEKTRA. Constantin Trinks wurde vom Orchester auf die Position des 1.Kapellmeister befördert und produziert DON CARLOS, LA BOHEME und DON GIOVANNI. Weitere, nicht unkluge Sparmaßnahme: das Filmkonzert am 14.-16.Mai 2006 ist – in Kooperation mit Cinestar - gleichzeitig das 7. Sinfoniekonzert. Für Charly Chaplins MODERN TIMES engagiert das SST diesmal einen Spezialisten: Komponist, Arrangeur und Dirigent Timothy Brock, der die originale Partitur rekonstruiert hatte und mit Swing, Humor und sicherer Hand für die Synchronisation von Bild und Ton durch die wechselnden Stimmungen führt. 50 Jahre Richard-Wagner-Verband Saar Anlässlich des 50-jährigen Bestehens lädt der Richard-Wagner-Verband Saarland zu einem Festkonzert unter der Schirmherrschaft von Dr. h.c. Wolfgang Wagner und Ministerpräsident des Saarlandes Peter Müller am 30. April 2006 ins Saarländische Staatstheater. Das Saarländische Staatsorchester, wieder geleitet von Siegfried Köhler, begleitet in einer Operngala diesmal sechs Gesangssolisten, die teilweise Preisträger oder Finalisten des Gesangswettbewerbs 2003 in Bayreuth sind. Die herausragende Stimme gehört dem Tenor Jonas Kaufmann, der seine Bühnenlaufbahn am Saarbrücker Haus begonnen hat und am Beginn einer Weltkarriere steht. Er kommt gerade von seinem Debüt an der Metropolitan Opera New York, wo er den Alfredo in LA TRAVIATA sang, nach Saarbrücken. Am 13.Juli verabschiedet sich Kurt Josef Schildknecht mit „15 Jahre – Ein Fest“. Der scheidende Intendant wünscht einen fröhlichen Abschied und führt u.a. aus: „Nicht wenige von denen, die sich vor 15 Jahren unter den Protestierern befanden, sind später unsere Anhänger geworden. Es war unser Anliegen, dass sich möglichst viele Menschen mit dem Theater identifizieren können. Dabei war mir persönlich immer wichtig: die Leidenschaft für das Theater, die gute Arbeitsatmosphäre innerhalb des Hauses, die permanente Sorge um hohe Qualität. Man hat mir gesagt, Saarbrücken sei eine Theaterstadt geworden…Danke, dass Sie mitgespielt haben.“ Außer Schildknecht verlassen GMD Leonid Grin und Operndirektor Matthias Kaiser das SST. Kaiser: „Ich halte es für eine wichtige Erfahrung, dass das Orchester neben dem Dienst im Graben noch über etwas ganz Eigenständiges verfügt.“

Das Interregnum Trinks 2006-2009 Constantin Trinks wurde am 9. April 1975 in Karlsruhe geboren. 1994-2000 studierte er an der dortigen Musikhochschule Dirigieren bei Prof. Wolf-Dieter Hauschild und Klavier bei Prof. Günter Reinhold. Bereits während des Studiums korrepetierte er 1997 in Essen und in Karlsruhe, wo er 2000 als Kapellmeister angestellt wurde. 2002 kam er als 2. Kapellmeister ans SST Saarbrücken und wurde dort auf Vorschlag des Orchesters 2004 zum 1. Kapellmeister befördert. 2006-2009 fungierte er kommissarisch als Generalmusikdirektor und ist seit 2009 GMD am Staatstheater Darmstadt.

37 Trinks besticht durch makellose Schlagtechnik, profitiert allerdings auch davon, dass seine beiden übergeordneten Dirigenten hier deutliche Schwächen zeigten und Trinks dadurch an Beliebtheit im Orchester gewinnt. Er ist einer der ersten, der bewusst und insistierend die Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis in den Alltag eines „normalen“ Orchesterdienstes zu übertragen versucht. Darauf hat man lange warten müssen. Noch als viele Kollegen bereits in der Sinfonietta Saarbrücken von Leo Krämer die Erkenntnisse von Nikolaus Harnoncourt nahe gebracht bekamen und instrumental umsetzten, musste man sich „im Dienst“ quasi verstellen und so tun, als gebe es die neue Musizierpraxis gar nicht. Noch in den 1990-er-Jahren war bei Mozart ein Triller von oben nicht angesagt und wurde vom romantisch geprägten Kapell- und Konzertmeistern gerügt. Nicht so bei Trinks, Harnoncourt fasst vorsichtig Tritt im SSO, wenn auch nie ohne Widerstände. Es gibt einfach Streicherkollegen, die sich ein vibratoloses Spiel nur sehr schwer vorstellen können, geschweige denn umzusetzen bereit sind. Trinks hat viele interpretatorisch gute Ideen, steht sich aber insofern etwas im Wege, als er häufig eine gerade ausprobierte Interpretation – Artikulation, Dynamik, Ausdruck – mit einem „lieber doch nicht“ hastig widerruft und so manchmal an Glaubwürdigkeit einbüßt. Auch lässt er seinen Launen gerne freien Fluss; wenn er nicht gut drauf ist, bekommt es das Orchester zu spüren. Dennoch gilt er vielen im SSO als wesentlicher Orchestererzieher und Verschönerer des Klangs in Richtung Transparenz und Schlankheit.

