Wenn der Darm gereizt ist

January 24, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Gesundheitswissenschaften
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STIEFS SPRECHSTUNDE

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Wenn der Darm gereizt ist

GESTÖRTE VERDAUUNG Auf was sollte man untersuchen?

Wenn die Verdauung streikt, ist das quälend. Nicht immer findet sich dann eine körperliche Ursache. Doch auch für Reizdarm-Patienten gibt es Hilfe. Bei der Suche nach der richtige Therapie brauchen sie allerdings oft etwas Geduld. Prof. Dr. Christian Stief

VON SONJA GIBIS

Ständig dieser Druck im Bauch. Man fühlt sich aufgebläht, Krämpfe kommen hinzu. Den einen zwingt Durchfall überfallsartig, eine Toilette aufzusuchen, den anderen plagt Verstopfung. Leiden Patienten häufig unter solchen Problemen, kann das das Leben stark beeinträchtigen. Viele führt der Weg dann zunächst zum Hausarzt oder Internisten – etwa zu Dr. Sebastian Brechenmacher. „Probleme mit der Verdauung sind überaus häufig“, sagt der Mediziner mit Praxis in Krailling. Die Ursachen sind vielfältig. Sie reichen von Unverträglichkeiten und Allergien gegen Nahrungsmittel wie Milch oder bestimmte Getreidearten, über Infektionen, etwa durch Viren, Bakterien, Pilze oder auch Parasiten, bis hin zu Störungen der Schilddrüse. Manchmal steckt auch die Zuckerkrankheit dahinter oder sogar eine bösartige Erkrankung. Warnsymptome sind Gewichtsverlust, Fieber, Blut im Stuhl und Beschwerden nachts. „Man muss das unbedingt abklären“, sagt Brechenmacher. Oft findet aber auch der Experte keine körperliche Ursache. Dennoch halten die Beschwerden an. Mediziner sprechen dann vom Reizdarm-Syndrom. Experten gehen davon aus, dass hierzulande zehn bis 20 Prozent der Menschen betroffen sind – Frauen häufiger als Männer. Früher hatten Patienten mit nervösem Darm Angst, als eingebildete Kranke abgestempelt zu werden – nicht ganz zu unrecht. Fanden Ärzte keine körperliche Ursache, hieß es rasch: Schuld ist die Psyche. Tatsächlich haben viele Reizdarmpatienten nicht nur körperliche Beschwerden. Sie leiden an Stress, Ängsten, sogar Depressionen. „Die Frage ist aber: Was ist die Ursache und was die Folge?“, sagt Brechenmacher. Die permanenten Beschwerden belasten. Dreht sich das ganze Leben darum, ob im Notfall eine Toilette in der Nähe ist, kann das durchaus zu Ängs-

Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erlebe ich täglich, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Meine Kollegen und ich (www.facebook.de/UrologieLMU) möchten den Lesern daher jeden Montag ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der heutigen Seite steht der Reizdarm. Der Experte des Beitrags ist Dr. Sebastian Brechenmacher. Er ist Internist und leitet eine allgemeinmedizinische Praxis in Krailling.

Wenn der Bauch drückt, sucht Dr. Sebastian Brechenmacher erst mal mit Ultraschall nach möglichen Ursachen. ten führen. Auch das ständige Unwohlsein zermürbt. Neueste Forschungen haben daher nicht nur die Psyche im Blick. Untersuchungen haben gezeigt: Bei Patienten mit einem Reizdarm lassen sich oft auch körperliche Veränderungen nachweisen. So findet man häufig eine erhöhte Zahl bestimmter Abwehrzellen in der Darmschleimhaut – ein Anzeichen für eine Entzündung. Die Nerven im Darm sind offenbar sensibler (siehe unten). Eine Rolle spielen zudem unsere Gene: Die Veranlagung für einen empfindlichen Darm wird teils auch vererbt. Im Blick haben Mediziner zudem die Darm-Bakterien, oft auch als Darmflora bezeichnet. Die Zusammensetzung ist von Mensch zu Mensch verschieden. Haben sich die falschen Untermieter eingenistet, kann das Beschwerden auslösen. Bei einigen Patienten ging den chronischen Verdauungsbeschwerden zudem eine Magen-Darm-Entzündung voraus – nicht selten auch eine Behandlung mit Antibiotika. Patienten mit Reizdarm sind also keineswegs eingebil-

