Zur Beilage - Universitätsspital Basel

January 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: Wissenschaft, Gesundheitswissenschaften, Immunologie
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Schach dem Krebs. Eine Verlagsbeilage der Basler Zeitung.

 | Freitag, 25. September 2015

Dem Schwarzen Hautkrebs entronnen Wie ein Patient eine Immuntherapie als Wunder erlebte

Von betäubten Wächtern und getäuschten Killern Wie uns unser Immunsystem gegen Krebs schützen sollte

Mit Impfen und gespendeten Stammzellen gegen Krebs Forschung und Erfahrung mit Immunstrategien am Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel

Revolution in der Krebsmedizin

Wie das Tumorzentrum Basel sich auf die neue Entwicklung ausrichtet

Zellen eines Lungenkarzinoms. Verglichen mit einem roten Blutkörperchen, ist die Grösse der orange kolorierten Tumorzellen enorm. Bild Martin Oeggerli / www.micronaut.ch

Editorial

Das Tumorzentrum Basel setzt auf Immuntherapie Von Astrid Beiglböck und Christoph Rochlitz* In der Behandlung von Krebs wird zur Zeit ein neues Kapitel aufgeschlagen. Mehr und mehr gelingt es, das Wachstum von Tumoren wirkungsvoll zu bekämpfen, indem man neu die körpereigene Abwehr der Patientinnen und Patienten gegen fremdes und bösartiges Gewebe zu wecken versteht. Diese von hoffnungsvollen Resultaten beflügelte Strategie heisst Immuntherapie. Das Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel, das hier ganz vorne mithält und forschend aktiv ist, will Ihnen in dieser Beilage Einblicke in dieses spannende Feld geben. Die Immuntherapie etabliert sich derzeit als starke Säule in der Krebsmedizin (Onkologie) und hat zu einem Wandel in der Behandlung geführt. Zum einen beobachtet man bei verschiedensten Tumorerkrankungen hohe Ansprechraten. Dies sogar auch bei Tumoren, die sich vorher gegen eine Behandlung resistent zeigten. Zum andern hält eine erzielte Wirkung oft dauerhaft an. So scheint es bei einem Teil von Patienten, die bisher eine sehr

schlechte Prognose hatten, zu gelingen, die Krankheit in einen chronischen Zustand zu überführen und ihnen dadurch wieder ein normales Leben zu ermöglichen. Am weitesten ist die Entwicklung derzeit beim Schwarzen Hautkrebs (Melanom) und beim Lungenkrebs.

Die Immuntherapie ist ein neuer Lichtblick in der Behandlung von Krebserkrankungen. Kein Wunder also, dass weltweit die weitere klinische Entwicklung durch viele Studien vorangetrieben wird. Ihre Zahl nimmt derzeit rasant zu. Dabei versucht man zu ermitteln, welche Behandlungsstrategien («Protokolle») gegen welche Krebsformen die besten Resultate erzielen. Es wird aber auch erforscht, wie die Immuntherapie mit den anderen bisher angewendeten und bewährten Krebsbehandlungen wie Chemo- und Radiotherapie kombiniert werden kann, um optimale Resultate zu erzielen.

Das Tumorzentrum am Universitätsspital Basel verfügt mit seinen Spezialistinnen und Spezialisten über eine hohe Expertise in der präzisen, auf den einzelnen Patienten oder die Patientin abgestimmten Behandlung. Aber auch in der Beherrschung der Nebenwirkungen. Diese unterscheiden sich in der Immuntherapie von jenen bisher etablierter Therapien. Zu den in dieser Beilage behandelten Formen der Immuntherapie zählen auch Impfstoffe, mit denen man seit längerem auf anderem Wege versucht, die Immunabwehr gegen Tumoren zu mobilisieren. Sehr vielversprechend scheinen zudem erste Versuche zu sein, Patientinnen und Patienten mit eigenen Immunzellen zu behandeln. Sie werden entnommen, ausserhalb des Körpers aufgerüstet, vermehrt und dem Patienten zurückgegeben, wo sie nun die Tumore energisch bekämpfen können. Solche Techniken sind sehr aufwändig, müssen sehr präzise sein, und werden derzeit erst in wenigen Zentren erforscht und angeboten. Insgesamt ist die Immuntherapie ein neuer Lichtblick in der Behandlung von Krebs, wenn auch gesagt sein

muss, dass diese Behandlung nicht bei allen Patienten und Patientinnen zum Tragen kommt. Derzeit wird energisch daran gearbeitet, das Potenzial weiter auszuschöpfen. In dieser Beilage erzählen wir Ihnen die Geschichte, wie sich die Immuntherapie bei Krebserkrankungen zu dem entwickelt hat, was sie derzeit ist. Wir berichten von einem Patienten, dem man wegen seines Schwarzen Hautkrebses mit Metastasen nur noch wenige Monate zu leben in Aussicht stellte und der nun – dank Immuntherapie – gute Aussicht hat, für Jahre beschwerdefrei zu leben. Geschildert wird, wie man am Tumorzentrum in Basel mit neuen Impfungen die Abwehr gegen Krebs stärkt und mit einer Vakzine die Wiederkehr von Blasenkrebs erfolgreich verhindern kann. Wir berichten, wie man mit Hilfe und dank gespendeter Stammzellen einem Patienten ein neues Immunsystem schenken kann. Zudem versuchen wir zu erklären, wie das komplexe und vielfältige Immunsystem funktioniert, was man zu dessen Stärkung tun oder nicht tun kann, und geben Gedanken weiter, die sich ein Grundlagen-

forscher auf diesem Gebiet macht. Schliesslich wird dargestellt, wie das Tumorzentrum sich auf die Zukunft und die neuen Entwicklungen eingestellt hat und sich laufend verbessert. Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre und wissen, dass da kein einfacher Stoff angeboten wird. Aber wir hoffen, dass Sie etwas für sich mitnehmen können und mit uns die vorsichtige Freude über eine Entwicklung teilen, die uns im täglichen Umgang mit Menschen, die mit der Diagnose Krebs leben müssen, neue Möglichkeiten gibt.

* Dr. med. vet. Astrid Beiglböck ist Geschäftsführerin des Tumorzentrums, Prof. Dr. med. Christoph Rochlitz ist Vorsitzender des Tumorzentrums. Foto Dominik Plüss

Geschichte der Immuntherapie.

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Dem Immunsystem die Fesseln gegen Tumore lösen Eine kurze Geschichte der Immuntherapie oder wie ein alter Traum der Medizin wahr wird Von Alfred Zippelius In der Krebsmedizin ist vieles in Bewegung geraten. Mehr und mehr zeigt sich, dass es gelingen kann, unser Immunsystem gegen bestimmte Krebsarten zu mobilisieren und sie bekämpfen zu lassen. Nach Jahren intensiver Forschung enthüllt sich, wie Tumore die Immunabwehr blockieren und deren Waffen ausser Kraft setzen können.

Die Hoffnung, der Mensch könne Krebs dereinst besiegen, hat neue Nahrung erhalten. Löst man diese Bremsen, kann sich das Blatt völlig wenden. Der Tumor wird jetzt von der körpereigenen Abwehr erkannt und bekämpft. Die «Immuntherapie des Krebses» und ihre neuen Strategien sind entsprechend hoch im Kurs. Bereits 2013 waren sie vom führenden amerikanischen Wissenschaftsjournal «Science» zum Durchbruch des Jahres erklärt worden. Eine wachsende Anzahl an klinischen Studien ist derzeit am Laufen, die das Potenzial verschiedener Wirkstoffkandidaten und ihrer Kombinationen ausloten wollen. Die Hoffnung, der Mensch könne dereinst mal Krebs besiegen oder zu einer chronischen Krankheit machen, hat neue Nahrung erhalten. William Coley durch Niederlage beflügelt Es war schon früh ein Traum der Medizin, das Immunsystem gegen Tumore einzuspannen. Der erste, der dies vor über hundert Jahren hartnäckig verfolgte, war der New Yorker Krebsarzt und Chirurg William Coley (1862– 1936). Am Memorial Hospital hatte er als junger Arzt Anfang der Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts eine junge Frau wegen eines Knochenkrebses (Sarkoms) behandelt und hilflos zusehen müssen, wie sie jämmerlich starb. Die Niederlage motivierte ihn, nach neuen Wegen der Behandlung zu suchen. Er studierte unzählige Krankengeschichten und forschte nach Auffälligkeiten und Hinweisen auf erfolgrei-

Titelbild. Das Titelbild des mehrfach

prämierten Wissenschaftsfotografen Dr. Martin Oeggerli ist in Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe am Institut für Pathologie des Universitätsspitals Basel entstanden. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Lungenkarzinom, wurden Tumorzellen mit einem Raster-Elektronen-Mikroskop tausendfach vergrössert aufgenommen und pixelgenau koloriert. Oeggerli, auch als Micronaut (www.micronaut.ch) bekannt, hat sich mit seinen fotorealistischen Nachbearbeitungen von Mikroskopie-Aufnahmen international einen Namen gemacht. Fotos von ihm erschienen bisher unter anderem in Publikationen wie National Geographic, GEO, Focus oder Reader’s Digest.

Impressum Schach dem Krebs.

Eine Verlagsbeilage der Basler Zeitung in Zusammenarbeit mit dem Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel. Verlag und Redaktion: Basler Zeitung Inhalt: Tumorzentrum Universitätsspital Basel Redaktion: Martin Hicklin Gestaltung: Reto Kyburz Druck: DZZ Druckzentrum Zürich AG

Neue Hoffnungen.Immuntherapie erweitert das Arsenal der Waffen gegen Krebs.Foto Derek Li Wan Po

chere Wege der Tumorbehandlung. Dabei stiess er auf den Fall des Patienten Frank Stein, dessen Sarkom in der Wange verschwunden war, nachdem es sich nach der Operation mit Streptokokken infiziert hatte. Sieben Jahre später forschte Coley erneut nach Stein und fand ihn lebend ohne Spur von Krebs. Der Patient hatte die Infektion überlebt, der Tumor nicht. Die Beobachtung, dass nach einer Infektion sich Krebsgeschwulste zurückbilden konnten, elektrisierte Coley. Er beschaffte sich Streptokokken, begann Patienten mit Gemischen lebender und abgetöteter Bakterien zu impfen und dokumentierte jeden Fall. Am Ende waren es über 1000. Die «ColeyToxine» bewirkten eine – allerdings geringe – Verbesserung der Überlebenschancen, gingen dann aber wieder für lange Zeit vergessen, als Chemotherapie und Bestrahlung ihre Wirkung zu zeigen begannen. Immunüberwachung gegen Tumore Coley gilt dennoch als Vater der Immuntherapie von Krebs. Er hatte gezeigt, wie sich die gegen Bakterien alarmierte körpereigene Abwehr auch vermehrt gegen Tumorzellen wenden konnte. Dass das Immunsystem nicht nur Bakterien und Viren, sondern auch Tumorzellen bekämpfen und beseitigen kann, hatte auch der Pionier der Immunologie und Medizinnobelpreisträger von 1908, Paul Ehrlich, postuliert. Aber erst in den Siebzigerjahren griff der australische Mediziner Frank MacFarlane Burnet Ehrlichs Thesen wieder auf und sprach von einer «Immunüberwachung»: Das System der Immunabwehr des Körpers sei darauf ausgerichtet, Tumorgewebe als fremd zu erkennen und abzutöten. Dabei sprach Burnet einer Gruppe von weissen Blutkörperchen, die T-Zellen genannt werden, eine Hauptrolle zu. Er sollte Recht behalten. Doch dass das Immunsystem tatsächlich Tumore erkennt und bekämpft, blieb lange umstritten. Erst recht als Laborexperimente an Mäusen zu beweisen schienen, dass die Rolle des Immunsystems unbedeutend sei. Dafür erhielt die Chemotherapie, die sich gegen die Zellteilung und damit gegen das Wuchern der Tumore wendet, dank ihren erklär-

baren Erfolgen Auftrieb und liess vorerst die Ideen einer Immuntherapie in den Hintergrund treten. Erst in den späten Neunzigerjahren wurde der erste Beweis dafür erbracht, dass es eine Immunüberwachung gibt. Bei Patienten und Patientinnen mit dauerhaft geschwächtem Immunsystem beobachtete man eine höhere Krebshäufigkeit. Das war ein indirekter Beleg dafür, dass mit geschwächter Abwehr auch eine Barriere gegen Krebs wegfällt oder durchlässiger wird. Krebszellen hemmen Immunzellen Jetzt wurde mehr und mehr erforscht, anhand welcher Besonderheiten Zellen von der Abwehr als Krebszellen identifiziert werden. Und doch waren die Anfänge der modernen Immuntherapie von Krebs nicht gleich von Erfolgen belohnt. Das kam auch daher, dass Tumore sich auf verschiedene Weise dagegen wehren können. Krebszellen, so realisierte man beim geduldigen Forschen, können sich verstecken. Sie verstehen sich darauf, die Aktivität der ihnen gefährlich werdenden TZellen zu unterdrücken. Um sie zu mobilisieren, hat man zum Beispiel beim Melanom oder Schwarzen Hautkrebs über Jahre einen Stoff eingesetzt, der Interleukin-2 (IL-2) heisst und das Wachstum von T-Zellen anregt. Er wird von alarmierten und durch die Begegnung mit fremden aktivierten T-Zellen ausgeschüttet und sorgt als Wachstumsfaktor für die Vermehrung der T-Zellen. Verabreicht man einem Patienten grosse Mengen von IL-2, sollte eine rasch wachsende Schar von T-Zellen eigentlich die Tumorzellen besser erkennen und attackieren können. Doch trotz allen wunderbaren Potenzials führte IL-2 nur bei einer Minderheit aller Melanom-Patienten zu Rückbildungen der Tumore. Anderseits hatte der ausgelöste Wachstumsschub der T-Zellen auch unangenehme und zum Teil gefährliche Nebenwirkungen. Eine andere Strategie, das Immunsystem gegen Tumore zu mobilisieren, besteht in einer Impfung, bei der man das Immunsystem mit gegen für den Tumor typischen Bestandteilen der Zelle bekannt macht und hofft, dass es dagegen eine rasche Abwehr aufbaut.

