Wie das Kind hoeren und Sprechen lernt

January 16, 2018 | Author: Anonymous | Category: Kunst & Geisteswissenschaften, Schreiben, Grammatik
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Entwicklung vorsprachlicher und sprachlicher Kommunikationsformen. Wie das Kind hören und sprechen lernt. Über die neuesten Forschungsergebnisse zum Thema wie ein Kind hören und sprechen lernt kommen wir zu einem veränderten Verständnis vom spracherwerbenden Kind. Erkenntnisse aus der Säuglingsforschung erhellen das entwicklungsbezogene Fundament, die Neurophysiologie liefert weitere Informationen über das Hörenlernen. Weiterreichende technische Hilfsmittel wie z. B. Hörgeräte erfahren revolutionäre Entwicklungen, neue Erfindungen wie das Cochlear- Implantat geleichen einem Quantensprung. In der Pädagogik der Erziehung und Entwicklungsbegleitung beim hörgeschädigten Kind ergeben sich daraus Änderungen: Man spricht nicht mehr von einem Sprachaufbau in einer Situation eines einseitigen Sender und Empfängermodells sondern vom Spracherwerb in einem beziehungstheoretischen Handlungsraum. Die populärwissenschaftliche Aussage, ein Kind lernt dadurch Sprache, weil die Eltern und andere Bezugspersonen mit ihm reden ist natürlich richtig, beschreibt aber einen sehr komplexen und vielschichtigen Vorgang. Sprache erlernen beginnt mit dem Hörenlernen. Der Hörgeschädigtenpädagoge muß also Eltern und Kind in dieser Phase begleiten, auf dem Weg zur Sprache. Eine Situation in der man sich durchaus auch persönlich befinden kann, ist vergleichbar mit den ersten Höreindrücken eines Babys. Beim Urlaub im Ausland erscheint einem die Sprache des Landes unverständlich. Es ist und nicht möglich, aus dem Redefluß des Einheimischen einzelne Worte heraus zuhören, geschweige denn deren Sinn zu erfassen. Babys haben gegenüber einem Urlauber im Ausland noch einen weiteren Nachteil zu verkraften. Sie verfügen noch nicht über eine andere Sprache, in der sie ihre Verwunderung äußern können, oder mit der sie die Worte des Einheimischen vergleichen können. Ist der Spracherwerb genetisch determiniert? Um Sprache zu erlernen, müssen wir als Kleinkinder deren Verschlüsselung knacken. Den Nachweis einer dafür bestimmten genetischen Disposition hat Chomsky schon in seiner Veröffentlichung aus dem Jahr 1969 geführt. Chomsky spricht von einem LAD (Language Acquisitation Device). Kinder entdecken den grammatischen Code einer Sprache der nach Chomsky aus immer wiederkehrenden Mustern besteht.