2006/2007 102 Vorstellungen mit SSO: 5 Opern 57-mal – 1 Operette 22-mal – 2 Ballette 20-mal - Musical 3-mal

Dagmar Schlingmann neue Intendantin Am SST beginnt eine neue Ära. Dagmar Schlingmann vom Stadttheater Konstanz wird Generalintendantin. Bisher nur im Sprechtheater tätig, teilt sie die Leitung des Musiktheaterbetriebs neu ein: Constantin Trinks wird als im Vorjahr gekürter Erster Kapellmeister auch noch Kommissarischer Generalmusikdirektor, bekommt jedoch mit Berthold Schneider einen Operndirektor zur Seite (oder vor die Nase?) gestellt. Sie eröffnet ihre Ära mit der Inszenierung von BRASSED OFF – MIT PAUKEN UND TROMPETEN, bislang nur Cineasten bekannt als herrlicher Kinofilm zwischen Lovestory, Sozialkritik, trockenem englischem Humor und jeder Menge Blasorchester-InsiderGeschehen. Da eine Grubenkapelle die Hauptrolle spielt, engagiert sie die Bergkapelle St. Ingbert unter Leitung von Matthias Weißenauer, im Hauptjob Solo-Pauker des SSO. Die dritte Kulturmeile am 3.9.2006 wird seitens des SST auch als Hinweis auf diese Premiere und den Beginn der Ära Schlingmann genutzt. Außer dem abendlichen Promenadenkonzert des SSO werden überraschend saarländische Amateur-Blasorchester mit einbezogen. Die SAM vom 11.12.2006 berichtet: „Als Auftakt zum bereits dritten Kulturmeilenfest der Institutionen Staatstheater, SR, Musikhochschule und Moderne Galerie gab es am Sonntag einen Sternmarsch saarländischer Blasorchester zum Staatstheater. Mit von der Partie waren: die Bergkapelle 1839 St. Ingbert (Leitung: Matthias Weißenauer), der Musikverein Treue Fest Landsweiler (Leitung: Walter Skarba), das Stadtorchester 1865 "Harmonie" St.Wendel (Leitung: Stephan Weidauer), der Verein der Musikfreunde 1904 Ensdorf (Leitung: Mark Endres) und der Musikverein Ommersheim (zurzeit ohne Dirigent). Von verschiedenen Plätzen der Stadt aus marschierten die Orchester bei schönem Spätsommerwetter und trafen zeitlich wohl koordiniert auf dem Schillerplatz ein. Hier vereinigten sie sich zu einem MegaBlasorchester und gaben zur offiziellen Eröffnung des Festes durch den Kultusminister vier gemeinsame Werke zum Besten, in ungewohnter Aufgabe als Dirigent des Ad-Hoc-

38 Riesenensembles auf hohem Podest der 1.Kapllemeister des Saarländischen Staatstheaters Constantin Trinks.“ Drei Musiker des SSO treten an der eigenen Spielstätte als Dirigenten auf. Dies setzt sich fort am 7.10.2006 mit der von Schlingmann initiierten „Night of Brass“. Zeitgleich zu diesem wohl einmaligen Blasorchesterkonzert im SST findet auswärts ein Gastkonzert des SSO statt. Seit Jahren ist mal halboffiziell mal eher unter der Hand zu vernehmen, es sei eine Idee des Kultusministeriums, den GMD des Wuppertaler Theaters und Professor an der Hochschule für Musik Saar, Toshiyuki Kamioka, auch noch mit einem dritten Job zu versehen und damit an die Saar zu binden: er soll GMD des SST werden. Nun ist es an der Zeit, sich gegenseitig vorzustellen, Kamioka tut dies in der Illinger Illipse mit der großen C-Dur-Sinfonie von Schubert. Das 1. Sinfoniekonzert am 4./5.9.2006 steht noch nicht unter der Leitung des kommissarischen Chefs, sondern unter der seines Lehrers Prof. Wolf-Dieter Hauschild mit der gigantischen Achten von Bruckner. SZ: „Ein Konzert als Maßstab für die kommende Saison. Und als Mahnung an den künftigen Chefdirigenten, dieses orchestrale Potential zu nutzen und auszubauen.“ Trinks agiert als Chef im 3. Konzert am 20./21.11.2006 mit der Ersten von Sibelius und im 5. Konzert am 5./5.2.2007 mit Bartoks Konzert für Orchester. Die SZ probiert eine neue Musikkritikerin aus, welche meint, das SSO polemisch angreifen zu müssen, redet von „lethargischer Orchestermasse“ statt von Menschen, „mulmiger Einheitsdynamik“ und „lauwarmer Betriebstemperatur“. Eintagsfliege. Wieder kehren zwei ehemalige Chefs zurück an die alte Wirkungsstätte, mit nur geringem Zeitabstand Leonid Grin, diesmal mit der Sechsten Schostakowitsch und seit vielen Jahren mal wieder Christof Prick mit der Vierten von Beethoven. Wolfgang Mertes ist orchestereigener Solist im 4. Konzert mit dem Violinkonzert von Bruch. Die vom Orchester und vom Wagner liebenden Publikum sehnsüchtig erwartete Musik des RING bekommt einen Teilerfolg: kaum sind 15 Jahre Ära Schildknecht vorbei, gibt es RHEINGOLD (allerdings von letzterem noch mitkonzipiert). Der erste Teil-Ring seit der Tetralogie 1990 unter Kout. „Trinks ist Blutswagnerianer, der seit Teenager-Zeiten auf den Bayreuther Hügel pilgert. Sein erstes Rheingold klingt wie das Dirigat eines altbewährten Routiniers, der jeden Winkel und jede Facette der Partitur souverän beherrscht, niemals ins Schlieren kommt und Orchester wie Sänger durch seine unerschütterliche Kompetenz auf Händen trägt. Diese stupende intime Kenntnis eines Rheingold-Debütanten verblüfft.“ (Nordbayerischer Kurier vom 25.9.2006) – Seit langem wieder ein großer Ballettabend mit Orchesterbeteiligung, ROMEO UND JULIA von Prokofjew, etwas unerklärlich als Uraufführung angekündigt. Mit den FLORENTINER INTERMEDIEN von 1589 begibt sich das SST ganz an den Anfang der Opernliteratur und gewinnt den Spezialisten Konrad Junghänel als Gastdirigenten, und kontrastreich mit KULLERVO von Aulis Sallinen (1935) ein Werk weit abseits von ausgetretenen Repertoirepfaden.