Am Beispiel von Gebärmutterhalskrebs hat sich das als sehr erfolgreich erwiesen. Doch ist die Krankheit schon ausgebreitet und liegen Metastasen vor, sind die meisten Ansätze bisher erfolglos geblieben. Die einzige von der amerikanischen Arzneimittelkontrollbehörde zur Behandlung bereits vorhandenen Krebses zugelassene Vakzine richtet sich gegen Prostatakrebs. Die Behandlung ist kompliziert und teuer, ob sie einen signifikanten Vorteil für Patienten bringt, ist noch unklar.

Allerdings muss betont werden, dass zurzeit nur ein Teil der Patienten profitieren kann. Der Trick mit den Kontrollposten Der eigentliche Erfolg und Durchbruch in der Immuntherapie von Krebs stellte sich dann ein, als man entdeckte, dass Tumorzellen besonders gern eine vorhandene Bremse auf den T-Zellen nutzen, die eigentlich normale Zellen vor einem Übergriff der T-Zellen auf gesundes Gewebe schützen soll. Man realisierte, dass T-Zellen über einen Kontrollposten (engl. Checkpoint) oder Rezeptor, den sie auf sich tragen, daran gehindert oder gehemmt werden können, zur Attacke überzugehen. Sein wissenschaftliches Kürzel ist CTLA-4 (für cytotoxic T-lymphocyte antigen 4). Bereits 1987 war er entdeckt worden, aber am Anfang hatte kaum jemand an eine Anwendung bei Krebs gedacht. Erst 1997 zeigte James Allison bei Mäusen, dass die T-Zellen plötzlich aktiv werden, wenn man diesen Rezeptor mit Antikörpern blockiert, die genau auf diese Moleküle passen. Die Tumore der Mäuse schmolzen. Im Prinzip war nun belegt: Die Blockade oder Hemmung der Brems- und Kontrollposten oder «Checkpoints» auf den T-Zellen entfesselt das Immunsystem. Auch gegen Krebs. 2011 erhielt Yervoy als erstes solches Immuntherapeutikum die Zulassung beim schwarzen Hautkrebs. Es besteht aus einem sogenannt monoklonalen Antikörper gegen den Checkpoint CTLA-4. Er wird blockiert und die T-Zellen kön-

nen loslegen. Inzwischen sind etliche andere Wirkstoffe in der Klinik und neue Kandidaten werden in Hunderten von Studien geprüft und erforscht. Blocker Yervoy als Vorhut Zielten Chemotherapie und Bestrahlung direkt auf den Tumor, verfolgt die Immuntherapie einen indirekten Weg. Sie will die körpereigenen Abwehrmittel mobilisieren und gegen den Tumor führen. Die CheckpointStrategie ist nur eines von mehreren Verfahren, allerdings das vorerst am weitesten entwickelte. So ist Yervoy als CTLA-4-Blocker – der Antikörper heisst Ipilimumab – schon seit vier Jahren in der Schweiz zur Behandlung von Melanomen in fortgeschrittenem Stadium zugelassen. Er wird alle drei Wochen per Infusion verabreicht, und Studien zeigen, dass er das Leben von Betroffenen, die auf diese Behandlung ansprechen, deutlich verlängern kann. Die Tumore können sich für viele Jahre zurückbilden, sodass man gar von einer Heilung sprechen kann. Eine grosse Studie hat gezeigt, dass rund ein Viertel dieser Patienten und Patientinnen noch mehrere Jahre nach Beginn der Therapie leben. Dies war ein Durchbruch, bedenkt man, dass bei diesem Krebs noch vor wenigen Jahren praktisch keine Heilungsaussichten bestanden. Wie man so etwas als Patient erlebt, wird nebenan auf Seite 3 geschildert. Mit Nebenwirkungen umgehen Das sind sehr erfreuliche Ergebnisse. Doch sie dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch immer die meisten Patienten gegen Ipilimumab resistent sind und der Antikörper bei ihnen nicht wirkt. Warum das so ist, wird derzeit intensiv erforscht. Auch an unserem Tumorzentrum des Basler Universitätsspitals. Dazu laufen etliche klinische Studien mit neuen Wirkstoffen und in Kombination mit bestehenden Therapien wie Chemotherapie. In unseren Labors der Medizinischen Onkologie erforschen wir die wissenschaftlichen Mechanismen intensiv. Die Kompetenz des Tumorzentrums ist auch gefordert und kommt zum Tragen, wenn es um die Beherrschung von Nebenwirkungen geht. Denn das Lösen der Bremsen kann heftige, unerwünsch-

Ein Patient erzählt.

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Dem Schwarzen Hautkrebs entronnen

Wie ein 63jähriger Basler Melanompatient eine Behandlung mit Immuntherapie als Wunder erlebte Von Martin Hicklin Schwarzer Hautkrebs ist als aggressive Krebsform gefürchtet. Lässt man ein Melanom unbehandelt wachsen, kommt es rasch zu Ablegern (Metastasen) im ganzen Körper. Die Prognose ist entsprechend düster. War es, darf man heute vielleicht sagen. Denn seit wenigen Jahren zeigt sich mehr und mehr, dass bestimmten Formen von Melanomen durch Immuntherapie beizukommen ist und das eigene Immunsystem gegen die veränderten Zellen mobilisiert werden kann. Mit überraschendem Erfolg. Einer, der das erlebt hat und noch immer für ein Wunder hält, ist Peter Flückiger, heute 63. Vierzig Jahre hatte er bei der Polizei gearbeitet, dann traf ihn aus heiterem Himmel die Krebsdiagnose. Die Ärzte gaben ihm noch wenige Monate. Doch es kam ganz anders. Wir haben Peter Flückiger getroffen. Er hat uns seine Geschichte erzählt. Der Hautfleck auf der Achsel Sie beginnt an jenem Tag, der eigentlich war, wie viele andere. Der 50. Geburtstag ist eben begangen, die zweite Halbzeit ist bereits angetreten, Peter Flückiger fühlt sich gesund und auch wohl im Beruf. Es gefällt ihm, bei der Polizei zu arbeiten und mit anderen Leuten in Kontakt zu kommen. Doch an diesem Tag fällt seiner Frau ein Hautmal auf der linken Achsel auf. «Peter, das gefällt mir nicht, das hat sich verändert», sagt sie, «du solltest das mal zeigen.» Ein Termin beim Hautarzt wird abgemacht. Die fachmännische Inspektion bringt nicht die erhoffte Entwarnung, auch dem Dermatologen gefällt die Veränderung nicht. Peter Flückiger entscheidet sich dafür, statt zu beobachten oder eine Gewebeprobe zu nehmen, das Ganze entfernen und prüfen zu lassen. Die pathologische Untersuchung zeigt: Was sich auf Peter Flückigers Achsel gebildet hatte, ist ein Melanom – Schwarzer Hautkrebs. Immerhin noch im erstem Stadium: Ganz oberflächlich, noch nicht tiefer ins Gewebe gewachsen, ohne Hinweise auf Metastasen und Zersiedelung in den übrigen Körper. «Wir haben alles erwischt», sagt der Arzt. Der Patient wird mit guter Prognose entlassen und lässt sich fortan ein- bis zweimal im Jahr kontrollieren. «Da war nichts mehr.» An die Erleichterung erinnert sich Peter Flückiger ganz genau. Wie wir da im Café Schiesser einander gegenübersitzen, und er von seiner ersten Begegnung mit Krebs erzählt, spielt sich auf dem Gesicht des heute 63-jährigen ab, wie knapp das gewesen war: «Wir haben eigentlich gesund gelebt, nie übertrieben, Mass gehalten», sagt er. «Ich bin immer an den Mittagstisch gekommen, wenn sich das richten liess.» te Folgen haben. Die aktivierten T-Zellen können gesunde Gewebe attackieren, die überschiessende Immunreaktion schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Entzündungen im Darm oder auf der Haut bis zu lebensbedrohlichem Leberversagen muss man in den Griff bekommen können. Heute verstehen wir viel von solchen Reaktionen und können Gegensteuer geben. Im Umgang mit solchen Krisen können wir im Tumorzentrum auf grosses Erfahrungswissen zurückgreifen. Erfreuliche Überraschungen Yervoy hat jedenfalls gezeigt, wie gross das Potenzial solcher Hemmer sein kann. Darum wird intensiv nach Blockern gegen andere Checkpoint-Proteine geforscht. Eines davon heisst PD-1 (Programmed death 1). Es kann ebenfalls von Tumoren dazu benutzt werden, T-Zellen ruhig zu schalten. Erste klinische Studien haben gezeigt, dass die PD-1-Hemmer wirksamer sind und weniger Nebenwirkungen haben. Bei manchen Tumoren zeigt sich sogar eine Überlegenheit gegenüber Chemotherapie. In den USA und in der EU erfolgten bereits die ersten Zulassungen gegen Melanome und Lungenkrebs. Die erfreuliche Überraschung ist dabei, dass diese Therapien so gut vertragen werden. Manche Patien-

Wieder voll im Leben.Peter Flückiger wieder an der Birs. Foto Dominik Plüss

Eine Entdeckung ändert alles Elf Jahre gehen durchs Land, Peter Flückiger hat die Sechzig überschritten und plant, nach vierzig Jahren etwas früher aufzuhören. Doch dann kommt fast alles anders. «Ich weiss nicht mehr warum, aber ich habe mit meinen Händen zufällig in die Rückengegend über dem Becken gefasst. Da

«Ich kann Velo fahren, ich kann reisen, wir sind sehr zufrieden.» hab ich eine Verhärtung gespürt, die mir nicht bekannt war», erzählt er und noch immer läuft ein Schatten über sein Gesicht, wenn er sich an diesen Tag im August 2013 erinnert. «Das passte mir nicht.» Bei der sofort angestrebten medizinischen Untersuchung wird eine Gewebeprobe (Biopsie) entnommen und eingeschickt. Zurück kommt der harte Befund: Es handelt sich um Schwarzen Hautkrebs in fortgeschrittenem Stadium. Und es kommt noch schlimmer: Es ist nicht die einzige Metastase. Die Computerten merken gar nichts und fragen nach, ob sie überhaupt ein Medikament erhalten. Erst wenn der Tumor verschwindet glauben sie es wirklich. Leider längst nicht für alle Nun geht es darum, die bestehenden Immuntherapien zu verbessern. Dies erreichen wir durch klinische Forschung. Durch Kombinationen mit anderen Medikamenten wird versucht, die Wirkung der PD-1-Hemmer noch zu stärken. So bleiben bei einer Bestrahlung, die ja den Untergang der Krebszellen bewirken will, Tumortrümmer zurück, die ihrerseits wieder eine erwünschte Immunantwort provozieren könnten. Chemotherapie ihrerseits kann eine Entzündung im Tumor auslösen. Sie lockt T-Zellen an und aktiviert sie. Löst man nun noch die Bremsen, können auch Patienten profitieren, die ohne Therapie keine Immunreaktion aufbauen konnten. Allerdings muss betont werden, dass auch auf die verbesserten Therapien gegenwärtig immer nur ein Teil der Patienten anspricht. Das kommt auch davon, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den Tumoren gibt. Herauszufinden, auf welchen Tumor welche Behandlung am besten wirkt, ist die Herausforderung, der wir uns