Über diese Regelmäßigkeiten bildet sich das Kind Hypothesen und kommt so zu Regeln und Generalisierungen. In den vergangenen dreißig Jahren haben sich die Annahmen Chomskys in weiten Bereichen bewahrheitet, einige Annahmen jedoch sind noch nicht belegt. Kernannahmen wie die Hypothesenbildung und deren Bewertung als Motor des Spracherwerbs stehen außer Frage. So sind die mit dem Baby kommunizierenden Erwachsenen eine entscheidende Größe im Spracherwerb, denn ihr Sprachgebrauch stellt die einzige Quelle für „Rohmaterial“ der kindlichen Hypothesen- und Regelmäßigkeitenbildung dar. Was wissen Neugeborene über Sprache? Schon Säuglinge wissen, was die neuere Forschung belegt, eine Menge über verbal- auditive Kommunikation, noch bevor sie selber aktiv daran teilnehmen. Ihr Wissen über Sprache beruht auf auditiven Erfahrungen, das akustische System hat also den größten Anteil an den frühen Spracherfahrungen. Wissenschaftler mußten in jüngster Zeit ihre Annahme, daß sehr kleine Babys die feinen Unterschiede die in Sprachlauten vorkommen nicht unterscheiden könnten aufgeben. Bereits ein Monat alte Babys können Laute unterscheiden und haben somit Wahrnehmungskategorien über Phoneme entwickelt. Eine weitere Untersuchung hat eine sehr interessante Wendung ergeben. Ursprüngliche Annahmen über die Festlegung der Babys auf die Muttersprache mußte korrigiert werden. Ganz junge Babys können nicht nur die Laute der späteren Muttersprache unterscheiden, sie unterschieden auch Laute von Sprachen, die sie bis dahin noch nie gehört hatten. Nach Untersuchungen von Klinke und Schlote in den 90 er Jahren und eines Versuches von Kuhl und Meltzoff 1997 lässt sich sagen , daß Babys und Kleinkinder im Alter zwischen etwa sechs bis 12 Monaten muttersprachliche Kategorien entwicklen. Im Versuch von Kuhl / Meltzoff trat der Wechsel in der unterschiedlichen Wahrnehmung von r und l bei japanischen Kindern zwischen dem siebten und dem zehnten Monat ein. Nach Kuhl entstehen in dieser Phase prototypische Laute der Muttersprache. Mit dieser Prototypenbildung sind die Babys muttersprachliche Hörer geworden. Babys wandeln bis zum 12 Monat die für sie chaotische Welt von Klängen in eine komplizierte aber logische Struktur. Diese Struktur ist spezifisch für die spätere Muttersprache des Babys. Sie lernen also zuerst die Laute der Muttersprache bevor sie deren Wörter lernen. Erste Wörter entstehen aus diesen schon muttersprachlich festgelegten Strukturen der Laute. Sie enthalten schon kulturgebundene Eigenheiten und die Intonationsstrukturen, Betonungen und Lautverbindungen der Muttersprache.

Eine weitere Einflußgröße, die bisher ungenannt ist, spielt beim differenzierten erhören der Phoneme zur Prototypenbildung eine entscheidende Rolle, die Motherese. Die etwas unglückliche Übersetzung von Motherese mit dem antiquiert anmutenden Wort Ammensprache zeigt aber doch genau, um was es sich handelt: Ein das Kind knuddeln und lieb drücken mittels Sprache, ihm etwas Gutes tun, Zuwendung signalisieren. Motherese hat eine verspielte, lebendige Simme, warmherzig und tröstend übermütig und ist außerhalb einer Mutter- KindBeziehung absolut lächerlich. Die Tonhöhe wird stark angehoben, die Intonation wird melodisch und wir sprechen langsamer, deutlicher und akzentuierter. Wir betonen die Vokale und bilden möglichst kurze Sätze. Quer durch alle Kulturen sprechen Erwachsene auf diese Weise mit ihren Kindern. Motherese zieht die Aufmerksamkeit des Kindes an und zentriert sie auf die sprechende Person. Die von den Eltern intuitiv verwendetet Motherese ist einer der stärksten Bindungsfaktoren zwischen den Eltern und ihrem Kind. Motherese ist Beziehungsnahme zum Kind. Das Kind lernt aus den langgezogenen Vokalen deren Bedeutung für Sprache, Wort- und Satzwiederholungen unterstützen die Worterkennung und die Bildung grammatikalischer Normen. Eine Mutter bietet dem Kind unbewußt Variationen von Lauten und grammatikalischen Formen an, um die Bandbreite der Prototypen anzulegen. Babys erlernen auf Grund von Motherese die Laute ihrer Mutterprache einfacher. Forderungen und Konsequenzen für die Pädagogik mit hörgeschädigten Kindern. Hörgeschädigte Kinder müssen nach der erfolgten Versorgung mit Hörgerät oder dem Cochlear-Implantat („CI“)die vorgenannten Phasen nachholen. Das heißt, diese Kinder müssen Gelegenheit bekommen, aus genügenden Angeboten in ihrer Muttersprache prototypische Laute aufzunehmen und unterscheiden zu lernen. Die Kinder müssen die Prototypenbildung zeitlich versetzt nachholen. Auch hörgeschädigte Kinder verfügen über die genetische Disposition zum Spracherwerb, die Sprachentwicklung von Kindern die im Alter unter zwei Jahren mit einem CI versorgt wurden beweist das. Alle durch Hilfsmittel zum „Hörenden“ gewordenen Kinder können den Lautbestand der Muttersprache erschließen und deren Grammatik erlernen. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen zur genetischen Disposition von Chomsky. Der Erwachsene im Prozess der Förderung oder der pädagogischen Betreuung muß eine zuversichtliche Grundhaltung leben. Auch