50 Jahre Saarland 50 Jahre Saarland: das mit europäischem Statut seit 1947 bestehende Land trat nach der Volksabstimmung von 1955 zum 1.1.1957 als 11. Bundesland der Bundesrepublik

39 Deutschland bei. Wie seinerzeit Konrad Adenauer kommt auf demselben Wege, nämlich mit dem Zug von Bonn, und an dieselbe Stätte, nämlich das Staatstheater an der Saar, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum feierlichen Staatsakt. Selbstverständlich umrahmt das Staatsorchester diesen hoheitlichen Festakt und wird – wie leider nur bei so staatstragenden Aufgaben – live vom SR-Fernsehen übertragen. Unter Constantin Trinks eröffnet es mit der „Akademischen Festouverture“ von Brahms und spielt zur Choreographie von Marguerite Donlon aus der g-Moll-Sinfonie von Mozart, sowie mit Stephanie Krahnenfeld „Casta Diva“ aus NORMA. Ministerpräsident Peter Müller hält die Begrüßungsrede, Bundeskanzlerin Merkel die Festansprache. Sie lobt das Saarland als europäische Modellregion und erteilt einer Länderneugliederung eine deutliche Absage. Indirekt auch gut für das Saarländische Staatsorchester, welches sich ja im unwahrscheinlichen Fall der Fälle als saarpfälzisches Regionalorchester schon wieder einen neuen Namen suchen müsste…

Royston Maldoom mit Tanzprojekt in Saarbrücken Für ein außergewöhnliches und einzigartiges Schüler-Tanz-Projekt hebt sich mit Strawinskys FEUERVOGEL am 28. April 2007 und fünf weiteren Abenden der Vorhang des SST. Nach dem phänomenalen Erfolg mit RHYTHM IS IT mit den Berliner Philharmonikern kommt der international bekannte britische Choreograph Royston Maldoom ins Saarland, um mit ausgewählten Schülerinnen und Schülern eine musikalisch und tänzerisch hochklassige Arbeit zu leisten. Gegenüber dem Pilotprojekt Berlin wird an der Saar noch eines darauf gelegt: auch im Orchestergraben spielen Jugendliche mit, Mitglieder des Landes Jugend Symphonieorchesters des Saarlandes (LJO). Der hautnahe Kontakt mit den Profis ist für die jungen Leute eine völlig neue Erfahrung, aber Berührungsängste verflüchtigen sich rasch. Auch Constantin Trinks arbeitet zum ersten Mal mit einem Nachwuchsklangkörper. „Die jungen Musiker haben sich blitzschnell eingefügt, dabei ist der Feuervogel wirklich ein ziemlich kniffliges Stück. Hut ab vor dieser Leistung“, lobt Trinks. Der Erfolg des unter der Leitung von Royston Maldoom einstudierten Tanzprojektes übertrifft die kühnsten Erwartungen. Die regulären Karten sind ausverkauft, selbst für die eilig anberaumten Zusatzvorstellungen gibt es nur noch wenige Restkarten. „Die Jugendlichen bringen so viel frischen Wind und Begeisterung in den Graben, da weiß man wieder ganz genau, warum man damals diesen Beruf gewählt hat“, sagt Wolfgang Mertes, der Konzertmeister des Staatsorchesters, der in seiner Jugend selbst im LJO spielte. Eine Chor-Gala, Filmkonzerte („Nosferatu“) und Kinderkonzerte (Insider-Jargon: FIKO und KIKO) runden das Angebot dieser ereignisreichen Spielzeit ab.