Onkologie an einem klinischen Versuch teilzunehmen, bei dem ein neues Medikament «aus Amerika» eingesetzt werden soll. Ein Immuntherapeutikum in Gestalt eines Antikörpers, der bewirken sollte, dass sich das Immunsystem des Patienten wieder gegen den Krebs im Körper wendet. So, wie dies an anderen Orten in dieser Beilage ausführlich berichtet wird. «Die bisherigen Studien», so Alfred Zippelius, Professor für Translationale Onkologie am Universitätsspital, «hatten gezeigt, dass bei einem Teil der Patienten, die schon mehrere Behandlungen hinter sich hatten, die Tumoren nach einer Immuntherapie über Jahre zurückgebildet bleiben.» Die Behandlung beginnt und von da an spürt Peter Flückiger keine Nebenwirkungen mehr. Er merkt allerdings auch nicht, ob die Behandlung wirkt. Doch die Kontrollen zeigen: Die Metastasen bleiben zuerst stabil und bilden sich dann zurück. Nicht dass alles wie von Zauberhand verschwunden wäre, aber die Perspektiven werden wieder rosiger. Alle drei Wochen kommt Peter Flückiger zur Therapie, von vollständiger Heilung ist noch keine Rede, aber das Leben ist wieder da: «Ich kann Velofahren, wir können reisen, wir sind sehr zufrieden», sagt Peter Flückiger und ist dankbar, dass er zu jenen Glücklichen gehört, bei denen diese Therapie Wirkung zeigt. «Nach solchen Erfahrungen sieht man das Leben ganz anders.» Und fügt an: Ich werde im Unispital Basel sehr gut betreut und möchte mich bei Professor Zippelius und dem ganzen Team der Onkologie ganz herzlich bedanken.»

tomogramme zeigen, auch in der Bauchspeicheldrüse, in der Lunge, an verschiedenen Stellen der Bauchhöhle und anderswo haben Tumore zu wachsen begonnen. Peter Flückiger hat Schwarzen Hautkrebs im Stadium 4. Man könnte es auch Endstadium nennen. Der Bescheid ist niederschmetternd. «Beim Hinausgehen hat mir der Arzt noch einmal deutlich gemacht, dass ich nicht mit Jahren, sondern Monaten bis zum Tod zu rechnen habe», erzählt Peter Flückiger. «Das hat mir und meiner Frau schon den Boden unter den Füssen weggezogen.» Der nun als todkrank erklärte Patient kommt in die Obhut der Abteilung Medizinische Onkologie im Tumorzentrum des Basler Universitätsspitals. «Man hat mir angeboten, an einer klinischen Studie mit einem neuen Medikament teilzunehmen, ich habe zugestimmt.» Im Oktober beginnt die Behandlung und die Nebenwirkungen sind beträchtlich. Immer wieder tritt hohes Fieber auf, Schüttelfrost, Nachtschweiss, Unwohlsein, Ausschläge und geschwollene Füsse begleiten die Behandlung. Die Lebensqualität schwindet. Immerhin: Der Krebs bleibt stabil,

einzelne Metastasen bilden sich zurück. Doch nach acht Monaten zeigt sich keine Wirkung mehr. Das Medikament wird abgesetzt, das Wuchern beginnt wieder. In einer Nacht im August letzten Jahres beginnt Peter Flückiger an Schmerzen auf der Brust und schwerer Atemnot zu leiden. «Es kam mir vor, als hätte ich einen Herzinfarkt erlitten.» Als Notfall wird er ins Universitätsspital eingeliefert. Die Untersuchung zeigt, dass sich nun in der rechten Vorkammer des Herzens eine Metastase breit zu machen beginnt, etwas, was sehr selten beobachtet wird. Peter Flückiger und seine Frau stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Nichts tun kostet sicher bald das Leben, aber auch eine Bestrahlung bringt das Risiko mit sich, dass sich anstelle des hoffentlich schmelzenden Tumors ein Loch auftun könnte. Die beiden entschliessen sich zur Bestrahlung der Metastasen in Herz und Bauchspeicheldrüse: Der Tumor im Herz verschwindet – ohne ein Loch zu hinterlassen.

heute gegenüber sehen. Derzeit werden verschiedene Checkpoint-Hemmer in klinischen Studien getestet. Die Hoffnung besteht, dass vielleicht eines Tages jeder Patient genau auf die Merkmale seiner Krebszellen wirkende Hemmer erhält.

Grosse Hoffnungen auf aufgerüstete Zellen

Prof. Dr. med. Alfred Zippelius ist Stellvertretender Chefarzt Onkologie und leitet das Labor Tumorimmunologie am Universitätsspital Basel. F oto Dominik Plüss

Neue rosigere Perspektiven Und dann sollte sich doch noch einmal alles wenden. Peter Flückiger wird eingeladen, in der Medizinischen

Aufwendig, aber wirksam. Sehr hoffnungsvoll, aber ebenfalls sehr kostspielig, ist eine weitere neu in der Entwicklung sich befindende Art von Krebsbehandlung – «Adoptiver T-Zell-Transfer» genannt. Dabei werden T-Zellen dem Körper des Patienten entnommen, aufgerüstet und vermehrt, um schliesslich wieder zurückgegeben zu werden. Eine auf einen einzigen Patienten zugeschnittene Behandlung, die sehr aufwändig ist. Aber sie bringt spektakuläre Erfolge. So waren laut einer kürzlich veröffentlichten Studie, bei der zur Behandlung entnommene T-Zellen gegen Leukämiezellen abgerichtet wurden, bei 14 von 16 Patienten nach der Behandlung keine Spur von Leukämie mehr zu finden. Dies bei Patienten, die auf alle bisher angewandten Therapien resistent geworden waren. Der Adoptive T-Zell-Transfer ist technisch höchst anspruchsvoll und kann derzeit nur in wenigen Zentren durchgeführt werden. Zudem ist die Methode bei Patienten mit komplexen festen Tumoren wie Lungen- oder Brustkrebs derzeit noch nicht einsetzbar. Es kann zudem sehr gefährlich wer-

Zu gut aussehend Doch einem Problem begegnet Peter Flückiger nun häufig. Wenn er anderen seine Krankengeschichte erzählt, trifft er oft auf ungläubige Gesichter. Offenbar haben die meisten Menschen ein Vorstellung davon, wie ein Krebspatient mit dieser Geschichte aussehen müsste. Ihr entspricht Peter Flückiger im wörtlichen Sinne beileibe nicht. Auch das kann man als Beleg dafür deuten, dass in der Behandlung von Melanomen zumindest für eine Gruppe unter den Betroffenen ein neues Kapitel aufgeschlagen worden ist. Alfred Zippelius sagt dazu: «Wir wollen jetzt genauer herausfinden, welche Faktoren für solche Erfolge entscheidend sind. Es scheint, dass Patienten, die bereits eine aktivierte Immunantwort haben, auf diese Therapien gut ansprechen. Wir müssen aber verstehen, wo herkömmliche Therapien ihren Platz haben und wie und wo wir erfolgversprechend Immuntherapie einsetzen können. Da sind wir als Zentrum vorne mit dabei und an der klinischen Forschung beteiligt.»

den, die Immunantwort durch T-Zellen gegen Tumorbestandteile anzuheizen. Wenn ein Ziel, auf das die Zellen abgerichtet sind, sich auch nur in kleinsten Mengen auf normalen Zellen findet, werden sie von den Super-Killern entdeckt und zerstört. Das aber kann zu einer lebensbedrohlichen Krise und zum Tod führen. Ungelöstes Problem Ein noch nicht gelöstes Problem der Immuntherapeutika ist ihr Preis. Da diese Medikamente vorerst auf unbestimmte Zeit gegeben werden und der Preis einer einzigen Infusion bereits bei vielen Tausend Franken liegen kann, werden die Gesamtkosten pro Fall erhebliche Höhen erreichen. Auch hier ist die Forschung gefragt: gezielte Diagnostik-Tests könnten ganz am Anfang der Behandlung zeigen, welche Krebspatienten überhaupt auf eine teure Immuntherapie ansprechen. Somit liessen sich erhebliche Beträge einsparen. Zudem dürfte der starke Wettbewerb und die Zulassung weiterer solcher Mittel die Preise drücken.

Unsere Immunabwehr.

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Betäubte Wächter und getäuschte Killer Wie Tumorzellen der Immunabwehr entwischen Von Alexandar Tzankov Wie alle anderen Lebewesen müssen auch wir uns gegen fremde Eindringlinge schützen, die gerne bei uns und von uns leben möchten. Mikroben, Pilze, Parasiten und Viren müssen in Schach gehalten werden, weil wir sonst erkranken könnten. Glücklicherweise verfügen wir über eine mehrstufige Verteidigung. Ein ganzes Netzwerk von Akteuren hilft, eine schädliche Invasion, fremdes Material und Gewebe abzuwehren und dabei auch nicht funktionierende oder krankhaft veränderte Zellen zu beseitigen. Dieses Netzwerk nennen wir Immunsystem. «Immun» kommt von lateinisch immunis=rein. Das «Reinhaltesystem» leistet rund um die Uhr phantastische Arbeit. Und ist doch weit davon entfernt, perfekt zu sein. Sonst würden Viren uns nichts anhaben können – und hätte Krebs keine Chance. Der erste Wall: Die Haut Das erste Hindernis, das unerwünschte Gäste überwinden müssen, ist die Haut. Unser grösstes Organ bildet eine sehr wirksame mechanische und chemische Barriere gegen Angreifer, so wie es die Schleimhäute und das Säurebad im Magen auf dem Weg zum Verdauungstrakt sind. Gelingt es einem Eindringling dennoch, Wall und Graben zu überwinden, kommt die zweite Verteidigungslinie zum Einsatz. Sie reagiert mit der Ausschüttung von mehr als zwei Dutzend chemischen Stoffen. Diese hochwirksamen Entzündungsstoffe (Komplementsystem genannt, weil es die Immunabwehr ergänzt oder komplementiert) zerstören einerseits Eindringlinge, locken andererseits als Zytokine (wörtlich=Zellbeweger) Granulozyten, Makrophagen (=Grossfresser) oder «natürlich» genannte Killerzellen an . Diese starke, aber nicht genau zielende Abwehr nennt man «angeborene Immunität». Sie kann schnell grosse Mengen von schadbringendem Material zerstören und abräumen. Es entsteht dabei das, was man eine «Entzündung» nennt. Die hat allerdings auch erhebliche Nebenfolgen. Wie alle wissen, die schon mal mit einer geschwollenen Backe zum Zahnarzt geeilt sind. Immer auf Patrouille Das Immunsystem darf nie schlafen. Als Aufpasser sitzen vielfingrige Fresszellen an allen wichtigen Kreuzungen der Blut- und Lymphzirkulation des Körpers und sind rund um die Uhr mit der Kontrolle von allfällig gefährlichem Material beschäftigt. Sie heissen «dendritische» Zellen, weil sie viele verzweigte Ausläufer haben und darum an einen Baum (griechisch=dendron) erinnern. Diese Zellen schlucken fremdes Material, wie zum Beispiel Bakterien oder Viren, zerteilen es, treffen eine «Entscheidung» über das mögliche schadbringende Potenzial dieses Materials und zeigen dann ihre Beute in kleinen Stücken wieder an ihrer Oberfläche. Damit erfüllen sie eine wichtige Rolle. Sie deklarieren einer dritten Garde von Abwehrzellen, den T- und B-Lymphozyten, was an fremdem Material bekämpft werden sollte. Sie machen es «immunogen». Jetzt kann eine Immunantwort ausgelöst werden. Denn nun werden die hoch spezialisierten T- und B-Lymphozyten aktiv. Sie sind die anpassungsfähigen Akteure des Immunsystems. Lymphozyten heissen sie, weil sie gerne im Lymphsystem zum Einsatz reisen. Die Lymphe ist eine weissliche Körperflüssigkeit, die in einem parallel zum System der Blutgefässe verlaufenden Geflecht von Lymphbahnen mit kleinen Zellreservoiren fliesst, die Lymphknoten heissen. Lymphozyten erkennen ganz bestimmte als «fremd» und daher gefährlich erscheinende Merkmale – Antigene genannt. Dabei ist für uns ganz wichtig: Auch auf krankhaft veränderten Krebsvorstufen sitzen solche Antigene. Doch Tumorzellen können sich tarnen und die Abwehr bremsen und lähmen. Diese Bremsen zu lösen und das Immunsystem gegen den Tumor von der Leine zu lassen, ist ein Ziel der Immuntherapie.