kleinste Kinder spüren, ob der Gegenüber ihnen etwas zutraut bzw. Vertrauen in das Ziel der gemeinsamen Beziehung hat. Neben der vertrauensvollen Grundhaltung bedarf es noch einem weiteren Aspekt, dem der Zeit. Das Baby hat im Schnitt 12 Monate Zeit, bis es sich in seinen Prototypen muttersprachlich festlegt und bis zum ersten eigenen Wort muß auch dem hörgeschädigten Kind Zeit eingeräumt werden. Die mit der Schallanalyse befassten Hirnbereiche müssen, wie auch beim schon immer hörenden Kind reifen. Diese genannten Voraussetzungen gehören schon zu einem Bereich, den Brunner 1987 als LASS (Language Acquisitation Support System) bezeichnet. Er fasst darin alle unterstützenden äußeren Hilfen zusammen. Brunner bezeichnet sein LASS als den unverzichtbaren äußeren Motor des Spracherwerbsprozesses, der erst das LAD von Chomsky zum Arbeiten bringt. Das enge Zusammenwirken von LAD und LASS sichert den Spracherwerb. Dieser ist also die balancierte Verflochtenheit intern gegebener Kompetenzen des Säuglings und der extern gemachten Angebote der Erwachsenen, voran gebracht durch starke Lernstrategien des Babys. Teacherese, die Sprache des Förderpädagogen? Wenn wir nun eine Analogie herstellen, zwischen den den Spracherwerb unterstützenden Komponenten der Motherese und einer daran orientierten Sprache des Frühförderers oder des Lehrers an einer Schule für Hörgeschädigte, ergibt sich daraus die Teacherese. Teacherese orientiert sich an den Elementen der Motherese: Sie ist optimal auf die sich entwickelnden Hörstrukturen der Kinder ausgerichtet. Das Frequenzspektrum wird angehoben und die Intonationsstrukturen deutlich ausgeprägt. Die Vokale werden betont und oder gedehnt. Bewußter gesprochene Sprache wird angereichert mit emotionalen Befindlichkeiten der Person. Teacherese ist vergleichbar mit der nicht nur Motherese ein faszinierendes und fesselndes Angebot zum Hören, es animiert auch zur Nachahmung Elternbegleitung Förderangebote für Babys und Kleinkinder sind logischer Weise zuerst Angebote, die an die Eltern gemacht werden. Im Vordergrund stehen hier die Stärkung elterlicher Potenziale und die Wiederbelebung der elterlichen Kompetenzen, die durch die schlechte Kommunikation vor der Versorgung der Kindes mit Hilfsmitteln vernachlässigt und dadurch minimiert wurden.

Elternbegleitung ist ein sich an den individuellen Begebenheiten der Lebenswirklichkeit der Familie orientierender Ansatz. Nur diese Art des Ansatzes kann die Entwicklungsschritte des Kindes genau einordnen um daraus resultierend passende Förderangebote gemeinsam mit den Eltern zu entwickeln. Förderangebote in der Elternbegleitung orientieren sich an den Entwicklungsstandes des Kindes:  Aufbau basaler Dialogstrukturen: Die Dialoge im ersten Halbjahr laufen in einem dyadischen Kontext ab, Eltern und Kind beziehen sich unmittelbar aufeinander. Die Beziehung zwischen Eltern und Kind ist Basis und Ort für die Organisation kindlicher Entwicklung und Ausgangspunkt entscheidender Impulse. In diesem Kontext erworbene dialogische Strukturen sind die Basis weiterer Lernschritte. Die erste Verständigungsebene zwischen Eltern und Kind sind der Blickkontakt, ein weiteres Beziehungsangebot ist das hören der elterlichen Stimmen, die Motherese. Schon im Mutterleib hat das Ungeborene Stimmen gehört und konnte erste akustische Muster erlennen. Zwischen dem zweiten und dritten Monat kann das Baby Frequenzen modulieren. Diese veränderlichen Laute und die dialogisch daran orientierte Resonanz der Mutter auf diese Lautangebote sind wichtige Schritte zum Erwerb der phonematischen Prototypen der Muttersprache. Babys erlernen in diesen anfänglichen Strukturen der Kommunikation mit den Eltern ein Grundmuster dialogischen Verhaltens, das Turn- Taking. Die wechselnden Rollen von reden und zuhören, sprechen und schweigen. Aus dem dyadischen Kommunikationssystem wird ein triadisches, wenn die Umwelt mehr und mehr Teil der kommunikativen Situation wird. Erste Focusierungen auf die Umwelt erfolgen visuell, gesehene Dinge werden dann zum Inhalt der Kommunikation.  Wortschatz und Syntaxerwerb im Dialog Die Vokalisationsentwicklung des Kindes erfährt einen wichtigen Impuls mit dem Auftreten kanonoischer Silben. Nach einer Untersuchung von Papousek kommt es zwischen dem fünften und siebten Monat zu einem Anstieg dieser Silben von null auf 57% . Diese Silbenbildung erfolgt auf Grund der Integration mehrerer Teilfähigkeiten: Die Konsonant- Vokal- Verbindung, das Segmentieren der Stimmgebung während der Ausatmungsphase sowie die Kontrolle zeitlich- rhythmischer Regeln für Silbenketten hat das Kind im letzten halben Jahr erprobt.