2007/2008 124 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern 78-mal– Ballett 22-mal - Musical 24-mal

Das beliebte und zur Tradition gewordene Promenadenkonzert am 19.8.2007 findet in diesem Jahr als Bestandteil des „Landesfestes“ statt, Höhepunkt der Festivitäten zum 50. Geburtstag des Saarlandes

40 Noch vor Beginn der eigentlichen SST-Saison spielt das Staatsorchester Opernvorstellungen im E-Werk Burbach - gewissermaßen bei der Konkurrenz der „Musik und Theater Saar“ und zwar gar nicht mal als „Mugge“ (Musiker-Gelegenheitsgeschäft) sondern ganz offiziell als Dienst. Gastdirigent Marzio Conti und das SSO verstehen sich auf Anhieb und musizieren eine AIDA voller Italianita. Premiere der vier Vorstellungen in der alternativen Spielstätte ist am 22.8. Auf der Bühne erlebt man die wieder aufgewärmte Inszenierung von 1994 aus Graz des Enfant Terrible der Regisseure Peter Konwitschny, also Aida ohne Pyramiden, ohne Elephanten und ohne Nil, sondern im Wohnzimmer auf dem Sofa. SZ am 24.8.2007: „Und erfreulich auch, dass dies mit wesentlichem saarländischen Anteil geschieht: das Staatsorchester erweist sich als ebenbürtiger Partner der hochkarätigen Produktion. Marzio Contis teilweise ekstatisches Dirigat sorgte da für eine temperamentvoll durcheilte Partitur, was aber weder dem schön aufblühenden Klang des Staatsorchesters Abbruch tat, noch die intimen Momente überdeckte. Bravo!“ In der Konzertsaison stellt Trinks ein Programm zusammen, in welchem er die „Dritten“ von Mahler, Bruckner und Brahms vorstellt. Es gibt endlich mal ziemlich viel Mozart und sogar Haydn, immer noch Rarität im romantisch dominierten Konzertleben Deutschlands. Trinks dirigiert drei Konzerte, so erlebt man vier Gäste am Pult des SSO, Wolf-Dieter Hauschild kommt zweimal. Im Gästebuch des SSO reimt er: „Dieses war der zweite Streich / doch der dritte folgt sogleich / Bruckner, Mahler, Brahms und Haydn /zeigen klar die besten Seiten / des Orchesters in Saarbrücken / ich will fest die Daumen drücken.“ Operndirektor Berthold Schneider hat wiederum eine verschollene Oper ausgegraben: EIS UND STAHL, ein stalinistische Agitationswerk von 1929 eines gewissen Wladimir Deschewow, den nicht einmal gut informierte Musikwissenschaftler kennen. „Am Pult sorgte Will Humburg für Präzision und Power. Maschinengeräusche, krachende Klangkaskaden, überhitzte Tempi, exaltiertes Blech - alles verbindet sich zu einer unerbittlich fortschreitenden, alles überrollenden Orchesterwalze.“ (Deutschlandradio am 28.10.2007) Die Oper wird am 8.12.2007 direkt übertragen und erstmals in der Geschichte des SST erscheint bei Arthaus davon eine käuflich erwerbliche offizielle DVD. – Konrad Junghänel gastiert zum zweiten Mal mit einem zwar nicht vom Instrumentarium aber von der Stilistik her barocken Staatsorchester in Händels AGRIPPINA. Die von Dagmar Schlingmann inszenierte TRAVIATA gastiert am 12.10.2007 auch im Forum in Ludwigsburg. - Trinks stemmt LOHENGRIN und CARMEN, im Ballett gibt es einen Picasso-Abend, in dem nach der Pause SACRE DU PRINTEMPS (mit reduziertem Bläserund Schlagzeug-Apparat) getanzt und unter Leitung von Christophe Hellmann gespielt wird. Auch dieses Werk von 1913 wird auf Transparent und Programmheft als Uraufführung tituliert.

2008/2009 126 Vorstellungen mit SSO: 7 Opern 70-mal – 1 Operette 1 7-mal –2 Ballett 24-mal – Schauspiel 15-mal

Nach einem Jahr Unterbrechung gibt es die 4. Saarbrücker Kulturmeile, das Promenadenkonzert unter freiem Himmel am 31.8.2008 jedoch ist unter verschiedenen Namen längst Selbstverständlichkeit. Seit ein paar Monaten haben wir einen neuen kaufmännischen Direktor: Dr. Matthias Almstedt hat Helmuth Beckamp in diesem Amte abgelöst.