Den Schläfern auf der Spur. Was die Akteure des Immunsystems im Körper machen, lässt sich direkt nur schwer oder gar nicht beobachten. Doch man kann

Momentaufnahmen sprechen lassen. Wie Schnappschüsse vom Tatort können Proben von Gewebe (griech. histós) auf krankhafte (pathologische) Veränderungen untersucht werden. Was für den Laien wie Chaos aussieht, spricht für Fachleute Bände, wenn es gelingt, das, was man sucht, zu färben. Kommen Sie mit auf einen kurzen histopathologischen Rundgang von A bis D: A – Für Toleranz unterwegs: Hier sieht man den feinen Schnitt vom Gewebe eines Lungenkarzinoms. Dank einer spezifischen Färbung mit einem Marker zeigen sich braun T-Zellen, die hier regulierend wirken: Sie bewirken Toleranz und Schonung für die Tumorzellen, indem sie die Immunantwort unterdrücken und lähmen. Was sonst hilfreich ist, kehrt sich zum Schaden des Patienten. B – Das Bremspedal wird sichtbar: Im Lungenkrebsgewebe sammeln sich braune T-Zellen. Sie werden sichtbar, weil man das als Bremspedal dienende PD1 färben konnte. C – Die Mauer der Gelähmten: Rund um die einem Eulenauge ähnliche Tumorzelle eines Hodgkin-Lymphoms hat sich eine Mauer von über das PD1 gelähmten T-Zellen gebildet. D – Am Bremsfuss entlarvt: Auch in diesem Brustdrüsen-Karzinom treten die Tumorzellen auf die Bremse der T-Zellen und entziehen sich hinter den Schläfern dem Immunsystem. Diesmal sieht man das, weil man speziell PD-L1 als bindenden Teil – sozusagen den Bremsfuss – braun färben kann. Die Techniken, die in der Pathologie für die Untersuchung solcher Fragen angewendet werden, sind heute hochentwickelt und liefern wichtige Informationen zu Krankheit und Verlauf. Manche der wichtigsten und für Diagnose wie Therapie entscheidend mitbestimmenden Werkzeuge lieferte die immunologische Forschung. Ohne sie würden weder Diagnose noch Therapie so weit sein, wo sie heute sind. Bilder Alexandar Tzankov

Antigene heissen so, weil sie eine Immunantwort und die Herstellung von gegen sie gerichteten Antikörpern oder Zellen auslösen beziehungsweise «generieren». Die im Körper zirkulierenden T- und B-Lymphozyten tragen auf ihrer Oberfläche Rezeptoren, die wie Schloss zu Schlüssel auf ein bestimmtes Antigen passen. «Sieht» eine sogenannte CD8+ T-Zelle (ein spezifischer Typ der T-Lymphozyten ) ein zu ihr passendes und ihr vorgezeigtes Antigen, fügt sich ins Schloss (Rezeptor) der Schlüssel (Antigen), so wird sie sich millionenfach vermehren und zu einer Killerzelle gegen das Antigen wandeln. Wenn sich das Antigen aber einer sogenannten CD4+ T-Zelle präsentiert, wird sich diese ebenfalls vermehren. Doch übernimmt sie jetzt die Aufgabe, andere T- und speziell B-Zellen, die ebenfalls auf das Antigen passen, als «Helfer-Zelle» bei ihrer

Abwehrarbeit zu unterstützen. Allerdings kann sich eine solche CD4+ T-Zelle gerade ins Gegenteil wandeln: zu einer «regulatorischen» Immunzelle, die Immunantwort unterdrücken kann. Die ganze Klaviatur dieser Möglichkeiten erlaubt dem Immunsystem im Prinzip eine genau abgestimmte Reaktion. Massenhaft Antikörper Eine wichtige Rolle spielen in der Abwehr die B-Lymphozyten. (B-Zellen tragen ein B voran, weil man sie in einem als Bursa benannten Lymph-Organ der Hühner das erste Mal entdeckt und richtig beschrieben hat.) Sie besitzen ebenfalls jeweils Rezeptoren für ganz bestimmte Antigene. Passen Schloss und Schlüssel zusammen und ist auch eine CD4+-T-Helferzelle dabei, schaltet die B-Zelle ein paar Gänge höher. Sie zieht sich in einen Lymphknoten zurück

und vermehrt sich dort rasant millionenfach. Zudem beginnen sie und ihre Töchter, grosse Mengen an Antikörpern herzustellen, die zum erkannten Antigen passen. In vergleichsweise kurzer Zeit stehen eine grosse Schar solcher Antikörper bereit. Sie binden an das Antigen, machen es so bewegungsunfähig (und somit unschädlich), und markieren andererseits den Fremdling (das Antigen) als Futter für die Fresszellen. Das Besondere und besonders Nützliche an der in der Fachsprache «adaptive, von Lymphozyten vermittelte Immunabwehr» genannten Reaktion ist: Bei einer zweiten Begegnung mit dem gleichen Antigen geht alles noch um ein Vielfaches schneller. Denn nach einem ersten Ereignis erinnern sich «Gedächtnis-Lymphozyten» genau an die Begegnung und lösen nun bei neuem Kontakt sehr rasch eine Abwehrsalve aus. Wir

spüren davon nichts: wir sind immun geworden. Diesen Mechanismus nutzt man bei Impfungen. Unser Immunsystem kann sich also anpassen, erinnert sich an frühere Ereignisse, kann auch auf schwache Reize stark reagieren und hat je nachdem auch die Möglichkeit, auf jeder Ebene die Immunantwort fein zu regulieren. Weil seine Akteure in flüssiger Umgebung reisen, kann es schnell und vor allem ortsungebunden reagieren. Alle bisher geschilderten Teilnehmer arbeiten zusammen. Das Resultat kann sich in der Regel sehen lassen. Eigen und fremd: Das Risiko Die meisten Antigene, gegen die eine Immunantwort startet, sind Eiweiss-Stoffe. Das Immunsystem kann Millionen von verschiedenen Antigenen erkennen, aber es darf nie gegen

Täuschen, verstecken, dämpfen, einschläfern Wie Immuntherapie Blockaden der Tumorzellen löst Von Alexandar Tzankov Tumoren bilden sich aus körpereigenen Zellen und unterscheiden sich zu Beginn nur wenig von diesen. Darum verursachen sie in den Anfangsstadien keine Entzündungen. Die Wächter des angeborenen Immunsystems werden nicht alarmiert. Nur Killerzellen, die auf typische kleine Abweichungen der Tumorzellen reagieren können, werden vielleicht aktiv. Um die angeborene Abwehr dennoch in Aktion treten zu lassen, kann man sie in einer Krebstherapie künstlich stimulieren. Zum Beispiel mit einem Impfstoff aus abgeschwächten Bakterien. Das wird erfolgreich mit dem BCG-Vakzin gegen die Rückkehr von Blasenkrebs angewendet (siehe Seite 6). Dank der durch die Impfung ausgelösten Entzündungsreaktion werden die Blasenkrebszellen für das Immunsystem nun «sichtbar» und von ihm zerstört. Klar muss man sich jedenfalls darüber sein, dass ein funktionierendes Immunsystem den Körper auch vor krebserregenden Viren schützt und diese Gefahr in der Regel effizient abwendet, ohne dass wir etwas davon merken. Wie gut das funktioniert, kann man daran messen, was geschieht, wenn es ausfällt. Dann steigt das Risiko eines Tumors sprunghaft an, wie man von Patienten weiss, deren Immunsystem unterdrückt ist. Der Körper verlässt sich jedenfalls voll darauf, dass das «adaptive», sich

auf Lymphozyten stützende Immunsystem jene Zellen erkennt, die sich krankhaft zu verändern beginnen. Es muss dabei «gesunde eigene» und «krankhafte eigene» auseinanderhalten können und gezielt auf letztere reagieren. Weil sich Tumorzellen von gesunden eigenen Zellen doch etwas unterscheiden, kann das Immunsystem im Prinzip die falschen Zellen eliminieren. Was Zellen verdächtigt macht Doch in den letzten Jahren hat man erkannt, dass Tumorzellen sich durch Tricks und besondere Signale der immunologischen Überwachung entziehen können. Die derzeit sich entfaltende Immuntherapie zielt darauf, diese Täuschung zu unterbinden. Will man ein allenfalls gelähmtes und gebremstes Immunsystem gegen Tumoren wenden, muss man verstehen, wie sich Tumorzellen von normalen Zellen unterscheiden und wo sich Angriffspunkte bieten: > Krebszellen und ihre Vorstufen zei-

gen auf ihrer Oberfläche oft weniger sogenannte MHC-I-Eiweisse, die signalisieren, dass sie zu «eigenem» Gewebe gehören, als gesunde Zellen. Das lässt sie den Wächtern, insbesondere den Killerzellen, eben auch weniger «eigen» und darum verdächtig erscheinen. > Zudem zeichnen sich Tumorzellen

durch Mutationen aus, die wiederum zur Folge haben können, dass sich auf ihrer Oberfläche Eiweisse zeigen, die den patrouillierenden Aufpassern des Immunsystems nicht bekannt sind und darum bekämpft werden (Tumor-Antigene). Je mehr die Zelle davon zeigt, desto «immunogener» (fremder) wird sie. Das erklärt, warum die besonders stark mutierten Melanome und Lungenkarzinome bei Rauchern eindrücklich auf Immuntherapien ansprechen. Gegen diese, eine Gegenreaktion auslösenden Tumor-Antigene geht das Immunsystem rund um die Uhr und gezielt vor. Die körpereigene Immunabwehr ist also im Prinzip eine schlagkräftige Waffe gegen sich krankhaft verändernde Zellen. Nur weiss man heute gut, dass Tumorzellen einige Kniffe beherrschen, mit denen sie sich der immunologischen Kontrolle entziehen können: > Sie sind durch Selektion begünstigt:

Wirkt die Abwehr gut, überleben vor allem Zellen, die wenig oder keine Immunreaktion provozieren. Sie können sich besser halten.

> Mit Signalen bremsen und lähmen:

Tumorzellen können die Immunreaktion unterdrückende Stoffe oder Enzyme ausscheiden und die Immunantwort lähmende Zytokine (=Zell-

beweger) herstellen. Sie verstecken sich in einer Lymphozyten den feindlichen Umgebung. > Als ungefährlich tarnen: Tumorzellen

können sich mit einer grossen Menge von «Friss-mich-nicht»-Signalstoffen tarnen und Angriffen ausweichen.

> Feinde umpolen: Tumoren können ih-

nen gefährlich werdende dendritische «Fress-Zellen» umpolen. Dann präsentieren sie Antigene so, dass TZellen blockiert werden und in einen Tiefschlaf verfallen. Statt Energie regiert Anergie.

> Blockieren: Tumorzellen können auf

ihrer Oberfläche T-Zellen lähmende Moleküle wie die im Hauptartikel beschriebenen Molekülkomplexe PD-L1 oder PD-L2 vorweisen und so die eigentlich zum Angriff bereiten T-Zellen in der Umgebung blockieren.

Heute versucht man ziemlich erfolgreich, diese beiden letzten Blockaden zu lösen und die getäuschten T-Zellen wieder aufzuwecken. Dabei werden etwa die PD-L-Moleküle oder ihre bindenden Gegenstücke (PD1) ebenfalls mit immunologischen Mitteln abgedeckt: mit künstlich hergestellten Antikörpern. Klinische Studien haben dazu bahnbrechende Ergebnisse gebracht, wie in dieser Beilage geschildert wird. Die Immuntherapie hat begonnen, ihr Potenzial zu zeigen.