dete Kranke. Doch lindert diese Erkenntnis ihre Beschwerden nicht. „Wichtig ist zunächst die Anamnese, das ausführliche Gespräch mit dem Patienten“, sagt Brechenmacher. Dafür sollte sich der Arzt Zeit nehmen. Wann kommt es zu den Beschwerden? Spielen bestimmte Situationen oder Nahrungsmittel eine Rolle? Kommt es eher zu Durchfall oder Verstopfung? „Meist ist ein Symptom

Vielen Betroffenen hilft aber bereits die gute Nachricht, dass ihre Beschwerden rein funktionell sind. Hinter ihnen steckt keine bösartige Erkrankung. Auch wenn die Probleme unangenehm sind, sie müssen sich keine Sorgen machen. „Ein Reizdarm verringert die Lebenserwartung nicht“, sagt Brechenmacher. Zum Einsatz kommen dann zunächst einfache Mittel: Ob Durchfall oder Ver-

Probiotika: Je nach Beschwerden kommen unterschiedliche Bakterien zum Einsatz vorherrschend“, sagt der Internist. Neben der genauen Beobachtung, ob die Beschwerden mit bestimmten Lebensmitteln zusammenhängen, empfiehlt er je nach Schwere der Symptomatik zunächst eine Therapie-Versuch mit pflanzlichen Mitteln oder Ballaststoffen. Nicht immer ist das gleich die Lösung. „Jede Therapie ist nur probatorisch“, sagt Brechenmacher. Denn bei der Behandlung eines Reizdarms brauchen Patient und Behandler vor allem eines: etwas Geduld.

stopfung – in beiden Fällen können Ballaststoffe helfen. „Am besten Wasserlösliche“, sagt Brechenmacher. Flohsamen hilft daher besser als etwa Weizenkleie. Als wirksam erwiesen haben sich auch pflanzliche Wirkstoffe wie Pfefferminzöl und Zubereitungen aus Melissenblättern. Auch Kümmellöl, Fenchel und Extrakte aus verschiedenen Pflanzen wie der bitteren Schleifenblume helfen nachweislich. Diese gibt es rezeptfrei in der Apotheke. „Auch Probiotika haben ihren Stel-

JÜRGEN SAUER

lenwert“, sagt Brechenmacher. Die Beschwerden können Hinweise geben, welcher Bakterienstamm eingesetzt werden sollte. Auch auf Getreide reagieren manche Menschen empfindlich. Einige Ärzte empfehlen Reizdarm-Patienten daher eine glutenfreie Diät auszuprobieren, also eine Ernährung ohne Weizen, Gerste, Roggen, Dinkel, Grünkern. „Einigen hilft das“, sagt Brechenmacher. Doch bei weitem nicht allen. „Es gibt bei einem Reizdarm keine Standardempfehlungen zur Ernährung.“ Lässt sich nicht einfach klären, ob ein bestimmtes Lebensmittel die Beschwerden auslöst, rät Brechenmacher zu einem Ernährungstagebuch. „Man vergisst sonst einfach zu rasch, was man gegessen hat.“ Hilft auch das nicht, gibt es einen weiteren Weg, die richtige Ernährung zu finden: eine Eliminationsdiät. Diese sollte man allerdings unbedingt unter ärztlicher Betreuung machen. Zwei Wochen lang ernähren sich die Patienten von Reis und Kartoffeln. Dann sind bei den meisten alle Stoffe aus dem