41 Für Constantin Trinks bricht die letzte von insgesamt sieben Spielzeiten am SST an, er meldet eine „leise Wehmut des allmählichen Abschiedsnehmens“ und stellt noch einmal das klassische Dreigestirn Haydn-Mozart-Beethoven an prominenter Position auf den Konzertspielplan und mit Schubert, Brahms, Bruckner und Mahler deren Weiterwirken in der Wiener Tradition. Die Kritik meint, das „sich ständig verbessernde Orchester“ könne in eine höhere Klasse gehoben werden. Mit Simon Seidel als orchestereigenem Solisten wird im 5. Konzert am 5./6.1.2009 auch mal ein Instrument eingesetzt, das nur selten als Solist zu hören ist: die Posaune. Die Kritik äußert den Wunsch, künftig mehr Bläsersolisten zu hören. Das 8. Konzert am 29./30.6.2009 wird vom SR aufgezeichnet, Trinks und Musikdramaturg Christoph Gaiser werden mit Blumen verabschiedet. Anknüpfend an das Jugendprojekt DER FEUERVOGEL in der Spielzeit 2006/07 erarbeiten junge Menschen aus dem ganzen Saarland nun unter der Anleitung des Regisseurs Jürgen Müller die Uraufführung eines Bühnenstücks zu dem der amerikanische Komponist Ari Benjamin Meyers eigens die Musik komponiert hat: die MUSIKMASCHINE kommt mit SSO, LJO und JAZZ TRAIN (Landes-Schüler-Bigband des Saarlandes) am 19.-21.6.2009 zur Aufführung. Das Neujahrskonzert am 1. Januar mit Strauss & Co. hat sich zunehmend etabliert. Berthold Schneider hat schon wieder eine ganz besondere Oper nach Saarbrücken geholt, nicht der letzte sondern DER ERSTE KAISER von Tan Dun erlebt nach seiner UA 2006 an der Met NY am 6.9.2008 die europäische E rstaufführung in Saarbrücken und wird 8-mal gespielt. „Der Saarbrücker Noch-GMD Constantin Trinks bringt die Komponenten mit erstaunlicher Leichtigkeit zusammen. Instrumente wie die Zheng, chinesische Trommeln oder eine „Wasser-Perkussion“ finden zu spannungsgeladener Einheit mit dem gut aufgelegten saarländischen Staatsorchester, das ebenso wie der exzellent agierende Chor auch ungewöhnliche, fernöstlicher Musiksprache entspringende Aufgaben übernimmt.“ (Opernwelt 9-2008) – Die Oper TIGRANE von Scarlatti aus dem Jahre 1715 erlebt ebenfalls an der Saar ihre deutsche Erstaufführung – 294 Jahre nach der Premiere in Neapel! Während das Bühnenbild die Werkstätten schont, indem es ausschließlich aus Luftballons besteht, bemüht sich das SSO unter „Echo Klassik“-Preisträger 2008 George Petrou erneut um möglichst authentischen Barocksound. – Am 26.10.2008 gastieren das Ballett und das SSO mit ROMEO UND JULIA in Bonn. „Auch hier versagt sich die Choreografin jedes Pathos und überlässt dem mit Verve aufspielenden Saarbrücker Orchester unter Christophe Hellmann den finalen Liebeskick.“ (Bonner Generalanzeiger vom 28.10.2008) Erstes Abonnentenfest des SSO Zum 5.7.2009 hat der Orchestervorstand die hervorragende Idee, einmal ein Fest für unsere Abonnenten auszurichten, als kleines Dankeschön für teilweise jahrzehntelange Treue. Unsere Zuhörer sollen uns und wir sie einmal ohne die Distanz der Bühnenrampe kennen lernen. Unter dem Dach des Theaters wird im Orchestersaal, im Chorsaal und auf Probebühnen ein musikalisches Programm mit vielen Einzeldarbietungen dargeboten, das Orchester musiziert geschlossen, aber ohne Dirigent die nicht ganz simple Ouvertüre zur FLEDERMAUS. Eine Talkshow mit Dirigenten und Orchestermusikern auf dem Sofa,

42 kulinarische Genüsse und Blasmusik erwärmen (im Wortsinne) nicht nur die Herzen unserer sehr zahlreich erschienenen Besucher.

Die Ära Kamioka seit 2009

Toshiyuki Kamioka wurde am 20. September 1960 in Tokio geboren. Er studierte von 1979 bis 1983 an der Hochschule der Künste und Musik in seiner Heimatstadt Dirigieren, Komposition, Klavier und Violine. Ein Stipendium von Rotary International ermöglichte ihm weiterführende Studien an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Nach Tätigkeiten als Solorepetitor und Kapellmeister in Kiel und als 1. Kapellmeister am Aalto-Theater in Essen wurde Kamioka 1996 zum Generalmusikdirektor am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden ernannt. Zusätzlich war er von 1998 bis 2006 Generalmusikdirektor der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford. Von 2004 bis 2009 war Toshiyuki Kamioka Generalmusikdirektor der Wuppertaler Bühnen und des Sinfonieorchesters Wuppertal, dem er auch weiterhin als Chefdirigent verbunden bleibt. Seit der Saison 2009/2010 hat der seit 2004 hier an der Hochschule für Musik lehrende Professor für Dirigieren auch die Position des Generalmusikdirektors des Saarländischen Staatstheaters.