Krebsforschung. die Eiweisse des eigenen Körpers aktiv werden. Dafür wird früh vorgesorgt. T-Zellen tragen ihr T, weil sie nach ihrem Austritt aus dem Knochenmark in ein Organ hinter dem Brustbein wandern, das Thymus heisst. Hier bilden die T-Zellen ihre Fähigkeit, Antigene zu erkennen, aus. Besonders wichtig dabei ist: all jene T-Zellen werden zu Selbstzerstörung überredet, die sich fälschlicherweise gegen eigenes Gewebe richten. Der Thymus wird oft mit einer Schule verglichen. Sie trifft mit Durchgefallenen allerdings ziemlich drastische Massnahmen. Nur etwa fünf von hundert T-Zellen verlassen den Thymus lebend. Wer nicht besteht, zerlegt sich selbst in seine Bestandteile. Die stehen bald wieder auf dem Baumarkt zur Verfügung. Ein ganz normaler Vorgang im Zellleben. Klappt die Auswahl

Prof. Dr. med. Alexandar Tzankov ist Fachbereichsleiter Histopathologie und Autopsie am Institut für Pathologie des Universitätsspitals Basel. Foto Dominik Plüss

im Thymus nicht, kann eigenes Gewebe irrtümlich für fremd gehalten und bekämpft werden. Autoimmunkrankheiten sind die Folge. Bei der kindlichen Zuckerkrankheit etwa werden die Insulin-produzierenden Inselzellen durch Autoantikörper zerstört. Es ist also lebensnotwendig, dass die Immunabwehr gegen uns selbst nichts unternimmt. Sie muss «immuntolerant» für den eigenen Körper bleiben. Alles für die Toleranz Wie wichtig es für den Körper ist, dass diese Toleranz nicht durchbrochen wird, zeigt sich daran, dass er auf mehrere Weisen die Duldung festigt. So dämpfen einerseits, wie schon erwähnt, spezielle regulatorische T-Zellen überschiessende Immunantworten am Ort, indem sie unterdrückende Stoffe (Zytokine) produzieren oder schon aktivierte Lymphozyten lähmen und töten. Ferner können Gewebe selbst ein T-Zellen-unterdrückendes Enzym ausschütten und den Lymphozyten eine für ihre Vermehrung wichtige Aminosäure (Tryptophan) rauben. Sie können aber auch die Immunabwehr unterdrückende Zytokine herstellen und somit eine Lymphozyten-feindliche Umgebung um sich schaffen. Zudem zeigen die meisten körpereigenen Zellen ein «Friss mich nicht»-Signal (CD47 genannt), das verhindert, dass sie von «Fresszellen» attackiert und ihre Bestandteile in eine für das adaptive Immunsystem verständliche (eben immunogene) Form übersetzt werden. Schliesslich können die dendritischen «Fresszellen» die Antigene den T-Zellen so präsentieren, dass die Letzteren blockiert und in eine Art Dauertiefschlaf versetzt werden – es

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herrscht Anergie, das Gegenteil von Energie. Ein Molekülkomplex, der hier eine entscheidende Rolle spielt, ist der sogenannte Programmed Death 1 (PD1) Rezeptor an den T-Lymphozyten und sein bindendes Gegenstück, das man entsprechend PD Ligand (PD-L1 oder PD-L2) genannt hat. Ein drittes an dieser internen «Abwehr der Abwehr» beteiligtes Molekül an den T-Lymphozyten hat das Kürzel CTLA4 (für cytotoxic T-lymphocyteassociated protein 4). Neue Angriffspunkte Doch all diese Methoden, Toleranz zu erzwingen, werden listigerweise auch von Tumorzellen benutzt. (Siehe Kasten Seite 4) Auch sie verstehen es, angreifende T-Zellen zu lähmen. So fallen die Angreifer in Inaktivität, statt dass sie die veränderten und eigentlich «fremd» gewordenen Eigenschaften der Krebszellen sehen und bekämpfen. Kommt dazu: Weil die Tumore unter dem Druck des Immunsystems stehen, vermehren sich vor allem Zellen, die wenig immunogen sind. Derzeit versuchen wir mithilfe von künstlich hergestellten Antikörpern gegen die oben genannten Moleküle PD1, PD-L1 und CTLA4, diese Hemmung zu lösen. So sollen die T-Zellen aus dem Dauertiefschlaf aufwachen und die unterdrückte Immunantwort gegen die Tumorzellen frei geschaltet werden. Allerdings so, dass es nicht zu überschiessenden Reaktionen und Angriffen auf das gesunde Gewebe, wohl aber zur Kontrolle über die Tumore kommt. Erste Erfolge lassen sich sehen.

Vier Basler Nobelpreis-Träger In der Erforschung unserer so vielfältigen Immunabwehr sind einige Durchbrüche in Basel tätigen oder aus Basel stammenden Forschern zu verdanken. Vier davon sind mit Nobelpreisen geehrt worden. Drei gingen an Mitglieder des 1971 von der damals weitsichtigen Roche an der Grenzacherstrasse eröffneten Basel Institute for Immunology (BII), das bald Weltruf erlangen sollte, allerdings 2001 nach einer ruhmvollen Ära wieder geschlossen wurde. Gründungsdirektor Niels Kaj Jerne (1911-1994) war einer der bedeutendsten Theoretiker auf dem Feld und erhielt 1984 den Nobelpreis für Medizin. Mit ihm ausgezeichnet wurde der aus Freiburg i. Br. stammende Georges Köhler (1946–1996), der am BII bei Fritz Melchers doktoriert hatte. Bei einem Zwischenaufenthalt als Postdoc in Mitpreisträger César Milsteins Labor in Cambridge hatte er entdeckt, wie man eine einen Antikörper produzierende Immunzelle unsterblich machen kann. Er legte damit die Grundlage für die massenhafte Herstellung auf ein einziges Ziel gerichteter «monoklonaler

Antikörper». Sie bescheren heute als wirksame «Biologicals» der Pharmaindustrie (und Roche) Milliardenumsätze und spielen in der hier beschriebenen Immuntherapie eine zentrale Rolle. Köhler kehrte wieder ans BII zurück und verliess es erst 1984, um das Freiburger Max Planck-Institut für Immunbiologie zu leiten. 1987 ging als Dritter der heute 76-jährige Susumu Tonegawa nach Stockholm, um seinen Nobelpreis entgegen zunehmen. Er hatte an der Grenzacherstrasse mit seiner stimulierenden Umgebung geklärt, wie der Körper zu seiner unglaublichen Vielfalt von Antikörpern kommt. Eine weitere zentrale Entdeckung gelang dem Riehener Rolf Zinkernagel. Der heute 71-jährige hatte nach seinem Basler Medizinstudium in Australien mit Peter Doherty herausgefunden, wie T-Zellen des Immunsystems virusinfizierte Zellen erkennen und dass dabei Gewebeverträglichkeitsmerkmale («MHC-Komplexe») eine zentrale Rolle spielen. 1996 erhielt der an der Universität Zürich emeritierte Professor den Nobelpreis. hckl

V.l.Niels Kaj Jerne, Georges Köhler, Susumu Tonegawa, Rolf Zinkernagel.

«Basel ist ein ganz besonderer Forschungsort»

Immunologe Giulio Spagnoli zur Rolle der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Immuntherapie Vor 25 Jahren ist Giulio Spagnoli von der Harvard Medical School in Boston nach Basel ans Zentrum für Lehre und Forschung gekommen. Hier verfolgt der 63-jährige Römer, Arzt und Immunologe als Forscher im Departement Chirurgie unter anderem auch Projekte, die nach Wegen suchen, wie man die Immunabwehr des Patienten gegen Tumore richten oder verstärken könnte. Wir fragten den Professor für Experimentelle Chirurgie nach Erfahrungen und Aussichten.

Die Behandlung mit Chemotherapie behält ihre Stellung?

Eine interessante Idee und neuer Aspekt ist heute, dass die Standard-Chemotherapie möglicherweise einen Teil ihrer Wirksamkeit ebenfalls der nun einsetzenden Immunabwehr verdankt, die sich gegen die von beschädigten Tumorzellen neu präsentierten antigenen Eigenschaften wendet.

«Forschen auf diesem Gebiet lehrt uns allerdings auch Demut.»

Basler Zeitung: Giulio Spagnoli, Sie haben den Aufschwung der Immunologie im letzten Jahrhundert miterlebt. Warum hat die Immuntherapie erst in den letzten Jahren so grosse Fortschritte gemacht? Giulio Spagnoli: Die Idee, die Kraft

des Körpers gegen Krebs zu nutzen ist mehr als hundert Jahre alt, aber als meine Generation auf diesem Gebiet zu forschen begann, begegnete das Konzept einer gegen einen Tumor gerichteten Immunantwort noch grosser Skepsis. Der eigentliche Wendepunkt war erst erreicht, als die ersten mit einem menschlichen Tumor verbundenen Antigene, gegen die sich das Immunsystem richten könnte, entdeckt und charakterisiert wurden.

Was hat das bewirkt?

Wir und andere haben gleich versucht, Impfstoffe zu entwickeln, die eine Immunantwort gegen diese Krebs-Antigene wecken können. Studien mit solchen therapeutischen Vakzinen, nicht nur unsere eigenen, zeigten gute Resultate mit kaum nennenswerten Nebenwirkungen. Aber es gibt bis heute doch nur wenige Phase-III-Studien, die einen Erfolg solcher Strategien klinisch beweisen können.

Aber es gibt doch einen Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs?

Dieser Impfstoff gegen das verursachende Virus wirkt tatsächlich ausgezeichnet, wenn er vorbeugend verabreicht wird. Ist der Tumor aber schon da, helfen therapeutische Impfungen weniger.

Man sagt, die Zahl der Tumorarten wachse laufend, weil man sie nach immer neuen Kriterien und Eigenschaften unterscheiden könne. Hat hier die Immunologie eine Rolle zu spielen?

Den Grundlagen auf der Spur. Prof. Dr. med. Giulio Spagnoli forscht am

Departement Biomedizin mit dem Schwerpunkt Tumorimmuntherapie. Foto Dominik Plüss

Weiss man die Gründe? Schläft das Immunsystem oder ist es einfach unempfindlich auf diese fremden Tumor-Merkmale?

Das Immunsystem hat eben tatsächlich die sonderbare Fähigkeit, nach einer erfolgreichen Aktion seine eigene Wirksamkeit zu bremsen. Tumorzellen ihrerseits können auf allerlei Arten gegen sie gerichtete Immunantworten verhindern. Diese beiden Aspekte darf man in ihrem Ausmass nicht unterschätzen.

Wenn man besser versteht, wie diese Bremsen funktionieren, kann man sie zu lösen versuchen?

Ja, gegenwärtig versucht man auf

breiter Basis «Bremsen zu lösen» und so die Stärke der Immunantwort maximal zu gestalten. Aber die Gefahr besteht, dass sie sich auch gegen gesunde eigene Gewebe richtet. Dann kann es gefährlich werden. Es wäre vor allem sehr wichtig, wenn wir anhand von bestimmten Merkmalen sagen könnten, welche Patientinnen und Patienten von einer solchen Behandlung profitieren, und könnten so den andern auch Nebenwirkungen ersparen. Dass noch immer nur eine Minderheit der Patienten von der Immuntherapie profitiert, macht dieses Ziel nur noch wichtiger. Das sind wichtige Forschungsthemen.

Man kann ganz gewiss erwarten, dass die Tumorimmunologie dort einen grossen Einfluss haben wird, wo es darum geht, die Stadien einer Krebserkrankung zu bestimmen. Man untersucht, wie gross ein Tumor ist, ob er schon Metastasen gebildet hat und ob Tumorzellen schon in den Lymphknoten zu finden sind. Diese Kriterien bestimmen heute dann die Art und Strategie der Behandlung. Es scheint aber sehr wichtig und möglicherweise gar entscheidend für die Prognose zu sein, wie stark der Tumor von Immunzellen infiltriert ist. Man weiss noch zu wenig, was da geschieht, aber es sieht so aus, als liege hier ein sehr wichtiges Thema vor uns.

Sie waren in Boston, in Paris und an anderen Orten. Wie reihen Sie da Basel ein?

Oh Basel ist für mich ein ganz besonderer Forschungsort. Wir sind zwar nicht Boston, aber doch sehr weit vorne. Hier wurde von 1971 bis 2001 auch das berühmte Basel Institut für Immunologie betrieben. In Basel ist erstaunlich viel Kompetenz versammelt. Am Universitätsspital arbeiten wir mit ver-

schiedenen Gruppen hervorragend zusammen.