Im Lauf des zweiten Halbjahres verändert sich auch die Lautwahrnehmung. Es kommt zu einer Verschiebung hin zu den muttersprachspezifischen Lauten. Das Kind wird vom hörenden Weltbürger zum muttersprachgebundenen Hörer. Durch die typischen Phonemkombinationen kann das Kind im Alter von neun Monaten einen muttersprachlichen Redefluß, ohne über semantisches Wissen zu verfügen, segmentieren. In dieser Phase reduzieren die Eltern die Häufigkeit ihrer Äußerungen, sie hören dem Kind länger und intensiver zu. Die Äußerungen der Eltern erfolgen in nicht vollständigen Sätzen, Inhaltlich wichtige Wörter werden in „elliptischen“ Äußerungen in leicht verändertem Zusammenhang wiederholt. Die elliptischen Äußerungen unterstützen den Syntaxerwerb.  Eigenständigkeit und Autonomie im Spracherwerb Das spracherwerbende Kind muß sich autonom und eigenständig im triadischen Kommunikationssystem der Familie bewegen. Eine Untersuchung hat ergeben, daß direktives Umlenken der Aufmerksamkeit des Kindes auf einen bestimmten Gegenstand negativ mit dem Wortschatzerwerb verknüpft ist. Die kindliche Spontaneität ist bestimmendes Merkmal der Spracherwerbs. Gegen Ende der zweiten Halbjahres beginnt das Kind, mit einer Art verzögerter Nachahmung. Gehörte Sprache wird nicht direkt nachgesprochen, sondern nach zwischenzeitlicher Analyse zum späteren Zeitpunkt kontextadäquat angewendet. Schlussfolgerungen für das hörgeschädigte Kind: In der Förderung hörgeschädigter Kinder verläuft der Spracherwerb nach den beschriebenen Zwischenstufen. Wichtig für die Förderung sollte die Erkenntnis sein, das Beziehung und die dialogischen Strukturen die Basis darstellen. Lernfortschritte, Wort- und Syntaxerwerb und der triadische Dialog folgen danach. Es darf aber nicht vergessen werden, welchen Zeitraum diese Entwicklung im „Normalfall“ einnimmt, und dem Kind ausreichen Zeit geben und geduldig Motherese und in elliptischen Sätzen sprechend den Lernweg begleiten. Literatur Horsch. U. (2001): Wie das Kind hören und sprechen lernt. In: Qualitäten des Hörens, BOTA, Heidelberg, S.248 – 278 Horsch, U. (2003): Emotionen - Hörenlernen – Sprache erwerben In: Sprache Stimme Gehör (3) in Druck Horsch, U.; Blum, J. ; Breuninger, B. (2002) Frühe Dialoge in der Förderung hörgeschädigter Säuglinge und Kleinkinder – Aspekte der Elternbegleitung in einer dialogischen Hörgeschädigtenpädagogik. In: Sprache - Stimme – Gehör (3)

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