Toshiyuki Kamioka beweist vom ersten Moment an eine fulminant großartige Schlagtechnik, bei der „Verschlagen“ ein Fremdwort ist. Aber es ist nicht nur ein absolut deutliches und unmissverständlich zwingendes Dirigat, es ist auch in Gestik und Mimik her in höchstem Maße von Emphase und großer Emotion geprägt, einfach derartig fesselnd, dass sich dem kein Musiker entziehen kann. Die Partitur liegt selten auf und wenn doch, dann unaufgeblättert – ein Kollege nennt es „Staubschutz fürs Dirigentenpult“ - durchaus auch für die Dauer einer einstündigen Mammutsinfonie. Die ersten Proben sind grundsätzlich Durchläufe ohne jedes Abbrechen und ohne jede Rücksicht auf Verluste, Ansagen wie „Hier schlage ich in 2 und hier unterteile ich“ sind vollkommen unnötig, da man beim ersten Durchlauf genau verstehen kann, was gemeint ist. Danach beginnt dann die Arbeit an vielen Details. Sehr überraschend waren seine unvorstellbaren Ansprüche im Piano-pianississimoBereich. Noch nie musste unser Orchester so leise spielen, manches Mal waren wir unhörbar wie beim Beginn von Debussy LA MER und auch das hochberühmte Kontrabass-Solo in OTELLO konnten wohl nur Zuhörer mit Hörgerät vernehmen. Nicht so angenehm: wenn ihm am Abend eine Gruppe nicht leise genug ist, kann er coram publico überdeutliche und ungeduldige Gesten der Aufforderung zum leiser Spielen anwenden.

2009/2010 97 Vorstellungen mit SSO: 8 Opern 73-mal – 2 Ballette 24-mal 0

Nun ist er also endlich wirklich da. Viel war im Vorfeld über ihn und die geplante Zusammenarbeit zwischen Staatstheater und Musikhochschule geredet und geschrieben worden. Nach drei Jahren ohne Chef haben Theater und Orchester wieder eine Führungspersönlichkeit. Kamioka hat viel vor: „Ich möchte einen Klang erreichen, den es

43 nur hier gibt. Etwas, das nur wir haben. Und wenn man das hören will, muss man nach Saarbrücken kommen.“ (SZ vom 11.9.2009) Nach sechs Jahrzenten: sonntags statt dienstags GMD Toshiyuki Kamioka bricht mit einer großen und sehr langen Tradition: den Terminen für die Sinfoniekonzerte! Das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde hatte 1912 mit Doppelkonzerten Freitag/Samstag begonnen, war aber im 3. Konzert seiner ersten Saison am 20./21.1.1913 schon mal auf Montag/Dienstag ausgewichen. Nach dem 1. Weltkrieg gab es ab dem 5. Oktober 1918 zunächst nur Einzelkonzerte, unter GMD Felix Lederer dann ab der Saison 1922/1923 wieder Doppelkonzerte, jetzt Dienstag/Mittwoch. In der Saison 1924/1925 ging Lederer konsequent mit sehr seltenen Abweichungen ab 13./14.10.1924 auf Montag/Dienstag und führte dies bis 22./23.4.1929 fort. Ab dem 6. Konzert 1929/1930 am 11.2.1930 gab es wohl wegen der an anderer Stelle erwähnten Sparmaßnahmen nur noch Dienstags-Konzerte. Dies setzte sich nach Lederers durch die Nazis erzwungenem Fortgang unter den GMDs Wilhelm Schleuning 1935-1937 und Heinz Bongartz ab 1937 fort, seit 25.10.1938 dann im neuen Theater. Nach der Zerstörung des Theaters durch die Bombenangriffe vom 29.7. bis 2.8.1942 ging man wieder zurück in den Saalbau und spielte dort bis zu dessen Zerstörung am 27.5.1944 zum letzten Mal am Dienstag, den 2.Mai 1944. Zur Wiederaufnahme des Konzertbetriebes 1947 fanden unter GMD Philipp Wüst Einzelkonzerte am Montag und gelegentliche Doppelkonzerte statt, ab 3. Februar 1946 kam wieder als regelmäßiger Konzerttag der Dienstag bis zum 8. Konzert 1949/1950 am 16. Mai 1950. Doch dann gab es ab der Saison 1950/1951 seit dem 9./10. Oktober 1950 in ununterbrochener Regelmäßigkeit über 59 Jahre lang Doppelkonzerte am Montag und Dienstag bis einschließlich 29./30.Juni 2009 (Ausnahme Umbauspielzeit 1988/1989 wegen Schließung des Theaters). Damit ist es am 13. September 2009 vorbei: auf Kamiokas Wunsch spielt das SSO jetzt jeweils eine Sonntags-Matinee und ein Montagabend-Konzert. Die Abonnenten werden angeschrieben und müssen umdisponieren, das Dienstagskonzert – ursprünglich nach der Voraufführung am Montag das Hauptkonzert – gibt es nicht mehr. Kamioka: „Der Vormittag richtet sich auch an Familien. Es gibt auch Kinderbetreuung während des Konzerts. Aber es ist auch für ältere Menschen ein Angebot, die vielleicht am Abend nicht mehr so gern ins Konzert gehen mögen.“ 13.9.2009 – 11 Uhr: Kamioka debütiert und fasziniert höchst konzentriert und fesselnd von der ersten bis zur letzten Note von Mahlers gigantischer Zweiter. Weiter ist er zu erleben z.B. in FEUERVOGEL von Strawinsky, HELDENLEBEN von Strauss, konzertanten Ausschnitten aus dem RING (unerklärlicherweise leider in reduzierter Besetzung ohne Wagnertuben und weitere essentielle Bestandteile eines Ring-Orchesters), der Sechsten von Beethoven und der Zweiten von Brahms. Das Neujahrskonzert am 1.1.2010 leitet ebenfalls der neue Chef und beweist, dass er auch in Wiener-Walzer-Agogik zu Hause ist. – Endlich gibt es wieder ein eigenes und in der Aufmachung sehr gut gelungenes Spielzeit-Programmheft des Saarländischen Staatsorchesters, dessen Logo nun auch bei den Konzerten über dem Orchester schwebt.