Das müssen Sie ja so sagen....

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir wissen, dass sich Tumore von Patient zu Patient unterscheiden können. Das heisst aber auch, dass Behandlungen unterschiedlich anschlagen. Wir suchen darum nach Möglichkeiten, wie man vor der Behandlung testen könnte, welche Therapie am besten anspricht. Ideal wäre, wenn man im Laufe der Behandlung eine spezifische Therapie an dem Patienten entnommenen Krebsgewebe testen könnte. So liesse sich auf eine Patientin oder einen Patienten zugeschnittene, präzise personalisierte Behandlung einrichten. Das muss schnell gehen. So haben wir uns mit der Gruppe von Ivan Martin, Professor für Tissue Engineering am Departement für Biomedizin, zusammengetan und untersuchen nun, wie man an Krebszellen, die wir in einem von ihm entwickelten Bioreaktor wachsen lassen, mögliche Behandlungen «in vitro» testen kann. Da haben wir besten fachlichen Rat in unmittelbarer Nähe. So macht Forschen Spass. Dass die Nähe zum Universitätsspital ebenfalls sehr wichtig und fruchtbar für beide Seiten ist, muss ich nicht betonen.

Das gilt auch für unser Thema Immuntherapie?

Die Tumorimmunologie oder Immunologie der Krebserkrankungen ist keine Show für Einzelmasken. Hier braucht es die produktive Zusammenarbeit von Chirurgen, medizinischen Onkologen, von Pathologen und den Grundlagenforscherinnen und -forschern. Wichtig ist auch der Rückhalt der Öffentlichkeit. Forschen auf diesen Gebieten lehrt uns allerdings auch Demut. Manche ausserordentlich ansprechende und glänzende Idee, die sich anscheinend durch breite Forschung stützen liess, hat in der klinischen Wirklichkeit versagt und wir waren gezwungen, wieder von vorne anzufangen: Kein leichtes Ding.

Die Fragen stellte Martin Hicklin

Impfen gegen Krebs.

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Die Abwehr wecken und wach halten

Die chirurgische Forschung am Universitätsspital Basel sieht bei Impfstrategien gegen Krebs Erfolge wichtiges und vielversprechendes Forschungsziel. Verschiedene Strategien sind in den letzten Jahren in dieser Richtung entwickelt worden. Eine davon besteht darin, mit Hilfe einer Impfung das Immunsystem dergestalt zu stimulieren, dass es sich wieder kraftvoll gegen die Tumorzellen richtet und diese abtötet. Vor 20 Jahren hat das Forschungslabor der Chirurgie am Universitätsspital Basel begonnen, solche Impfsubstanzen zu entwickeln und sie primär beim Melanom erprobt. Dabei wurden einerseits die Baupläne (das heisst die genetische Information, die DNA) für Eiweisse, die auf der Oberfläche eines Melanoms als Antigene wirken und vom Immunsystem als fremd erkannt und bekämpft werden, in ein spezielles Impfvirus eingeschleust. Mit verpackt wurden auch die DNA für die Moleküle, die es für das zweite Co-Signal braucht. Dieser Impfstoff wurde den Patienten zu definierten Zeitpunkten unter die Haut injiziert. Die Resultate waren ermutigend. Zwei klinische Impfprotokolle mit je zwanzig Patientinnen und Patienten haben aufzeigen können, dass bei einigen Patienten eine spezifische Immunantwort gegen die eingeimpften Antigene erzeugt werden konnte. Die Patienten erhielten ihre Impfung durchwegs ambulant und litten unter keinen besonderen Nebenwirkungen. Die Impfung störte auch nicht die oft parallel laufende übliche onkologische Therapie.

Von Daniel Oertli Nach den klinischen Beobachtungen von William Coley (siehe Seite 2) hatte man während eines ganzen Jahrhunderts postuliert, dass das Immunsystem mit bösartigen Tumoren in einer Wechselwirkung stehen müsse, doch erst 1991 hat der belgische Immunologe Thierry Boon mit seiner Brüsseler Forschungsgruppe beim schwarzen Hautkrebs (Melanom) beweisen können, dass sich spezialisierte weisse Blutkörperchen (Lymphozyten) gegen Tumorzellen richten und diese zerstören können. Boon, heute emeritierter Professor der Université catholique de Louvain und ehemaliger Direktor des LudwigInstituts für Krebsforschung in Belgien, konnte mit seiner Gruppe jene EiweissStücke bis in ihren molekularen Bau identifizieren, die ausschliesslich von einzelnen Zellen der Melanomtumore gebildet und gebaut werden. Genau diese Eiweissmoleküle können durch das körpereigene Immunsystem, genauer durch die darauf spezialisierten Immunzellen, als «fremde» Merkmale (Antigene) erkannt werden. Das allein genügt aber nicht. Zusätzlich zur Erkennung – dem ersten Signal, um eine Immunantwort auszulösen – braucht es ein zweites Signal. Es wird über andere an der Zelloberfläche auftretende Moleküle «co-stimulatorisch» ausgelöst und erst jetzt kann die gewünschte Immunreaktion endlich ablaufen und die Tumorzellen angegriffen werden Mehrere Gründe müde zu werden Diese Antwort hat mehrere Stufen. Die Lymphozyten vermehren sich und alarmieren eine weitere Gruppe weisser Blutkörperchen, die nun als Killer in Aktion treten und Löcher in die Wand der Tumorzellen reissen. Die Krebszellen beginnen zu lecken und sterben. Allerdings werden die für diese Tumoren spezifischen Antigene, die als Eiweisse an der Zelloberfläche erscheinen, in vielen Fällen vom Immunsystem der Patienten doch nicht als fremd erkannt und die Tumorzellen nicht bekämpft. Drei Gründe können daran be-

Ermutigende Abwehr.Die beiden weissen Blutkörperchen (Lymphozyten) attackieren eine vergleichsweise viel grössere Tumorzelle (grau), elektronenmikroskopische Fotografie. Foto zVg

teiligt sein: Das unbedingt notwendige zweite Signal für die Co-Stimulation kann fehlen. Tumorzellen selber oder das die Tumorzellen umgebende Bindegewebe können auch lokal Botenstoffe ausschütten, welche immunsuppressiv sind, das heisst das Immunsystem rund um den Tumor hemmen. Oder der Tumor wächst so rasch, dass die Lym-

phozyten, obwohl sie anfänglich die Gefahr erkannt haben, sich erschöpfen, weil sie chronisch stimuliert werden. So kann sich der Tumor gegen die Immunantwort unempfindlich zeigen. Es entsteht das, was man eine Immuntoleranz nennt und fürchtet. Sie zu durchbrechen und die Abwehr wieder in Gang zu bringen ist ein

Auf das Sechsfache vermehrt und wirksam Wie sich zeigte, vermehrten sich in den nächsten vierzehn Tagen nach der Impfung die gegen das Melanom gerichteten Lymphozyten im Blutstrom bis auf das Sechsfache. Unsere Experimente haben zudem eindeutig gezeigt, dass die durch eine einfache Blutentnahme gewonnenen und im Reagenzglas untersuchten Lymphozyten fähig waren, Melanomzellen abzutöten. Diese Forschungsresultate waren dermassen ermutigend, dass wir entschieden

haben, die Effizienz der Impfung weiter zu steigern und auch sie für ein breiteres Indikationsgebiet auszubauen. Derzeit entwickelt unser Labor eine sehr moderne, wiederum auf Viren basierende Impfung, von welcher, wie wir hoffen, eine breitere Patientengruppe mit Tumorleiden profitieren könnte. Neben dem Melanom betrifft dies Tumore der Harnblase, der Lunge, der Speiseröhre sowie der sogenannte dreifach-negative Brustkrebs. Das Virus sorgt dafür, dass das Immunsystem der Geimpften auf die verschiedenen dem Tumor eigenen Antigene als auch das wichtige, zweite Aktivierungssignal der Co-Stimulation trifft. Wir erhoffen uns damit, dass das Immunsystem der Patientinnen und Patienten und insbesondere die spezifischen Lymphozyten so optimal stimuliert werden und sich wirksam gegen die Tumorerkrankung richten und sich somit im Körper ein immunologisches Gedächtnis gegen den entsprechenden Tumor ausbildet.

Prof. Dr. med. Daniel Oertli ist Chefarzt für Allgemeine Chirurgie am Universitätsspital Basel. Foto Derek Li Wan Po

Wachsam gegen den Wiederholungstäter Alarmiertes Immunsystem hilft Rückkehr von Blasenkrebs zu verhindern Von Cyrill A. Rentsch Blasenkrebs ist der zweithäufigste Tumor des Harntraktes des Mannes und der häufigste des Harntraktes der Frau. Glücklicherweise sind die meisten Tumore zum Zeitpunkt der Diagnose noch auf die Schleimhaut der Harnblase begrenzt und können mit einer eleganten Operation durch die Harnröhre hindurch entfernt werden. Doch der Blasenkrebs ist ein notorischer Wiederholungstäter. Lässt man der Operation keine zweite Behandlung folgen, befällt er bei mehr als der Hälfte der Patienten die Blase erneut. Es finden sich dann immer wieder – manchmal zahlreich – typische korallenähnlich aussehende Tumoren. Mit der zweiten Behandlung wird versucht, das Immunsystem des Patienten gegen den Krebs zu mobilisieren. Mit erstaunlichem Erfolg. Durch Impfen das Immunsystem wecken Vor rund vierzig Jahren wurde erstmals bewiesen, dass man das körpereigene Immunsystem aktivieren und diesem im wahren Sinne des Wortes Wachsamkeit gegen den Wiederholungstäter einimpfen kann. Dazu verwenden wir den Bacillus-CalmetteGuérin-Impfstoff, kurz BCG genannt. Dieser Impfstoff, früher als Impfung gegen Tuberkulose eingesetzt, besteht aus lebenden, aber in ihrer Aggressivität abgeschwächten Bakterien, welche in einer Flüssigkeit mit Hilfe eines Katheters über die Harnröhre direkt in die leere Blase gegeben werden. Solche Behandlungen finden in wöchent-

lichen Abständen über sechs Wochen hinweg statt und werden in der Regel nach drei weiteren, kurzen Fortsetzungen, die der Vorbeugung dienen, nach etwa einem Jahr abgeschlossen. Die Bakterien lösen in der Blase eine gewünschte Entzündung aus. Sie wirkt als Alarmsignal für das Immunsystem. Es schickt weisse Blutkörperchen in die Blase, die sich gegen allfällige neue Tumore richten – nach jeder Impfung mehr. Der Patient merkt sehr wohl, dass seine Abwehr in Aktion getreten ist. In den ersten zwei Tagen nach der BCG-Therapie kommt es oft zu Beschwerden wie sie auch sonst bei einer

Blasenentzündung vorkommen. Zudem können vorübergehend grippeähnliche Symptome wie Fieber und leichter Schüttelfrost auftreten. Die BCG-Therapie ist daher nicht harmlos in ihren Nebenwirkungen. Erfolg lässt sich sehen Bisher ist die BCG-Therapie die wirksamste vorbeugende Behandlung nach einer Blasenkrebserkrankung. Sie bewahrt den Patienten vor der chirurgischen Entfernung, also dem Verlust der Harnblase. Der Erfolg lässt sich sehen: Nach einer BCG-Therapie entsteht bei über 70 Prozent der Patienten kein

Blasenkrebs entdecken und vorbeugen Blasenkrebs macht sich oft nicht gleich durch Beschwerden bemerkbar. Blut im Urin kann ein Alarmzeichen sein. Auch wenn eine solche rötliche Verfärbung nur einmal beobachtet wird, sollte man sich untersuchen lassen. Seltener sind häufiger Harndrang und Schmerzen oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen Begleiterscheinungen von Blasenkrebs. Der Krebs bildet sich in der Schleimhaut, von der die Blase ausgekleidet wird. Häufige Entzündungen können das Wachsen eines Blasenkarzinoms begünstigen. Raucher sind besonders häufig von Blasenkrebs betroffen. Bei einer Untersuchung der Blase im Tumorzentrum des Universitätsspitals wird unter lokaler Betäubung eine Minikamera eingeführt, über die sich das Innere der Blase genau kontrollieren lässt. Die Unter-

suchung, die Blasenspiegelung genannt wird, dauert etwa fünf Minuten. Eine der wichtigen Massnahmen, bei Rauchern das Wiederauftreten von Krebs vorzubeugen, ist der Rauchstopp. Um den Patienten und Patientinnen bei diesem wichtigen Schritt zu helfen, arbeiten wir im Tumorzentrum eng mit dem Rauch-StoppTeam des Universitätsspitals Basel zusammen. Die Experten verstehen es ausgezeichnet, individualisierte und auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnittene Massnahmen zu entwerfen, die erfolgreich zum Rauch-Stopp führen: Die meisten unserer Blasenkrebspatienten und -patientinnen haben deshalb dank ihrer Unterstützung nachhaltig mit dem Rauchen aufhören können.