Körper beseitigt, die zu Unverträglichkeiten oder Allergien führen können. Die Patienten nehmen dann Schritt für Schritt ein weiteres Nahrungsmittel in ihren Speiseplan auf und beobachten, wie sie darauf reagieren. „So kann man herausfinden, welche Nahrungsmittel nicht vertragen werden.“ Doch ist das auch sehr mühsam. Hat keine dieser Therapien Erfolg, können auch Medikamente zum Einsatz kommen. So gibt es Wirkstoffe, welche die Darm-Motilität verändern, also die Bewegungen, mit denen der Darm die Nahrung transportiert. Mittel können diese beschleunigen oder verlangsamen. Doch auch Medikamente, die normalerweise gegen seelische Beschwerden eingesetzt werden, helfen. Sie wirken auf bestimmte Botenstoffe, etwa Serotonin. Diese haben Einfluss auf die Stimmung, spielen aber auch bei der Darmtätigkeit eine Rolle. Verordnet ein Arzt gegen Darmprobleme Antidepressiva, heißt das also nicht, dass er den Patienten eigentlich für psychisch krank hält. „Ich erkläre das meinen Patienten immer ganz genau“, sagt Brechenmacher. In machen Fällen zeigen sich im intensiven Gespräch aber auch seelische Probleme. Dann kann man auch eine Psychotherapie erwägen. Denn ist die Psyche belastet, schlägt sich das auch auf den sensiblen Darm.

Wer regelmäßig Probleme mit der Verdauung hat, sollte einen Arzt aufsuchen. Denn nicht immer steckt dahinter ein an sich harmloser Reizdarm. Der Arzt wird zunächst Proben von Blut und Urin, manchmal auch den Stuhl untersuchen. Zudem helfen ein Bauchultraschall sowie eine Magen- und Darmspiegelung, schwere Erkrankungen auszuschließen. „Frauen sollten auch ihren Gynäkologen aufsuchen“, rät Dr. Sebastian Brechenmacher. Denn auch Krankheiten im Bereich von Eierstöcken können Verdauungsprobleme auslösen.

Milch ist gesund. Doch nicht jeder verträgt sie. DPA

Laktose und Fruktose Um Magen-Darm-Probleme abzuklären, gibt es zudem einige Tests. So kann eine Laktoseintoleranz, eine Unverträglichkeit von Milchzucker, Beschwerden auslösen. Im Darm fehlen dann Enzyme, die den Milchzucker aufspalten. Er wird in den Dickdarm weitertransportiert, wo sich Bakterien über ihn hermachen. Das führt zu Blähungen und Durchfall. Wie viel Milchzucker vertragen wird, ist dabei individuell sehr verschieden. Manche müssen völlig auf Laktose verzichten, andere den Konsum nur einschränken. Auch gibt es Enzyme zum Einnehmen. Ob eine Intoleranz vorliegt, zeigt ein Atemtest. „Mit Fruchtzucker“: Mit dieser Aufschrift versehen manche Lebensmittelhersteller ihre Produkte, um sie gesünder aussehen zu lassen. Dabei ist Fruktose nicht gesünder als Kristallzucker. Im Gegenteil: Zu viel davon führt bei vielen Menschen zu Verdauungsproblemen. Auch für die Fluktoseintoleranz gibt es einen Atemtest.

Das zweite Gehirn in unserem Bauch Neue Forschungen bestätigen, was der Volksmund bereits lange weiß: Das Bauchgefühl gibt es wirklich. Im menschlichen Unterleib sitzt eine Steuerzentrale aus zahllosen Nerven, die in vielen Bereichen weitgehend unabhängig vom Gehirn funktioniert. Dieses enterische Nervensystem besteht aus etwa 100 Millionen Nervenzellen. Das sind etwa fünf Mal so viele wie im gesamten Rückenmark. Manche Experten sprechen daher auch vom Darmhirn. Die Aufgabe dieses zweiten Gehirns, das den Verdauungstrakt wie ein feines Netz umspinnt, ist der Transport der Nahrung durch die verschiedenen Darmabschnitte. Es erfühlt und erschmeckt, welche Art von Nahrung verdaut werden muss, und entscheidet etwa, wie viel Gallensaft benötigt wird. Dass das Darmhirn allerdings bei intuitiven Entscheidungen mitwirkt, konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Ratio-