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In der Oper dirigiert der neue Chef HÄNSEL UND GRETEL sowie OTELLO. Ansonsten wird der Opernspielplan zwar preisgekrönt aber mit Werken weit ab von den Publikumslieblingen immer abgehobener. DOCTOR ATOMIC von John Adams ist zwar hoch spannend, SAKONTALA - rekonstruiert nach Schubert-Skizzen – hingegen von extremer Langweile und in kurioser Inszenierung, bei beiden Opern hat das Orchester das Gefühl, vor halbvollem Hause zu spielen. – Am 11. und 14.11.2009 gibt es mit LOHENGRIN ein Gastspiel in Luxemburg, nochmal unter Leitung von Constantin Trinks. Saisonstart war wie inzwischen gewohnt mit dem Openair Konzert des SSO, dieses Jahr am 6.9.2009 unter dem Titel „Theaterfest“.

Tag der deutschen Einheit 2009 Sechzehn Jahre sind vergangen und wieder ist das Saarland Ausrichter des Tages der deutschen Einheit. Die gesamte Bundesprominenz ist zum feierlichen Festakt in der in blauviolettes Licht getauchten Congresshalle versammelt, darunter Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel, sowie Urgestein Hans Dietrich Genscher. Der 3. Oktober im Jahre 2009 ist ein besonderer Tag – 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer. Ministerpräsident Peter Müller begrüßt die Vertreter der obersten Staatsorgane im „ältesten der neuen Bundesländer“, Angela Merkel hält die Festrede. Das SSO und der Opernchor unter dem neuen 1. Kapellmeister Andreas Wolf umrahmen die Feier gekonnt und diesmal pannenfrei mit der (ziemlich unbekannten und heikel beginnenden) Leonoren-Ouvertüre Nr.1 von Beethoven und den von Marguerite Donlon als Bau und Fall der Berliner Mauer choreographierten Mozart-Ausschnitten aus Requiem und Jupiter-Sinfonie. Dazu mit 50 saarländischen Schülern/-innen einen Auszug aus der MUSIKMASCHINE von Ari Benjamin Meyers. Das ZDF überträgt live (Sprecher: „aus dem kleinen Saarbrücken“) in guter Bild-und Tonqualität und Kameraeinstellungen, die zahlreiche Mitglieder des SSO in Nahaufnahme zeigen. Einer jener leider viel zu seltenen Momente, in denen unser Orchester überregional in den Medien zu hören und zu sehen ist. Die zeitversetzte Wiederholung nachmittags bei Phoenix ist schon am selben Abend bei YouTube im Internet zu verfolgen, Leistungsschutzrechte kamen hier bestimmt nicht zur Anwendung? Die Gasgebläsehalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte weckt bei Besuchern Assoziationen an Science Fiction-Filmarchitekturen. Vor diesem Hintergrund macht das Weltkulturerbe Völklinger Hütte ein besonderes Angebot: die größten Klassiker der Science Fiction-Filmmusik. Dirigent und Moderator Andreas Wolf präsentiert am 14.5.2010 50 Jahre Science Fiction Filmmusik live gespielt vom Saarländischen Staatsorchester Saarbrücken, nachdem man an derselben Spielstätte am 8.11.2009 mit einem Zauberer-Programm zu Gast gewesen ist. Mit dem aus dem Schuldienst kommenden Thorsten Gand hat das Orchester zum ersten Mal in seiner Geschichte einen „Orchestermanager“, mit Orchesterinspektorin Anne Braun und

45 den Orchesterwarten Klaus Schaan, Tilman Wenzel und Kenneth Weber nun einen respektablen Organisationsstab.