neuer Blasenkrebs mehr. Die verabreichten Bakterien haben das Immunsystem so aktiviert, dass es dem gern wiederkehrenden Blasenkrebs definitiv die Rote Karte zeigt. Weil die Tendenz, neue Tumoren zu bilden, hoch ist, muss regelmässig und lebenslang nachkontrolliert werden. Bei diesen Nachkontrollen werden im Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel moderne Bildgebungsverfahren wie Computertomografie (CT) oder Magnetresonanz (MRI) eingesetzt. Die Blase muss aber auch mittels Blasenspiegelung invasiv untersucht und der Urin regelmässig getestet werden. Nicht von ungefähr gilt der Blasenkrebs daher als der teuerste Krebs, wenn man die Gesamtkosten über das ganze Leben eines Patienten berechnet. Doch die Kosten sind nur das eine. Kommt dazu, dass die vielen Kontrollen mit invasiver Diagnostik und die damit verbundene neue Ungewissheit und Angst vor einem Rückfall die Lebensqualität stark einschränken können. Die erfreulich hohe Erfolgsrate, die man mit der Aktivierung des Immunsystems durch die BCG-Therapie erreicht, senkt nicht nur die Kosten, sondern verbessert trotz ihrer anfänglichen Nebenwirkungen die Lebensqualität, weil die Ungewissheit kleiner wird. Stärkere Weckwirkung In diesen Wochen beginnt unter meiner Führung an der Urologischen Klinik am Basler Tumorzentrum (Chefarzt Prof. A. Bachmann) und in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Klinische Krebsforschung (SAKK) eine klinische Studie

mit einer genetisch aufgerüsteten Variante des BCG-Impfstoffs, von der man sich eine noch stärkere Weckwirkung auf das Immunsystem verspricht. Auch die in dieser Beilage erwähnten «Checkpoint-Hemmer», mit denen in bestimmten Fällen von Tumorzellen bewirkte Blockaden der Immunabwehr gelöst werden können, werden derzeit in verschiedenen klinischen Studien auf ihre Anwendbarkeit und Wirkung gegen Blasenkrebs im fortgeschrittenen Stadien getestet. Erste Resultate sind vielversprechend und lassen hoffen, dass unsere Möglichkeiten, Blasenkrebs erfolgreich zu behandeln und seine Rückkehr zu verhindern, sich weiter verbessern.

PD Dr. med. Cyrill Rentsch leitet die Klinische Forschung der Urologie, speziell auf den Themen Blasen- und Prostatakarzinom.Foto zVg

Stammzelltherapie.

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Mit Spenderzellen der Leukämie auf den Pelz gerückt Wer sich ins Stammzellregister eintragen lässt, kann Leben retten

Stammzellenspende.«In das Blut gerufene» Zellen werden aussortiert.Foto Pablo Wünsch Blanco

Von Jakob Passweg Die Immuntherapie von Krebserkrankungen will die Kraft der menschlichen Abwehr nutzen, um bösartige Zellen im menschlichen Körper zu bekämpfen. Sie kann dies über die Zellen des eigenen Abwehrsystems tun, welche aktiviert werden können oder deren Hemmung man lösen kann, wie dies in dieser Beilage beschrieben ist. Neu entwickelte Medikamente kommen zur Anwendung und der erst in den letzten Jahren errungene Fortschritt ist die Motivation für diese Zeitungsbeilage, welche Sie gerade in den Händen halten. Bereits vor 40 Jahren haben Forscher erstmals eine Methode eingesetzt, bei der die Abwehr eines anderen gesunden Menschen genutzt wird, um gegen Leukämien, also Krebserkrankungen des Knochenmarks und der Blutbildung, anzugehen. Diese Behandlung nennen wir «allogene Stammzelltransplantation», weil hier passende Stammzellen aus dem Knochenmark eines anderen (griechisch allos), gesunden Menschen in den Patienten verpflanzt werden. Aus ihnen können sich nun

jene Blutzellen entwickeln, die als gespendete Abwehr die Leukämie des Empfängers eliminieren. Diese Wirkung wird im Fachjargon «Transplantat gegen Leukämie-Effekt» genannt und gilt als stärkstes antileukämisches Mittel mit der geringsten Rückfallrate. Die Spende muss passen Diese Behandlung kommt immer dann infrage, wenn ein Patient oder eine Patientin mit einer bösartigen Knochenmarkerkrankung nicht geheilt werden kann. Allerdings hängt der Erfolg einer Stammzelltransplantation davon ab, ob eine passende Spenderin oder ein passender Spender gefunden werden kann. Spender kann ein Bruder oder eine Schwester sein, denn ein Viertel der Geschwister haben gleiche Gewebsmerkmale oder -identitäten. Sie bekommen wir von unseren Eltern vererbt. Jeder Elternteil kann den seinerseits vom Vater oder von der Mutter geerbten Typ weitervererben. Da jeder Mensch vier Grosseltern hat, erbt er einen Gewebetyp von zwei der vier Grosseltern. Somit ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Geschwister untereinander gewebe-

identisch sind, 25 Prozent beziehungsweise ein Viertel. Die Gewebeidentität ist wichtig, weil bei einer gut passenden Spende die Behandlung relativ sicher und erfolgreich durchgeführt werden kann. Wird in der Familie keine passende Spenderin oder passender Spender gefunden, kann eine Fremdspendersuche unternommen werden. Weltweit (www. bmdw.org) gibt es 25 Millionen Menschen, die sich als Stammzellspender haben typisieren lassen und als Spenderinnen und Spender zur Verfügung stehen (siehe Kasten). Da die Gewebetypen sehr vielfältig verteilt sind, braucht es eine grosse Zahl registrierter Spender, um für die meisten Patienten, die eine Transplantation benötigen, im Register einen Spender finden zu können. Eine aufwendige Therapie Die Blutstammzellen befinden sich im Knochenmark. Diese können vom Spender auf zwei Arten gewonnen werden. Die erste besteht darin, die Stammzellen ins Blut zu «rufen». Mit einem speziellen Verfahren können sie daraus «geerntet» werden (die Technik heisst Apherese). Andererseits kann man die

Stammzellen auch über Punktionen im Beckenknochen per Knochenmarksammlung gewinnen. Für diese Knochenmarksammlung braucht es eine Narkose. Dem Spender fehlen nach der Spende mittelfristig keine Stammzellen, sie wachsen wieder nach. Der Patient erhält nun zuerst eine intensive Therapie. Sie besteht aus einer Behandlung mit mehreren Chemotherapie-Medikamenten. Mit ihnen soll die Leukämie aus dem Knochenmark eliminiert und das Abwehrsystem so weit geschwächt werden, dass die Zellen des Spenders sich zu vermehren beginnen oder anwachsen können. Die Organisation ist aufwändig. Wenn der Patient seine Intensivtherapie erhalten hat, müssen die Stammzellen des Spenders gesammelt und mit einem Kurier an das Transplantationszentrum transportiert werden. Der Spender spendet an seinem Wohnort. Es liegt in der Verantwortung des Kuriers, die Zellen sicher an ihr Ziel zu bringen. Dem Patienten werden die Zellen wie bei einer Bluttransfusion übertragen. Die Stammzellen finden ihren Weg selbstständig ins Knochenmark des Empfängers und vermehren sich dort. Nach etwa 14 Tagen wird das Resultat sichtbar. Die gespendeten Zellen sind «angegangen» und im Blut des Empfängers normalisieren sich die Blutzellen. Diese stammen nun vom Spender. Die Abwehr baut sich wieder auf und kann – wenn alles gut läuft – die Leukämie kontrollieren, ohne den Patienten zu schädigen. Komplikationen beherrschen Diese Therapie verläuft nicht immer ohne Komplikationen. Der Gefahren sind viele, die Toxizität der Chemotherapie wirkt sich aus und es besteht die Gefahr schwerer Infektionen während

des Wartens auf das Angehen der Zellen. Es kann zu Abstossungsreaktionen kommen, nicht nur gegen die Zellen des Spenders durch den Empfänger, sondern auch in umgekehrter Richtung: Die gespendeten Zellen könnten nicht nur – wie erwünscht – die Leukämiezellen, sondern die Organe des Empfängers angreifen. Deshalb ist die Entscheidung zu einer allogenen Stammzelltransplantation nie leicht und verlangt eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile. Die allogene Stammzelltransplantation wird in der Schweiz bei 200 bis 250 Patienten jährlich durchgeführt. Auch sie ist ein gutes Beispiel für den erfolgreichen Einsatz des Immunsystems zur Bekämpfung von bösartigen Krankheiten.

Prof. Dr. med. Jakob R. Passweg ist Chefarzt der Abteilung Hämatologie am Universitätsspital Basel und Präsident der Schweizerischen Krebsliga. Foto Derek Li Wan Po

So wird man Spender/in Nur wenn sich eine passende Stammzell-Spende findet, besteht reale Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung einer sonst nicht behandelbaren bösartigen Knochenmarkserkrankung. Längst nicht immer steht ein Familienmitglied mit passenden Gewebemerkmalen zur Verfügung. Je mehr Auswahl es an Spenderinnen und Spendern aber gibt, desto höher ist die Chance auf einen glücklichen Treffer. Darum werden möglichst viele Menschen gesucht, die sich bereit erklären, hier mitzumachen (www.bmdw.org) und ihre Gewebedaten ins Nationale Register in Bern einzutragen. So steigt die

Auswahl. Die meisten der Gemeldeten werden nie zu einer Spende aufgerufen. Aber wenn es so weit kommt, dann weiss die Spenderin oder der Spender, dass wahrscheinlich ein Leben gerettet wird. Auch Sie können hier helfen, indem Sie sich als Spenderin oder Spender registrieren lassen. Das kann man über die unten angeführte Website tun. Stammzellspenden von Spendern aus dem Register sind anonym. Spender und Empfänger lernen sich nicht kennen. www.blutspende.ch/de/ blutstammzellspende