nales Denken oder Gedächtnis sind ihm wohl fremd. Andererseits gibt es überraschende neue Erkenntnisse über seine Untermieter, die Darmbakterien: Offenbar haben sie Einfluss darauf, wie sich das Gehirn im Bauch fühlt – und wirken damit auch auf die Steuerzentrale im Kopf. In Tierversuchen beeinflusste eine Behandlung mit Antibiotika, die viele Darmbakterien vernichtet, auch das Lernvermögen von Mäusen. Das Gedächtnis der Nager verschlechterte sich. Manchen Forschern gilt eine gestörte Darmflora sogar als Risikofaktor für Depressionen. Wie das Gehirn sind die Nerven des Darms zudem anfällig für Erkrankungen. Dies ist etwa der Grund, warum Diabetiker so oft unter Verdauungsbeschwerden leiden. Der erhöhte Blutzucker greift nicht nur die Nerven in den Beinen an, sondern auch die im Bauch. Auch Medikamente können sie schädigen.

Den Darm umgibt ein Gespinst aus Nerven. Reizdarm-Patienten scheinen dagegen ein besonders sensibles Darmhirn zu haben. „Sie reagieren im Schnitt empfindlicher auf mechanische Reize im Darm“, sagt Dr. Sebastian Brechenmacher. Freiwilligen wurde etwa ein aufblasbarer Ballon in den Darm eingeführt. Testperso-

APOTHEKEN-UMSCHAU

nen mit einem nervösen Darm spürten den Druck in der Regel früher und empfanden ihn auch eher als unangenehm oder sogar schmerzhaft. Ein möglicher Grund dafür: Bei Personen mit einem Reizdarm fand sich im Schnitt eine erhöhte Dichte von Nervenfasern im Darmtrakt. Bei Unter-

suchungen des Gehirns zeigte sich zudem, dass die Reize aus dem Darm in der Steuerzentrale im Kopf andere und größere Areale aktivierten. Denn Darmhirn und Kopfhirn stehen in ständigem Kontakt. Kein Wunder also, dass die Psyche großen Einfluss auf die Verdauung hat. „Dass Nervosität und Anspannung sich auf die Verdauung schlagen kann, hat fast jeder schon mal erlebt“, sagt Brechenmacher. Zudem reagieren die Nerven im Darm auf dieselben Botenstoffe wie die Gehirnnerven, etwa auf das Glückshormon Serotonin oder auf Adrenalin, das bei Stress ausgeschüttet wird. Bekannt ist außerdem: Die Psyche beeinflusst dass Immunsystem, von dem im Darm ein wichtiger Teil sitzt. Auch wenn die Ursache des Reizdarms also nicht einseitig in der Psyche zu suchen ist, hat diese großen Einfluss. Stress, Nervosität und Kummer können daher nicht nur

„auf den Magen schlagen“, sondern auch auf den Darm – und die Verdauungsbeschwerden verstärken oder auch auslösen. Entspannungstechniken wie Yoga und Meditation, aber auch regelmäßiger Sport und ausreichend Schlaf können daher helfen, den gereizten Darm wieder zu beruhigen. Läuft bei der Verdauung nicht alles glatt, hat das seinerseits Einfluss auf die Psyche. Denn der Darm hat dem Gehirn viel mitzuteilen. Zahlreiche Sendekabel aus Nerven verbinden die Steuerzentrale im Bauch mit der im Kopf. Das Erstaunliche: 90 Prozent davon senden Informationen Richtung Gehirn. Der Darm hat der Steuerzentrale im Kopf also weitaus mehr mitzuteilen als diese ihm. Das Bauchgefühl hat also vielleicht einen größeren Einfluss auf uns als wir glauben. sog Leserfragen an den Experten: [email protected]

In vielen Getreidesorten steckt das Eiweiß Gluten.

Entzündungen Patienten mit Zöliakie reagieren auf das Eiweiß Gluten, das vor allem in Weizen, Roggen und Dinkel enthalten ist, mit teils schweren Darmentzündungen. Eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm, die bei einer Magenspiegelung entnommen wird, kann die Krankheit nachweisen. Zu Verdauungsproblemen führen auch chronische Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. In Schüben kommt es hierbei immer wieder zu Entzündungen. Bei der Colitis ulcerosa nur im Dickdarm, bei Morbus Crohn verstreut im gesamten Verdauungstrakt. Da die Krankheit oft schleichend beginnt, können die Symptome anfangs einem Reizdarm ähneln. sog

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