Wolf-Dietrich Wirbach verabschiedet Im letzten Konzert der Saison wird Wolf-Dietrich Wirbach nach fast 40 Jahren Tätigkeit als Solo-Cellist des SSO verabschiedet. Der gebürtige Thüringer kam 1960 in die BRD, studierte in Mainz und Berlin und erhielt direkt nach seinem Examen 1971 seine Stelle im SSO. Er war mehrfach Solist in Konzerten und wirkte als gefragter Kammermusikpartner in unendlich vielen Kammermusikkonzerten mit. Bescheiden und ruhig, immer präsent, setzte er Maßstäbe für seine Position.

2010/2011 101 Vorstellungen mit SSO: 7 Opern 65-mal – 1 Operette 18-mal – Ballett 18-mal

Im Spielzeitprogrammheft 2010/2011 des SSO findet man erstmals aktuelle Farbphotos aller Instrumentalgruppen, die kurz darauf auch auf der Website des SST zu bewundern sind. Ein großer Fortschritt in der Selbstdarstellung des SSO nach außen. – Das SSO spielt mit einer Stammbesetzung von 83 Musikern/-innen und ist seit einigen Jahren durch zehn Praktikanten/-innen verstärkt, einige Kollegen/-innen haben auf eigenen Wunsch nur halbe Stellen. – Der Chef dirigiert erneut sechs der acht Abo-Konzerte und eröffnet wieder mit Mahler, gefolgt von Richard Strauss, stellt das Mozart-Requiem in die Konzertreihe und beschließt die Saison mit den „Planeten“ von Holst. – Im 6. Konzert stehen mit Konzertmeister Wolfgang Mertes und dem neuen Solo-Cellisten Benjamin Jupé im Doppelkonzert von Brahms wieder Solisten aus den eigenen Reihen auf dem Podium. – Erstmals gastiert das SSO unter Kamioka im wunderschönen Arsenal des benachbarten Metz, das Science-Fiction-Programm unter Andreas Wolf wird in vier saarländischen Städten wiederholt. Wolfgang Mertes leitet das Projekt „Acht Jahreszeiten“, bei welchem zur Musik von Vivaldi und Piazolla eine Symbiose mit der Malerei hergestellt wird. – In den Kammerkonzerten konzertieren am 5.12.2010 in der Deutschherrenkapelle erstmals Mitglieder des SSO und Gäste als „Saarländisches Barockensemble“ auf historischen Instrumenten. Im Musiktheater ragen hervor TURANDOT unter Kamioka, eine witzige SCHÖNE HELENA, mit PHAETON von Lully erneut eine Barockoper und mit sehr prominentem Gast eine Collage aus Musik, Film und Wort: DAS BUCH DER UNRUHE von Fernando Pessoa unter Leitung des 2. Kapellmeisters Thomas Peuschel und Klaus Maria Brandauer in der Sprechrolle. DER CID (1865) des in Saarbrücken-Schafbrücke geborenen Théodore Gouvy (1819-1998) kommt 146 Jahre nach seiner Entstehung am 3.Juni 2011 unter Leitung von Gastdirigent Arthur Fagen in Gouvys Heimatstadt zur Uraufführung. Die Vorstellung am 11. Juni 2011 wird vom SR live übertragen und eine CD wird produziert. Fachleute empfehlen diese Oper zur Übernahme ins Repertoire der Opernhäuser. Am 19. Juni 2011 lädt das SSO seine treuen Konzerthörer zum zweiten Abonnentenfest, diesmal in die Congresshalle, direkt im Anschluss an das 8. Sinfoniekonzert. Nach dem Verklingen des esoterischen Frauenchors von Gustav Holsts NEPTUN gibt es ein kleines

46 warmes Buffet, eine Begrüßung durch OV Stefan Bender und GI Dagmar Schlingmann und ein Programm, in dem sich jede einzelne Gruppe des SSO solistisch präsentiert, abgeschlossen mit der CANDIDE-Ouverture unter GMD Kamioka.

2011/2012 94 Vorstellungen mit SSO: 9 Opern 78-mal – Ballett 16-mal

Die 100. Spielzeit des SSO hatte bei Redaktionsschluss für diese Festschrift gerade begonnen, daher ist ein Rückblick auf sie hier nicht mehr möglich. – Aus der Vorausschau sind die Höhepunkte die Festivitäten zum 100. Jahrestag des SSO, eine kleine Konzerttournee unter Ex-Chef Prick nach Frankreich, PARSIFAL und MADAME BUTTERFLY unter Kamioka sowie die Neunte von Bruckner. Die Intendantin schreibt ins sehr gut aufgemachte Programmheft der Jubiläums-Saison: „Es erfüllt mich mit Stolz, einen so traditionsreichen Klangkörper an unserem Haus zu haben.“ GMD Kamioka: „Wir begehen das 100-jährige Jubiläum des Saarländischen Staatsorchesters, auf das ich sehr stolz bin und mich freue.“

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