Was kann ich für mein Immunsystem tun? Von Jakob Passweg Das Immunsystem ist wie ein grosses Symphonieorchester. Nur komplizierter. Es vereinigt verschiedenste Spieler und Instrumente und nur durch das perfekte Zusammenspiel kommen grossartige Töne zustande. Wie auf Seite 4 ausführlich dargestellt wird, besteht es aus verschiedenen Zellen, welche einfachere oder komplizierte Funktionen ausüben. Sie reichen vom Fressen eines mit Antikörpern behängten und so appetitlich gewordenen Bakteriums bis zur Aufgabe, sich lebenslang an eine Begegnung mit einem Fremdkörper (Antigen) zu erinnern und beim nächsten Treffen bereit zu sein, schneller anzugreifen. Dies ist auch der Grund, wieso der Mensch in seinem Leben die meisten Kinderkrankheiten nur einmal durchmacht. Neben den Zellen gibt es eine Vielzahl von Botenstoffen und Gefahrensignalen. Wie ein Dirigent das Orchester mal laut und mal leise spielen lässt, den Ton zum Verklingen bringt, gibt es im Immunsystem eine Vielzahl von Regelkreisen (Dirigenten), welche zur Verstärkung

aber auch zur Abschwächung von Abwehrreaktionen beitragen. Aus angeborenen Fehlern hat man viel lernen können. Kinder zum Beispiel, welche ohne Empfängermolekül für einen wichtigen Botenstoff geboren werden, sterben als Neugeborene, weil sie auf die ersten Infektionen nicht reagieren können. Kinder, welche das Immunsystem anstellen, aber nicht wieder abstellen können, sterben ebenso früh. Aus Immunschwäche gelernt Heutzutage kennt man die Probleme des abwehrgeschwächten Menschen gut. Angeborene Abwehrschwächen sind selten. Das heisst, die Natur hat gut vorgesorgt. Oder anders gesagt, wir Menschen sind gut angepasst an die Erfordernisse der Natur und an die Keime, welche uns umgeben. Viel gelernt hat man auch dank erworbener Immunschwächekrankheiten wie Aids oder therapeutisch bedingter Immunschwächen, wie sie als Begleiterscheinung der Behandlung mit die Immunabwehr unterdrückenden Medikamenten etwa in der Transplantationsmedizin vorkommen. Dank ihnen wissen wir, dass die Hemmung von Funktionen des Immun-

systems immer mit erhöhten Risiken für Infektionskrankheiten einhergehen und auch gewisse Krebserkrankungen, vor allem solche, welche durch Virusübertragung angestossen werden, häufiger auftreten lassen. Das Immunsystem ist ein lernendes System und schon ganz am Anfang des Lebens gehen die Immunzellen im Thymus (einem Organ, welches hinter dem Brustbein liegt) in die Schule, um Fremd von Eigen unterscheiden zu lernen. Wenn diese Unterscheidung nicht funktioniert, kann es sein, dass das Immunsystem den eigenen Körper angreift. Solche Krankheiten werden Autoimmunkrankheiten genannt und es gibt zahlreiche Krankheitsbilder: von der Polyarthritis über den Diabetes bis hin zur multiplen Sklerose. Nicht ein möglichst starkes Immunsystem zu haben, ist das Ziel, sondern eines, das das Richtige im richtigen Moment tut und sich dann auch wieder hinunterfährt. Impfungen begleiten den Menschen seit 1796, der Erfindung der Pockenschutzimpfung. Sie fordern das Immunsystem mit weniger schädlichen oder abgetöteten Formen eines Keims, um die natürliche Kraft des Immunsystems

auszunützen und dadurch den Menschen vor dem gefährlichen Eindringling zu schützen. Lassen wir uns zum Beispiel im Herbst gegen Grippe impfen, leben wir zwar weiterhin mit dem Risiko, mit dem Virus angesteckt zu werden. Durch den Impfschutz werde ich aber mit dem Virus deutlich früher und besser fertig. Wir nützen mit der Impfung die Fähigkeit des Immunsystems, ein Gedächtnis für Keime aufbauen zu können.

Übertriebene Hygiene kann auch schädlich sein. Die Einhaltung der Körperhygiene hat zu grossen Vorteilen für die Menschheit geführt. Viele der früher häufigen Infektionskrankheiten sind heute selten geworden. Eine übertriebene Hygiene kann aber auch schädlich sein, nicht nur für den etwas speziellen Menschen, der sich weigert, anderen Mitmenschen die Hand zu geben. Es gibt einige Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass

eine zu grosse Hygiene im Kindesalter mitverantwortlich ist für Allergien, das heisst für Fehlfunktionen des Immunsystems. Mit anderen Worten: es ist für ein Kind nicht gesund, in einer sterilen Umgebung aufzuwachsen. In der Kindheit muss das Immunsystem Kontakte mit Keimen haben, um lernen zu können. Krebs und Immunität sind eng verknüpfte Systeme. Es sei hier daran erinnert, dass die weltweit häufigsten Krebserkrankungen auf chronische Virusinfektionen zurückzuführen sind, insbesondere der Leberkrebs infolge chronischer Hepatitis oder der Gebärmutterhalskrebs über den Humanen Papilloma-Virus. Die Vermeidung solcher Infektionen kann die Krebshäufigkeit senken. Das Immunsystem ist hochkomplex reguliert, und funktioniert dann am besten wenn diese Regulationsmechanismen gut spielen können. Die Frage, was ich für mein Immunsystem tun kann, ist einfach zu beantworten: Gesunde, abwechslungsreiche Ernährung, ausreichend Bewegung, Vernunft bei Kontakten mit Körperflüssigkeiten. Et voilà. Mehr ist es nicht.

Die Zukunft.

 | Freitag, 25. September 2015 | Seite 8

Vor einer Revolution in der Krebsmedizin: Wir setzen uns hohe Ziele Onkologe Alfred Zippelius über den Umgang des Tumorzentrums Basel mit Immuntherapie Basler Zeitung: Herr Zippelius, seit wenigen Jahren zeigt sich mehr und mehr, mit welch erstaunlichen Erfolgen es gelingen kann, das Immunsystem von Krebspatienten gegen Tumoren einzuspannen. Für einen Arzt, der Krebs behandelt und Forschung für Patienten nützlich machen soll, müssen die Zeiten gerade ziemlich aufregend sein. Alfred Zippelius: In der Tat rollt ge-

umliegenden Spitäler vom Universitätsspital profitieren?

Das Universitätsspital Basel hat sich zum Ziel gesetzt, bei dieser neuen Entwicklung in der Onkologie ganz vorne mitzuarbeiten. Dies können wir nur erreichen, indem wir alle Kompetenzen bündeln. Unmittelbare Schritte umfassen beispielsweise gemeinsame Besprechung von Patienten unter Immuntherapie sowie den weiteren Ausbau des Programms zur klinischen Immuntherapieforschung. Dies soll nicht nur unseren Patienten in Basel, sondern auch den Patienten schweizweit zugutekommen. Eine wichtige Funktion ist dabei die Integration von Kliniken, die ebenfalls an diesem Angebot teilnehmen möchten, aber unter Umständen derzeit die Ressourcen nicht zur Verfügung haben.

rade eine Riesenwelle von neuen Medikamenten und Behandlungen auf uns zu. Die ersten Ergebnisse sind sehr hoffnungsvoll. Selbst Patienten, die vielfach mit Chemotherapie vorbehandelt sind, sprechen dauerhaft an, und das ohne grössere Nebenwirkungen. Dies ist schon eine Revolution in der Onkologie. Vor allem wenn man bedenkt, dass wir seit vielen Jahrzehnten vergeblich versucht haben, das Immunsystem zu aktivieren. Nun scheinen wir den Schlüssel gefunden zu haben.

Novartis und Roche sind ebenfalls stark in die Entwicklung immuntherapeutischer Krebsbehandlungen engagiert. Bestehen da Ideen von Kooperation?

«Wir scheinen den Schlüssel gefunden zu haben.» Sie selbst sind forschend auf dem Gebiet engagiert, Hunderte von klinischen Versuchen sind derzeit weltweit im Gange, um auszuloten, bei welchen Krebsarten in welchen Organen Immuntherapie wirkt und wo nicht. Müssen jetzt alle Krebsbehandlungen neu formuliert werden? Was bedeutet das im Alltag des Tumorzentrums mit all seinen auf Organe spezialisierten Kliniken?

Wir haben internationale Behandlungsstandards in der Onkologie, die wir in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben. Sie haben natürlich weiterhin Bestand und bleiben die Eckpfeiler in der Behandlung von Krebspatienten. Allerdings werden die sogenannten «Standard-Therapien» auch in der Zukunft in klinischen Studien mit neuen Medikamenten, auch der Immuntherapie, verglichen. Wie sich nun schon mehrfach – zum Beispiel beim Haut-, dem Lungen- und dem Nierenkrebs – gezeigt hat, ist die Immuntherapie dem «alten» Standard überlegen und wird nun diesen aus der Behandlung verdrängen. Die enge Zusammenarbeit zwischen den auf Organe spezialisierten Kliniken ist essenziell, um das optimale Behandlungsergebnis für unsere Patien-

Alle Kräfte bündeln.«Wir haben am Universitätsspital Basel ein Kompetenzzentrum Immuntherapie gegründet.» Foto Dominik Plüss

ten zu erzielen. Es muss ein intensiver Austausch stattfinden und wir müssen die Behandlungsmöglichkeiten optimal für den einzelnen Patienten abstimmen. Dies ist am Universitätsspital Basel durch das Tumorzentrum in idealer Weise gegeben.

Grosse Zentren verfügen über grosse Wissensquellen und Fachleute. Das macht sie auch attraktiv für klinische Studien und das wiederum interessiert die Patienten. Was braucht es dafür? Sind in Basel alle Möglichkeiten voll ausgeschöpft?

Jeglicher Fortschritt in der Onkologie und alle neuen Behandlungsrichtlinien verdanken wir den grossen klinischen Studien. Dort werden neue Medikamente geprüft, was den Patienten den frühen Zugang ermöglicht. Wir haben eine lange Tradition in der Durchführung von klinischen Studien. Dazu haben wir bereits vor Jahren ein entsprechendes Zentrum

gegründet, welches ständig ausgebaut wurde. Wir bieten etliche Studien für viele verschiedene Tumorerkrankungen an. Diese reichen von medikamentösen Behandlungen bis hin zur Schmerztherapie und anderen Begleittherapien wie Psychoonkologie oder Sporttherapie.

«Wir wollen vorne mithalten und alle Kompetenzen bündeln.» Ausserordentliche Entwicklungen verlangen ausserordentliche Massnahmen. Wie organisiert sich das Tumorzentrum, um in diesen Gebieten vorne mitzuhalten?

Die Zeit der Immuntherapie hat gerade begonnen. Es folgen nun viele Herausforderungen. Einerseits klinisch,

Tumorzentrum: Gemeinsam mehr Chancen.

um unseren Patienten die optimale Behandlung zu bieten. Dazu brauchen wir die besten Medikamente und müssen Sorge tragen, dass wir auch neue Nebenwirkungen in der Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen wie der Endokrinologie oder Dermatologie rasch und kompetent behandeln. Andererseits müssen wir die Behandlung noch besser machen. Dies gelingt nur durch herausragende Forschung. Da haben wir am Universitätsspital eine lange und grosse Tradition. Wir haben gerade ein Kompetenznetzwerk Immuntherapien gegründet, in dem wir alle Kräfte aus den verschiedenen Abteilungen bündeln wollen, um dies zu erreichen.

Gemeinsam ist man stärker. Das Universitätsspital Basel ist verschiedene Allianzen eingegangen. Wie steht es auf dem Gebiet der Immuntherapie, wird auch da eine spitalübergreifende Struktur geschaffen und können die

Wir haben etliche Kooperationen mit der Industrie. Dies ist von grossem gegenseitigem Interesse. Es erlaubt uns, neue Medikamente sehr rasch einzusetzen und auch im Labor zu testen. So können wir deren Wirksamkeit sehr früh abzuschätzen und die Umstände definieren, unter denen die Patienten noch mehr von diesen profitieren.

Kann man jetzt darauf hoffen, dass Krebs zu einer Krankheit wird, die man allenfalls lebenslang behandeln muss, an der man aber nicht mehr stirbt?

In der Geschichte der Krebsbehandlung ist es zu Höhepunkten, aber auch vielen Enttäuschungen gekommen. Immerhin hat die Krebsmedizin in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte gemacht. Etwa durch völlig neue Medikamente, Fortschritte in der Radiotherapie und Bildgebung sowie einer dramatisch verbesserten Diagnostik. Nun sieht es sieht so aus, als ob uns mit der Immuntherapie eine weitere starke Waffe in die Hand gegeben wird. Allerdings muss man auch sehen, dass zur Zeit nicht alle Patientinnen und Patienten profitieren. Das rasch zu verbessern und das ganze Potenzial auszunützen, ist eine Aufgabe, der wir mit anderen Zentren der Welt hohe Priorität einräumen. Wir setzen uns hohe Ziele. Ob wir sie alle erreichen, wird die Zukunft zeigen. An uns soll es nicht fehlen.

Die Fragen stellte Martin Hicklin

Das Tumorzentrum Universitätsspital Basel bietet Krebspatientinnen und -patienten ein umfassendes Angebot für die Behandlung und Nachsorge ihrer Erkrankung – auf höchstem Niveau und nach neuestem Stand der Forschung. unispital-basel.ch/tumorzentrum

Die elf Organtumorzentren Bauchtumorzentrum

Brustzentrum

Gynäkologisches Tumorzentrum

Hirntumorzentrum

Lungenzentrum

Urologisches Tumorzentrum

Zentrum für Hämato-Onkologie

Zentrum für Hauttumore

Zentrum für Knochen- und Weichteiltumore

Zentrum für Kopf-, Hals- und Augentumore

Zentrum für Neuroendokrine und Endokrine Tumore

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Universitätsspital Basel Tumorzentrum Barbara Kunz, Sekretariat Tel.: +41 61 265 39 00 Fax: +41 61 265 39 95 [email protected]

23.09.15 12:11

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